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       # taz.de -- Erdoğan und die AKP: Rückkehr des großen Führers
       
       > Der türkische Präsident übernimmt wieder den Vorsitz der AKP. In einer
       > Rede auf dem Parteitag wird deutlich, dass er weiter auf Konfrontation
       > setzt.
       
   IMG Bild: Nach 998 Tagen kehrt Erdoğan an die Spitze der AKP zurück
       
       Berlin taz | Recep Tayyip Erdoğan, Präsident der Türkei, ist seit Sonntag
       auch wieder Chef seiner Partei. Nach 998 Tagen kehrte Erdoğan an die Spitze
       der AKP (Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt) zurück. Der amtierende
       Präsident kam laut AKP auf mehr als 96 Prozent der Delegiertenstimmen.
       
       Der Sonderparteitag der AKP fand nur einen Monat nach der Abstimmung über
       die neue Präsidialverfassung statt, in der auch festgelegt wird, dass der
       Präsident wieder Parteimitglied und auch Parteichef sein darf. Am Sonntag
       meldete die AKP Vollzug. Ihr Gründer steht wieder an der Spitze und die
       größte Partei der Türkei wirkt mehr denn je wie ein reiner
       Erdoğan-Unterstützerverein.
       
       Mit „Rais, Rais“ (Führer, Führer)-Rufen wurde er in der Halle in Ankara von
       1.500 Delegierten begrüßt. Den „Rückkehr-Kongress“ nennt die Partei ihren
       3. Sonderparteitag seit 2001 und meldet sich damit endgültig aus dem
       Verbund demokratischer Parteien ab. Hatte Erdoğan schon in der Zeit, als er
       seit seiner Wahl zum Präsidenten im August 2014 offiziell nicht mehr
       Mitglied war, trotzdem noch das letzte Wort in allen wichtigen personellen
       und politischen Fragen, ist er nun endgültig zum uneingeschränkten
       Machthaber der Partei geworden.
       
       Ganz Ankara war für die Rückkehr des Führers in einen Ausnahmezustand
       versetzt worden. Die Straßen zum Kongresszentrum waren gesperrt, rund um
       den Veranstaltungsort herrschte die höchste Sicherheitsstufe. Mehr als
       60.000 Parteimitglieder waren nach Ankara gekarrt worden. Überall hingen
       Transparente mit einer Porträt-Silhouette Erdoğans, die Parteijugend trug
       orangene T-Shirts mit demselben Porträt und in der Halle schwenkten
       Abgesandte aus verschiedenen Regionen Erdoğan-Fahnen.
       
       In der Halle hielt Erdoğan dann eine Rede, die keinen Zweifel daran ließ,
       dass er den Weg der Konfrontation fortsetzen will. „Unser Schoß ist offen
       für alle, die der Nation helfen wollen“, sagte er, „doch unsere Faust ist
       geschlossen für jeden Verräter“. Ausdrücklich erwähnte Erdoğan die Anhänger
       des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die er für den Putschversuch vom
       Juli 2016 verantwortlich macht, und die kurdische PKK-Guerilla.
       
       ## Nur noch 100-Prozent-Loyalisten
       
       An die Adresse von Gülen sagte er: „Wir werden nicht zulassen, dass dieser
       Kampf verwässert wird, sondern wir werden diese Verräterbande ausmerzen.“
       Der PKK und der YPG (syrische Kurden die mit der PKK verbündet sind) drohte
       er gnadenlose Verfolgung an. „Wer wissen will, wozu wir fähig sind, soll in
       unsere Geschichte schauen“, sagte er. Eine neue Friedeninitiative zur
       Beilegung des Konflikts mit den Kurden scheint damit ausgeschlossen.
       
       Um seinen Drohungen Nachdruck zu verleihen kündigte er an, dass der
       Ausnahmezustand im ganzen Land so lange aufrechterhalten wird, bis „Ruhe
       und Wohlstand“ eingekehrt seien.
       
       Beobachter erwarten, dass Erdoğan die AKP auch personell völlig auf sich
       ausrichten wird. Vor dem Parteitag hatte er angekündigt, mehr junge Leute
       in die zentralen Funktionen der Partei bringen zu wollen, Leute, die in
       ihrem politischen Leben nur Erdoğan an der Spitze erlebt haben.
       Entsprechend verändert sieht die Liste des neuen Vorstandes aus. Von den
       einstigen Schlüsselfiguren, die mit Erdoğan die Partei gründeten, ist
       niemand mehr dabei, es gibt nur noch 100-Prozent-Loyalisten.
       
       Für Erdoğan ist mit dem Parteitag die Transformation des Landes in seine
       „Neue Partei“ vollbracht. „Die Zeit der Worte ist vorbei“, kündigte er an,
       „jetzt kommt die Zeit der Praxis.“
       
       21 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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