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       # taz.de -- Unruhen in Tunesien: Es ist wieder Frühling
       
       > Bürgerproteste weiten sich aus. Aber nicht alle Soldaten wollen gemäß dem
       > Wunsch des Präsidenten dagegen vorgehen.
       
   IMG Bild: Schon vor einem Jahr krachte es in Kasserine
       
       Tunis taz | Der tunesische Präsident Beji Caid Essebsi hat angekündigt, die
       Armee gegen die sich ausweitenden Straßenproteste im Süden Tunesiens
       einzusetzen.
       
       In der vom Staatsfernsehen Watanya live übertragenen Rede am Mittwoch hielt
       der 90-jährige eine Deklaration der Protestbewegung aus der Stadt Tataouine
       in die Kameras und machte sich über deren Forderung nach Verbleib von 20
       Prozent der Erlöse aus der Öl- und Gasförderung in der Region lustig.
       
       Seit Mitte Februar blockieren Aktivisten die Zugänge zu den
       Ölförderanlagen. Der österreichische Ölproduzent OMV zog daraufhin 800
       seiner internationalen Mitarbeiter aus dem Südwesten Tunesiens ab.
       
       „Das Recht auf Meinungsfreiheit und Protest schließt nicht die Blockade von
       Tunesiens wenigen Resourcen ein“, sagte Essebsi und begründete die Drohung
       mit Einsatz der Armee: „Dies ist eine schwerwiegende Entscheidung, aber wir
       müssen unseren Wohlstand schützen.“ Die Proteste würden die junge
       Demokratie gefährden, kommentierten auch den moderaten Ennahda-Islamisten
       nahestehende Medien.
       
       In Tataouine und rund um die Phosphatförderanlagen in Gafsa haben bereits
       Soldaten Stellung auf Straßenkreuzungen bezogen. Zwei Jugendliche, die
       T-Shirts mit Slogans gegen Polizeigewalt drucken ließen, wurden von
       Spezialeinheiten festgenommen und zu sechs Monaten Haft verurteilt.
       
       Tarek Haddad, Koordinator der Sit-Ins in El Kamour nahe den Ölfeldern,
       reagierte empört. „Wir werden nicht klein beigeben“, sagte er. Die
       Forderung, die Region „am Wohlstand zu beteiligen“, wolle man weiterhin „im
       Dialog erreichen“.
       
       ## Spontane Bürgerbewegungen
       
       Staatsmedien unterstellen der Protestbewegung, von islamistischen Parteien
       unterwandert zu sein. Es bilden sich in der unterentwickelten Sahel-Region
       Tunesiens jedoch immer mehr spontane Bürgerbewegungen, die sich sowohl von
       Parteien als auch von Gewerkschaften distanzieren.
       
       In Kebili behindern so Bürger die Phosphatproduktion und protestieren damit
       gegen Arbeitslosigkeit und Umweltbelastung. Das Versprechen der Regierung,
       ein Zehntel der Einnahmen in Entwicklungsprojekte in Gafsa zu stecken,
       wurde nach Meinung der Aktivisten nicht umgesetzt.
       
       Die betroffenen Unternehmen bekommen die Folgen zu spüren. „Unter normalen
       Bedingungen würden wir bis zu 10 Millionen Dollar pro Tag einnehmen, nun
       verdienen wir nichts“, beschwert sich Mohammed Hamdi, Abteilungsleiter in
       der Groupe Chimique aus Tunis, wohin fast alle Einnahmen der
       Phosphatproduktion fließen.
       
       Sollten die Straßenblockaden weitergehen und die CPG ihren fast 8000
       Mitarbeitern die Löhne nicht mehr zahlen können, befürchtet Hamdi
       bürgerkriegsähnliche Zustände.
       
       ## Immer mehr Soldaten verweigern sich
       
       Ob die Armee tatsächlich gegen die Blockaden vorgeht, ist ungewiss. Wie
       während des Aufstandes gegen Ben Ali Anfang 2011 weigern sich auch jetzt
       viele Soldaten und Offiziere, gegen unbewaffnete Bürger Gewalt einzusetzen.
       
       In sozialen Medien posteten Hunderte Uniformierte ihre Rangabzeichen und
       den Slogan der Bürgerbewegung: „Wir werden weitermachen.“
       
       12 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mirco Keilberth
       
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