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       # taz.de -- Kolumne Kapitalozän: 13.000 Punkte Irrsinn
       
       > Steigt der Dax auf 13.000 Punkte? Gott, ist die Frage irrelevant. Warum
       > haben wir nur aufgehört zu relaxen, so wie einst 70.000 Jahre lang?
       
   IMG Bild: Ein Boot ist schön, aber wo soll da der Hund ein Loch graben?
       
       Ich weiß jetzt, wie der Kapitalismus aufhört!!! Das kam so: Ich ging mit
       dem Hund an den See, setzte mich ans Ufer und starrte aufs Wasser. Dort
       fuhr ein Boot vorbei, und ich dachte, ich will auch ein Boot. Der Hund grub
       derweil ganz meschugge an einem Loch. Er war wie besessen davon und
       buddelte so heftig, dass eine wahre Sandfontäne auf mir niederging. Ich
       fragte mich, warum der Hund das tut, und winkte dem Boot. Niemand grüßte
       zurück.
       
       Für ein Boot müsste ich mehr Geld haben, mehr arbeiten, und dann würde ich
       nach einer Menge Plackerei mit dem Hund ans Ufer starren und mir überlegen,
       dass es doch sehr schade ist, nicht mehr am Strand zu sitzen. Weil der arme
       Hund im Boot kein Loch graben kann.
       
       Steigt der DAX bald auf 13.000 Punkte? Ist das nicht unfassbar spannend?
       Das gab es noch nie!! Yeah!!!!! WTF bedeutet das, 13.000 Punkte? Hat jemand
       eine Ahnung? Essen Sie einen Geldschein. Wie schmeckt er? 
       
       Lassen Sie mich nun von einem Clown erzählen, den ich einst in Kreuzberg
       aufsuchte. Er war melancholisch, besitzlos und hatte wildes Haar. Als ich
       den Innenhof seines Habitats betrat, stand er gerade vor einem ratternden
       Kasten auf Rädern, den er konstruiert hatte. Der Kasten vibrierte heftig
       und stieß eine Fontäne schwarzen Schlabbers senkrecht in den Himmel, wie
       eine Erdölquelle. Bald triefte der Clown davon und erzählte mir prustend,
       dass er mit diesem Gerät gegen Erdöl zu demonstrieren gedenke. Er war sehr
       stolz auf seine Erfindung. In seiner Küche kochte er mir eine Suppe aus
       Kartoffeln und Roter Beete und erklärte mir, er lebe nicht im Kapitalismus,
       sondern im Solidarismus.
       
       Jahre später, am See sitzend, stellte ich mir folgende Frage: Was machte
       der Mensch zwischen dem 1. Januar des Jahres 159987 und dem 31. Dezember
       69999 vor Christus? Niemand weiß das so richtig. In all der Zeit lebten
       Menschen in Afrika, benutzten Werkzeuge und kochten, aber niemand bemalte
       Höhlenwände, bestattete Tote oder wäre mal losgelaufen, um sich den Rest
       der Welt anzugucken. Es gab vermutlich keine Religion, keine Kunst, keinen
       Besitz.
       
       In einem Buch las ich folgenden Gedanken: Wenn der Mensch sein Bewusstsein
       technologisch mit anderen Bewusstseinen verschmelzen könnte, dann entstünde
       eine gänzlich neue Daseinsform. Diesem Neuen wäre egal, was wir heute für
       wichtig erachten. Religionen, Kapitalismus, DAX, 13.000 Punkte. Das alles
       gibt es nur in unseren Köpfen und es könnte als Kategorie unseres Denkens
       einfach verschwinden. Wie sich das Neue anfühlt? Versuchen Sie sich als
       Hund zu fühlen oder sich eine Farbe vorzustellen, die es nicht gibt.
       
       Die Theorie aus dem Buch gefällt mir, obwohl sie der kapitalistischen Logik
       entspringt. Die These ist deshalb so dermaßen steil, weil sie sich nur so
       enorm gut verkaufen lässt. Ich postuliere stattdessen zur Beendigung des
       Kapitalismus eine artgerechte Haltung des Menschen. Wir haben 70.000 Jahre
       lang relaxt. Das muss doch einen Grund haben.
       
       So dachte ich, als der Hund am Strand grub. Ich stand auf, pulte mir Sand
       aus dem Ohr, und wir gingen heim, um uns solidarisch eine Wurst zu teilen.
       
       19 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arzt
       
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