URI: 
       # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Frankreich: Ganz nach oben gepokert
       
       > Unter Erfolgsdruck: Der jüngste Präsident, den Frankreich jemals hatte,
       > ist auf seinem steilen Weg an die Spitze viele Risiken eingegangen.
       
   IMG Bild: Präsidialer Optimismus
       
       Paris taz | Welche Beschreibung passt am besten zu Emmanuel Macron, dem
       künftigen Präsidenten der Republik Frankreich? „Musterschüler“,
       „Unbekanntes Flugobjekt in der Politik“ oder eher despektierlich:
       „Hollande-Baby“? Er selber würde sich wohl am liebsten mit seinen
       Vorbildern Kennedy oder Obama vergleichen.
       
       Im Ausland ist er ein kaum beschriebenes Blatt. Für seine Mitbürger war er
       bis vor drei Jahren noch ein Unbekannter. Und niemand hätte damals auf die
       Frage, wer Frankreichs nächster Staatschef sein werde, auf den jungen Mann
       mit guten Manieren gewettet.
       
       Das Wirtschaftsmagazin Challenges vergleicht ihn mit einem Pokerspieler,
       der seine Gegner mit scheinbar unsinnigen Risiken so sehr blufft, dass sie
       nur noch verdutzt zuschauen können, wie er seine Gewinne einstreicht. In
       jeder Etappe auf seinem im Eiltempo zurückgelegten Weg an die Macht hat er
       im richtigen Moment auf die richtige Karte gesetzt.
       
       Als die französischen Sozialisten 2011 felsenfest überzeugt waren, der
       IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn werde gegen Nicolas Sarkozy gewinnen, zog
       Macron die Rolle eines Beraters beim Außenseiter François Hollande vor. Er
       wurde nach dessen Wahlsieg 2012 als Vizegeneralsekretär im Élyséepalast
       einer der engsten Mitarbeiter des Präsidenten und verblüffte in
       Diskussionen im Kabinett des Präsidenten mit seinen vorlauten, aber oft
       brillanten Einwänden und seinen detaillierten Sachkenntnissen.
       
       ## Massenzulauf, heiße Luft
       
       Zwei Monate später trug Hollande ihm im August 2014 einen Schlüsselposten
       in der Regierung an. Weil er sich jedoch als Wirtschaftsminister mit seinen
       Reformideen nicht durchsetzen konnte, trat er zwei Jahre später zurück, um
       einen Anlauf auf die Präsidentschaft zu nehmen.
       
       Es hätte schieflaufen können, doch den spöttischen Prognosen zum Trotz fand
       die von ihm im April 2016 gegründete Bewegung „En marche!“ (Los geht’s!)
       einen Massenzulauf. Die Experten der Politik irrten wieder, als sie sagten,
       das sei nur heiße Luft. Mit einem unglaublichen taktischen Kalkül und dem
       richtigen Timing setzte sich Macron gegen alle anderen durch.
       
       Doch er hatte auch Glück: Bei den Konservativen wurde nicht der Gemäßigte
       Alain Juppé nominiert, sondern der Hardliner François Fillon. Bei den
       Sozialisten wurde es nicht Manuel Valls vom sozialliberalen Flügel, sondern
       der Linkssozialist Benoît Hamon. Der Rest war nur noch ein praktisch
       fehlerfreier Parcours bis in die Stichwahl gegen eine Gegnerin, die für
       eine Mehrheit als Präsidentin schlicht nicht infrage kam. Mit seinem
       Eintritt in den zweiten Wahlgang hatte Macron das Finale so gut wie
       gewonnen.
       
       „Ich bin so stolz. Aber das war ich schon vorher. Emmanuel hat so viel
       Mut.“ Das sind Worte des Vaters des Wahlsiegers. Der Neurologie Jean-Michel
       Macron ist Arzt wie auch Mutter Françoise. Auch die Schwester und der
       Bruder haben Medizin studiert. Der am 21. Dezember 1977 in Amiens in der
       Picardie geborene Emmanuel schlägt also eher aus der Familie. Denn unter
       dem wohlwollenden Einfluss seiner Großmutter interessierte er sich schon
       als Kind mehr für die französische Literatur als für Mathematik und
       Naturwissenschaften.
       
       Die Lehrer im privaten Jesuiten-Collège „La Providence“ erinnern sich noch
       heute an den hochbegabten und etwas frühreifen Macron, der immer mehr
       wissen wollte, als im Lehrplan stand, und nach dem Unterricht noch weiter
       diskutieren wollte. Besonders angetan aber war die Französischlehrerin
       Brigitte Trogneux.
       
       ## Coaching von der Ehefrau
       
       Er war erst 15 Jahre alt, als der Musterschüler und die Lehrerin zusammen
       ein Bühnenstück schrieben. Die Anziehung war gegenseitig und von Dauer. Auf
       Betreiben der Familie Macron zog der junge Emmanuel nach Paris, um seine
       Mittelschulzeit am Elitegymnasium Henri IV zu beenden. Die Beziehung zur 24
       Jahre älteren und verheirateten Brigitte brach dennoch nicht ab.
       
