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       # taz.de -- Fanartikel für Rechtsextreme: Nazi-Nostalgie und rechte Sprüche
       
       > Der Handel mit NS-Devotionalien gehört zum Geschäft auf dem Flohmarkt in
       > Markkleeberg. Eine neurechte Gesinnung wird gleich mitgeliefert.
       
   IMG Bild: Marktromantik: Nicht alle Stände setzen auf das Geschäft mit NS-Devotionalien
       
       MARKKLEEBERG taz | Ohne das Objekt seiner Begierde aus den Augen zu
       verlieren, schiebt er sich wie paralysiert durch die Flohmarkt-Gänger auf
       dem Agra-Gelände in Markkleeberg bei Leipzig. In seinem Gesicht blitzen
       silberne Piercings, sein Kopf ist kahlgeschoren. Sven Hartmann trägt eine
       ausgewaschene rote Jogginghose aus Baumwolle, übersät mit Fusseln und
       Knötchen, die sich dunkel gefärbt haben. Über der Hose baumelt eine
       Bauchtasche, gefüllt mit Bargeld.
       
       Der Stand, an dem er es ausgeben will, ist schon von weitem unübersehbar:
       Der Größe nach aufgereiht hängen hier Gewehre und Pistolen. Die aus Holz
       und Eisen gefertigten Waffen glänzen frisch poliert. Stehen Interessierte
       vor dem Stand, fallen auch die unzähligen Dolche, Messer und Militärorden
       in den Glasvitrinen vor den Waffen ins Auge. Genau darauf hat es Sven
       abgesehen. Er zeigt auf eine der Vitrinen: „Kannst du mir die mal
       aufmachen?“, fragt er genauso zielstrebig, wie er sich durch die
       Flohmarktbesucher gekämpft hat.
       
       Der Händler, Ronny Stelzke, würde mit seinem weißen Bart und seiner blauen
       Kapitänsmütze gut hinter das Steuer eines Fischkutters auf der Nordsee
       passen. Allein sein Berliner Dialekt passt nicht – aus der Nordsee wird der
       Wannsee: „Nach Polen geh ick nur anner Spitze der Waffen-SS“, lacht er.
       Sven stimmt ein. Fein säuberlich sind auf den Orden in der Vitrine
       verschiedene Stellen mit konfettigroßen Papierschnipseln bedeckt.
       
       ## Verdeckte Hakenkreuze
       
       Einer der Orden liegt in einer grünen Schachtel, die mit einem kleinen,
       weißen Kissen ausgekleidet ist. Zwei goldene Schwerter kreuzen sich in der
       Mitte, davor glänzt ebenfalls golden ein Soldatenhelm. Der kleine
       Schnipsel, der eigentlich das dort eingravierte Hakenkreuz bedecken soll,
       ist verrutscht. Bei dem Orden handelt es sich um ein Verwundetenabzeichen
       für das Heer, einer Auszeichnung für verletzte Soldaten im Zweiten
       Weltkrieg.
       
       Auf dem Antik- und Trödelmarkt auf dem Agra-Gelände gibt es so gut wie
       alles, auch Sammelobjekte aus dem Dritten Reich, sogenannte
       NS-Devotionalien: Reichsadler aus Metall, gusseiserne Porträts von Hitler,
       Wehrmachtsuniformen – eben was das Herz begehrt. Sven interessiert sich für
       eine Schachtel, die neben dem Verwundetenabzeichen liegt. Er kramt ungefähr
       300 Euro aus seiner Bauchtasche und reicht sie Ronny. Gekauft.
       
       Ronny bezieht seine Waren aus Haushaltsauflösungen. Eigentlich hat er in
       der DDR mal „irgendwas mit Kunst an der Humboldt-Universität in Berlin“
       gelehrt. Nach dem Mauerfall – Abwicklung: „Dann kamen die westdeutschen
       Akademiker und haben uns den Job weggenommen.“ Er habe dann versucht, sich
       künstlerisch zu betätigen, aber damit lasse sich eben kein Geld verdienen.
       Auf dem Antik- und Trödelmarkt auf dem Agra-Gelände in Markkleeberg ist er
       deswegen häufiger anzutreffen.
       
       ## Alles darf verkauft werden
       
       Seit 1990 wird hier verkauft, gehandelt und gekauft: „Nach der Wende hat
       jeder versucht, mit irgendwas Geld zu machen“, erklärt Matthias Seifert. Er
       ist der Geschäftsführer der Abuha Seifert GmbH, die den Flohmarkt betreibt.
       Die zwei Hallen des Agra-Geländes sind laut Seifert seit jeher ausgebucht.
       Die Händler kommen aus ganz Deutschland, den Benelux-Ländern, Polen,
       Tschechien – manche reisen sogar aus Großbritannien, Italien und Schweden
       an. Viele von ihnen verkaufen hier gewerblich.
       
       Anbieten können sie alles, Einschränkungen gibt es lediglich für Waffen. Da
       bedarf es einer Sondergenehmigung. Was in den Kofferräumen passiert, das
       wisse er allerdings nicht, räumt Seifert ein. Er bemerkt auch, dass es ihn
       persönlich störe, dass sich die Händler, die NS-Devotionalien verkaufen, in
       den existierenden Rechtslücken eingenistet hätten.
       
