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       # taz.de -- Psychologe über Smartphonerisiken: „Gebt Kindern Aufmerksamkeit“
       
       > Sind Smartphones schlecht für Kinder? Nicht zwingend, sagt Georg Milzner:
       > Computerprobleme seien zu 90 Prozent Beziehungsprobleme.
       
   IMG Bild: Mangelnde Aufmerksamkeit, nicht das Smartphone ist das Problem
       
       taz: Herr Milzner, dicke Kinder, Einschlaf- und Konzentrationsstörungen:
       Glaubt man der [1][BLIKK-Studie], müsste man Kindern und Jugendlichen
       Smartphones und Tablets sofort aus den Händen reißen. 
       
       Georg Milzner: Das hängt vom Alter ab. Und es hängt vor allem davon ab, wie
       die Beziehungen drumherum gestrickt sind. Die Studie macht den Fehler, den
       fast alle Studien im Augenblick machen, die sich mit Smartphones
       beschäftigen: Sie gucken weder darauf, in welchen Beziehungsgefüge die
       Geräte genutzt werden, noch wie sie genutzt werden. Und das macht die
       Studie im Großen und Ganzen zu einer Sammlung von Banalitäten. Was man
       eigentlich brauchen würde ist ein klarer Blick darauf, wie unsere
       Aufmerksamkeitsökonomie beschaffen sein sollte. Smartphones haben natürlich
       eine Tendenz dazu, Aufmerksamkeit zu zerstreuen und damit die Dichte der
       Anteilnahme schwerer zu machen, die für ein gutes Gedeihen von Kindern
       Voraussetzung ist. Aber das liegt nicht an den Geräten, sondern daran, was
       wir damit tun.
       
       Die BLIKK-Studie warnt, dass 2- bis 5-Jährige zu motorischer
       Hyperaktivität, Konzentrationsstörungen und Sprachentwicklungsstörungen
       neigen. Marlene Mortler, die Bundes-Drogenbeauftragte, leitet daraus ab:
       Smartphones gehören nicht in Kinderhände. 
       
       Das ist einerseits banal, weil Kleinkinder mit Smartphones nichts anfangen
       können – die sind ja viel haptischer und gustatorischer. Und in ein
       Smartphone zu beißen ist einfach nicht toll. Insofern besagt das erst
       einmal gar nichts. Aber ob man es jetzt sofort aus der Hand reißen sollte,
       das ist ja eine andere Frage. Klar ist: Wenn Sie einem 3-Jährigen ein Gerät
       in die Hand geben und einfach nur abwarten, was passiert, dann wird das
       Kind in absehbarer Zeit gewisse Verwahrlosungserscheinungen zeigen.
       
       Das Kleinkind vor dem Gerät parken, um es ruhigzustellen, ist also ein
       Problem. Wie ist es, wenn man sich gemeinsam Fotos anschaut und darüber
       spricht? 
       
       Auf der Bindungsebene hat das einen höheren Wert. Neunzig Prozent der
       Computerprobleme sind doch Beziehungsprobleme. Und der verbleibende Rest
       hat damit zu tun, dass fehlt, was ich mediale Mischkost nenne. Dass es
       nicht förderlich ist, ein Kind allein YouTube gucken zu lassen, kann sich
       noch der größte Laie zusammenrechnen. Das passiert aber auch, wenn das Kind
       die ganze Zeit über nur liest. Wenn es keinen Ausgleich gibt, kommt es zu
       Vernachlässigungen der Muskulatur, des Naturkontakts, der Sozialwelt und so
       weiter. Aber diese Probleme sind ja nicht erst mit Smartphones in die Welt
       gekommen.
       
       Im Kontext der Studie ist jetzt wieder von Sucht nach Smartphones und
       Internet die Rede. 
       
       Ich sehe das sehr kritisch. Der Suchtbegriff wird bei uns ja gerade etwas
       inflationär genutzt. Und wenn ein Begriff inflationär benutzt wird, sagt er
       irgendwann gar nichts mehr aus. Man ist sich ja nicht einmal ganz darüber
       im Klaren, was man eigentlich als Sucht bezeichnen will: Internetsucht?
       Spielsucht? Computersucht? Bildschirmsucht? Ein leidenschaftlicher Zocker
       ist nicht unbedingt süchtig. Der könnte ein Problem kriegen, wenn er
       darüber alles andere vernachlässigt – aber das könnte ein
       leidenschaftlicher Leser auch bekommen.
       
       Apropos: Die BLIKK-Studie führt dann zu Überschriften wie „Babys leiden
       unter smartphonesüchtigen Müttern“. 
       
       Na, da würde man sagen: Süchtige Mütter schaden ihren Kindern eigentlich
       immer. Ob die aber gerade computer- oder smartphonesüchtig sind, das
       sollten wir uns noch mal genauer anschauen. Wenn nämlich eine ganze Kultur
       dauernd Smartphones benutzt, dann ist entweder die Kultur im Ganzen krank
       oder kaum jemand. Die Trennschärfe, also das, was für seriöse Forschung das
       entscheidende Kriterium ist, die geht hier einfach immer mehr verloren. Und
       die Ergebnisse sind dann auch entsprechend.
       
       Wie ist das mit den gerade genannten negativen Folgen für 2- bis 5-Jährige,
       die Smartphone-Nutzung von mehr als 30 Minuten pro Tag haben soll? 
       
