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       # taz.de -- Meşale Tolu: Festnahme als Bestrafung
       
       > Die Vorwürfe gegen die deutsche Journalistin Meşale Tolu sind
       > undurchsichtig. Die Regierung gibt derzeit keine Einzelheiten über Tolus
       > Festnahme bekannt und habe einen Besuchsantrag des Konsulats
       > unbeantwortet gelassen.
       
       Die Vorwürfe gegen die in der Türkei verhaftete deutsche Journalistin und
       Übersetzerin Meşale Tolu stützen sich auf die Aussagen eines „anonymen
       Zeugen“. Das geht aus ihrem Vernehmungsprotokoll hervor, das der taz
       vorliegt.
       
       Tolu wurde am 30. April in Istanbul in Polizeigewahrsam genommen. Am 6. Mai
       wurde die deutsche Staatsbürgerin verhaftet und befindet sich seitdem in
       der Frauenhaftanstalt Bakırköy.
       
       Bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft musste Tolu Fragen zu ihrer
       Anwesenheit bei diversen Veranstaltungen beantworten. So wollten die
       Vernehmer wissen, warum sie die Beerdigung von Yeliz Erbay, die im Dezember
       2015 bei einer Polizeieinsatz ums Leben gekommen war, besucht hatte;
       weshalb sie bei der Pressekonferenz für die deutsche Staatsbürgerin Ivana
       Hoffmann anwesend war, die als Teil der kurdischen Miliz YPG im Kampf gegen
       den „Islamischen Staat“ getötet wurde; und weshalb sie die
       Gedenkveranstaltung für Suphi Nejat Ağırnaslı besucht hatte, der in
       Deutschland zur Schule gegangen und im Oktober 2014 als YPG-Kämpfer während
       des Kobani-Widerstands gestorben war.
       
       Es handelt sich bei all dem um Veranstaltungen, die von der Ezilenlerin
       Sosyalist Partisi (ESP), zu deutsch „Sozialistische Partei der
       Unterdrückten“, mitorganisiert wurden. Die ESP ist bisher allerdings nicht
       als terroristische Vereinigung eingestuft.
       
       ## Fragwürdiger Zeuge
       
       Tolus Vater gibt auf Anfrage der taz an, die 33-Jährige habe die
       Veranstaltungen lediglich als Journalistin verfolgt. Meşale Tolu wird von
       der Staatsanwaltschaft „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und
       Terrorpropanganda“ vorgeworfen. In ihrer Verteidigung äußerten Tolus
       Anwälte: „Die ESP ist eine legale Partei. Alle Veranstaltungen, die von der
       ESP organisiert werden, sind im Rahmen der Meinungsfreiheit geschützt, und
       haben nicht den Zweck Terrororganisationen zu glorifizieren.“
       
       Auch zudem erwähnten „anonymen Zeugen“ äußerten die Anwälte Zweifel, da
       dieser Zeuge nicht einmal den Namen ihrer Mandatin kenne. Tolus Anwältin
       Gülhan Kaya erklärt: „Stellen Sie sich vor, der anonyme Zeuge kennt Tolu
       überhaupt nicht, aber erstattet Anzeige gegen sie. Und das geht als
       Beweismittel in ihre Akte ein. Das lässt sich rechtlich überhaupt nicht
       erklären, weil es unrechtens ist. Es ist nur ein weiteres Zeichen dafür,
       wie es um die Justiz in diesem Land steht.“
       
       Baki Selçuk, Sprecher von Meşale Tolus Familie, sagt, Tolu dürfe bereits
       von Angehörigen besucht werden. „Meşale geht es gut“, erklärt er, „sie
       weiß, dass viele ihrer Kollegen, wie etwa Deniz Yücel, sich in einer
       ähnlichen Situation befinden wie sie. Da ihr kein Stift und kein Papier
       gegeben wurden, konnte sie keine Nachricht nach draußen verfassen.“ Zuletzt
       habe Tolu ihr zweieinhalbjähriges Kind zu sich in die Frauenhaftanstalt
       Bakırköy geholt.
       
       Tolus Sprecher Selçuk berichtet weiter, dass Tolus Informationsfreiheit
       eingeschränkt werde, sie dürfe keine Nachrichten lesen. Tolu werde damit
       ganz klar für ihren Beruf als Journalistin bestraft. Am Dienstag habe die
       Familie ein Gespräch mit dem Deutschen Konsulat. Der deutsche Konsul habe
       Tolu bisher immer noch nicht besuchen können und es gebe noch keine
       Erklärung, wann dies stattfinden könne.
       
       Am Dienstag besuchte Tolus Familie das Deutsche Konsulat, begleitet vom
       Anwalt Kader Tonç. Generalkonsul Georg Birgelen sei nicht dabei gewesen, so
       Tonç. Weiter sagt der Anwalt, die Regierung gebe derzeit keine Einzelheiten
       über Tolus Festnahme bekannt und habe einen Besuchsantrag des Konsulats
       unbeantwortet gelassen.
       
       Martin Schäfer, Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte am Montag: „Wir
       werden natürlich nicht nachlassen, den völkerrechtlichen Anspruch, den wir
       gegenüber dem türkischen Staat haben, auch einzufordern. Ich kann Ihnen nur
       hier und heute leider auch in diesem Fall noch keine positive Antwort der
       türkischen Seite vermelden.“
       
       „Ich hoffe, mit dem Druck der Öffentlichkeit, können wir mit einem früheren
       Ergebnis rechnen“, so Selçuk. „In der Stadt Ulm, wo Meşale herkommt, wurde
       bereits ein Solidaritätskommittee gegründet. Sie werden jeden Freitag eine
       Pressemitteilung herausgeben. Parellel dazu gibt es auch verschiedene
       Veranstaltungen in Istanbul.“
       
       16 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ali Çelikkan
       
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