       Die Grundlage für die „Rechtslücken“ findet sich im Strafgesetzbuch. Die
       Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ist demnach
       in der Öffentlichkeit verboten – dazu gehören auch NSDAP, SS und Wehrmacht.
       Das lässt sich aber einfach umgehen: Die meisten Händler kleben laut
       Seifert Hakenkreuze und dergleichen einfach ab – so wie Ronny Stelzke mit
       den Papierschnipseln.
       
       Ab und zu gebe es Anzeigen. Die Polizei könne aber wegen der unklaren
       Rechtslage beziehungsweise weil der Umfang des Tatbestandes zu gering sei,
       nichts tun. Wenn er selbst Rechtsverstöße, also nicht abgeklebte
       NS-Symbolik, wahrnehme, mache er Händler darauf aufmerksam. „Militaria sind
       fester Bestandteil des Trödelmarkt-Geschehens. Wenn ich den Handel von
       Militaria aus der NS-Zeit komplett verbieten würde, wären auch Händler
       betroffen, die schon seit Ewigkeiten auf den Markt kommen. Sie verkaufen
       auch viele andere Dinge.“
       
       ## Gute Geschäfte mit Nazi-Kram
       
       NS-Militaria bedeuten also nicht nur für den Flohmarktbetreiber, sondern
       auch für die Händler ein gutes Geschäft. Ein Händler erzählt, dass er schon
       morgens 4.000 Euro allein mit Militaria eingenommen hat. Für Orden aus der
       NS-Zeit legen Kunden zwischen 250 und 2.500 Euro auf den Tisch, für
       Uniformen 600 bis 2.000 Euro.
       
       Auch Ricardo Marx steht um 9.40 Uhr schon zufrieden im Zentrum seines
       Standes. Ordentlich aufgereiht hängen an der Rückseite verschiedene
       Uniformen. Auf dem Tisch davor liegen Rucksäcke: von den Alliierten, von
       Soldaten der Wehrmacht. Viel hat Ricardo nicht in seiner Auslage: „Das
       richtige Geschäft habe ich heute Nacht, um drei, vier Uhr, gemacht. Die
       Polen und Tschechen, die haben viel gekauft“, erklärt er.
       
       Vor allem NS-Devotionalien. Egal, ob man etwas kauft oder nicht, die Blaue
       Post, das AfD-Parteiblatt und das Programm der Partei, gibt es gratis. Wer
       will, bekommt hier auch Aufkleber der Identitären Bewegung: „Wehr dich es
       ist dein Land“ steht darauf. „Die AfD, genauso wie der Trump in den USA,
       die werden von den normalen Arbeitern gewählt“, erklärt Marx. Beim Sprechen
       betont er besonders das r: „Trrrrump“.
       
       ## Der Händler als Fan
       
       Dass er sich selbst zu den „normalen Arbeitern“ zählt, verrät nicht nur der
       selbstsichere Blick in seinen Augen. Auch sein Erscheinungsbild spricht
       dafür: Er trägt eine schwarze Bundhose von Engelbert Strauss, einem
       Ausstatter für Arbeitsbekleidung. Marx erzählt, dass sein Lohn seit zehn
       Jahren nicht mehr gestiegen sei.
       
       „Bei Hitler, da war der Friseur noch was wert. Auch in der DDR“, sagt er.
       Jetzt lässt er sich über Sebastian Edathy aus. „Wo ist denn der
       Kinderficker Edathy?“, schreit Ricardo fast schon. Sebastian Edathy wurde
       2014 verdächtigt, sich Kinderpornografie beschafft zu haben. Nachdem der
       SPD-Politiker den Vorwurf zugab, wurde das Strafverfahren gegen ihn
       eingestellt. Das Strafgesetzbuch gelte eben nur für Deutsche, nicht für
       „Kanacken“, sagt Ricardo.
       
       Plötzlich kommt er aber doch wieder auf seinen Stand auf dem Agra-Markt
       zurück. Auch, wenn es hier ein wenig abgegrast aussähe, habe er viele
       Dinge, die er nicht auf dem Verkaufstisch präsentiert. Er geht zum hinteren
       Teil seines Standes und greift in eine Kiste. Heraus zieht er ein kleines
       bläuliches Heftchen, ungefähr so groß wie ein deutscher Reisepass.
       
       Er blättert durch den Wehrmachtsausweis und bleibt auf einer Seite hängen,
       auf der die Stationen eines deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg
       eingetragen sind: „Ja, guck mal, wo der Mann überall war. Hier, Litauen zum
       Beispiel“, sagt Ricardo beeindruckt. Es wirkt, als sei er ein wenig stolz
       auf diesen viel gereisten Soldaten.
       
       Sven Hartmann kommt indessen zum Stand von Ronny Stelzke. Die gekaufte
       Schachtel sei vom Eisernen Kreuz. Sie passe also nicht zum erstandenen
       Orden. Stelzke lenkt ein und gibt ihm sein Geld zurück – kein Problem. Der
       nächste Käufer wird kommen.
       
       Mitarbeit: Florian Franzen, David Knapp, Vera Weber
       
       26 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Müller
       
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