       Vor zehn Jahren haben die beiden schließlich geheiratet. In der Kampagne
       des Kandidaten Macron war die künftige First Lady sein Coach und seine
       engste Beraterin, die bei keinem Auftritt und bei keiner Debatte fehlte. In
       den Hochglanzmagazinen wurden die beiden auf Fotos wie ein frisch
       verliebtes Paar am Strand gezeigt. Es war die glamouröse Seite dieser
       Wahlkampagne.
       
       Macrons erste Liebe galt weder der Politik noch der Wirtschaft. Zunächst
       studierte er Philosophie an der Universität Nanterre, wo sein Lehrer, der
       bekannte Phänomenologe Paul Ricoeur, einen wesentlichen Einfluss auf ihn
       hatte. Danach ging es weiter mit Abschlüssen in Politischen Wissenschaften
       an der Kaderschmiede ENA (Frankreichs Verwaltungshochschule), die ihm alle
       Türen für eine Spitzenkarriere öffneten.
       
       Das Angebot eines Führungspostens durch Arbeitgeberpräsidentin Laurence
       Parisot lehnte er ab, nicht aber die Möglichkeit, bei der Bank Rothschild
       während mehr als drei Jahren als Partner Übernahmegeschäfte zu tätigen. Für
       seine Kritiker von ganz links und rechts ist er damit ein für alle Mal ein
       Mann der „Finanz“.
       
       Macron hat hoch gepokert und alles gewonnen. Jetzt aber ändert sich sein
       Status und damit auch die Art der Risiken. Es gilt nicht mehr die Macht zu
       erlangen, sondern sie zu bewahren und damit umzugehen. Diese
       Schwierigkeit war schon mehr als einem seiner Vorgänger zum Verhängnis
       geworden.
       
       Im Unterschied zu seinen Konkurrenten stand Macron nie zur Wahl und übte
       nie ein Mandat als Volksvertreter aus. Seine Erfahrung in der Staatsführung
       beschränkt sich auf seine Zeit als Präsidentenberater und Minister. Ein
       Manko, das er mit den Vorschusslorbeeren und Glückwünschen am Wahlabend
       nicht kompensieren kann.
       
       8 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rudolf Balmer
       
       ## TAGS
       
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Frankreich
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kommentar „Moralisierung der Politik“: Macrons moralisches Feigenblatt
       
       Frankreichs Präsident hat ein erstes Wahlversprechen umgesetzt. Aber
       eigentlich hat sich Frankreich bloß dem europäischen Standard angepasst.
       
   DIR Sozialisten in Frankreich: Hamon folgt auf Valls
       
       Der Präsidentschaftkandidat der Sozialisten verlässt die Partei. Benoît
       Hamon gründet eine eigene „Bewegung“. Auch Ex-Premierminister Manuel Valls
       ist ausgetreten.
       
   DIR Bilanz von François Hollande: Au revoir ohne Tränen
       
       Er blieb ein glückloser Präsident. Der Sozialist wollte es allen recht
       machen, am Ende war niemand zufrieden. Jetzt verabschiedet er sich.
       
   DIR Bündnispolitik nach der Frankreichwahl: Auf Partnersuche im neuen Parlament
       
       Macron hofft auf eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Doch
       der Front National kann mit beträchtlichen Gewinnen rechnen.
       
   DIR Kommentar Wahl in Frankreich: Die letzte Chance
       
       Der Erfolg von Macron ist ein Sieg der Lust auf das Neue. Er braucht nun
       aber auch die Hilfe der Europäer, um die Ausbreitung des rechten Gifts
       aufzuhalten.
       
   DIR Wahlparty von Emmanuel Macron: Luftsprünge für den Neuen
       
       Begeisterung für das „kleinere Übel“: Die AnhängerInnen Macrons sind vor
       Freude außer sich. Sie feiern ausgelassen den Sieg über Le Pen.
       
   DIR 11,5 Millionen Franzosen wählen Le Pen: Keine Kleinigkeit
       
       Mit Marine Le Pen erhielt der Front National gut 34 Prozent der Stimmen im
       zweiten Wahlgang. Ein neuer Rekord für die extreme Rechte.
       
   DIR Kommentar Präsidentschaftswahl: Der französische Herkules
       
       Der Ausgang dieser Präsidentschaftswahl ist eine gute Nachricht – auch für
       ganz Europa. Doch auf Emmanuel Macron warten schwere Aufgaben.
       
   DIR Präsidentschaftswahl in Frankreich: Ça va
       
       Emmanuel Macron gewinnt die Wahl gegen die rechtsradikale Marine Le Pen.
       Sie erhält weniger als 35 Prozent der Stimmen – das wird interne Folgen
       haben.