       Komplett absurd. Wenn ein Kind 30 Minuten lang mit seiner Mutter in der
       Natur unterwegs ist und dabei mit einem Smartphone Schnecken fotografiert,
       dann hat sich dieses Kind bewegt, gesprochen und soziale Erlebnisse gehabt.
       Wenn es das jetzt zwei Stunden lang macht, ist es müde von der Bewegung,
       hat eine Sammlung Filmchen und mit der Mama was Tolles erlebt. Wo bitte ist
       das Störungsbild? Die Studie differenziert recht wenig. Das ist aber
       generell der Fall: Suchtproblematik wird immer an der Dosis festgemacht.
       Das ist aber schon allein aus klinischer Sicht falsch – denn die Dosis
       allein ist nicht entscheidend, da müssen noch zwei, drei Faktoren
       hinzukommen.
       
       Sie können dieser Studie also gar nichts abgewinnen? 
       
       Sie kommt schon auf den wesentlichsten Faktor: die Verteilung der
       Aufmerksamkeit. Das ist ein Mordsproblem, das wir alle gemeinsam zu stemmen
       haben. Das ist jetzt extrem geworden, existierte aber schon vorher – denken
       wir nur an die Unruhe beim Zappen oder an Mütter oder Väter, die ständig
       telefonieren, während das Kind dabei ist – das gab es schon vor dem
       Smartphone, aber jetzt sieht man es halt. Wenn in der BLIKK-Studie jetzt
       drinsteht, dass Mütter, die Smartphones nutzen und stillen, unruhige Babys
       haben, denen es schlecht geht, dann muss man sagen: So stimmt das nicht.
       Wenn die Mutter beim Stillen das Smartphone nutzt, schenkt sie dem Kind
       natürlich weniger Aufmerksamkeit, das merkt das Kind und findet das nicht
       gut. Aber auch das liegt nicht am Gerät, sondern daran, dass die Mutter
       vielleicht noch lernen muss, sich mit dem Kind zu beschäftigen. Das
       Entscheidende ist doch: Wenn Sie mit dem Kind sind, dann möglichst
       ungeteilt. Ich finde es doch auch bescheuert, wenn mir jemand
       gegenübersitzt und die ganze Zeit telefoniert.
       
       Sprechen wir hierzulande über Kinder, Jugendliche, Smartphones und
       Computer, dann gibt es zwei Lager: die mit den großen Ängsten und die mit
       der riesigen Euphorie. Und es gibt ohne Ende verunsicherte Eltern. Wann
       kommen wir denn da endlich an den Punkt einer sinnvollen, nicht so
       polarisierten Debatte? 
       
       Das sind sehr extreme Lager und die sind beide in ihren Aussagen sehr
       dürftig. Beide sparen sich das aufmerksame Hingucken und die große
       Herausforderung, daraus abzuleiten, was jetzt zu tun ist. Und die ist
       wirklich immens angesichts eines digitalen Kulturwandels von
       unvergleichbaren Ausmaßen, den wir derzeit erleben. Es ist Blödsinn, zu
       sagen, jedes Kind, das ein Smartphone nutzt, ist ein gefährdetes Kind. Ich
       würde sagen: Jedem Kind, das ein Smartphone nutzt, wünsche ich Eltern, die
       sich erstens auch ein bisschen auskennen. Und die zweitens mit dem Kind
       zusammen Spiele suchen, Funktionen suchen und die miteinander teilen.
       
       Worauf wäre noch zu achten – gerade bei etwas älteren Kindern? 
       
       Es wäre gut zu wissen, ob das Kind in einem WhatsApp-Chat drin ist, zum
       Beispiel einem Klassenchat. Bis kurz vorm Jugendlichenalter wäre es auch
       sinnvoll, immer mal wieder reinzugucken und darüber zu reden, was dort
       abläuft. Wenn man einem Kind jetzt ein Smartphone gibt und sagt: „Schauen
       wir mal, was passiert“, dann wird das wahrscheinlich nicht so gut. Am
       Allerschlimmsten ist aber, wenn man als Erwachsener glaubt, die eigene
       Nutzung dieser Geräte hätte keine Auswirkungen.
       
       Es geht also um die Vorbildfunktion der Eltern? 
       
       Nicht nur die Vorbildfunktion, auch die Aufmerksamkeitsverteilung. Die
       Österreicher verzeichnen, genau wie die Amerikaner, seit einigen Jahren
       eine steigende Anzahl von Unfällen auf Spielplätzen, nachdem die vorher
       rückläufig gewesen waren. Und das kann man zeitlich ziemlich genau damit in
       Verbindung bringen, dass die ersten Tablets in großen Mengen verkauft
       wurden. Da passieren fatale Dinge. Indem nämlich ganz normale Leute –
       keineswegs Hardcorezocker – durch das, was ihre Phones an Signalen geben,
       von den Kindern weggezogen werden. Und dann im entscheidenden Moment nicht
       hingucken, weil in ihrer Sakkotasche was summt. Es wäre also gut, Eltern
       mitzuteilen: Nicht nur eure Kinder verändern sich, ihr auch. Wenn ihr etwas
       für sie tun wollt, gebt ihnen Aufmerksamkeit und nehmt Anteil. Das
       Smartphone für eine Weile auszustellen, könnte euch schwerfallen, weil ihr
       befürchtet, wesentliche Informationen nicht zu kriegen. Diese Befürchtung
       ist aber vor allem eine Fantasie.
       
       30 May 2017
       
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   DIR [1] http://www.drogenbeauftragte.de/presse/pressekontakt-und-mitteilungen/2017/2017-2-quartal/ergebnisse-der-blikk-studie-2017-vorgestellt.html
       
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       Gut denkbar, dass es da einen Zusammenhang gibt.
       
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       Man sollte das Ding also auch mal loben.