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       # taz.de -- Fake News: Stille Post im Internet
       
       > Die Behörden entziehen einem Eigentümer zeitweilig die Verfügungsgewalt
       > über leer stehende Wohnungen. Die Geschichte munitioniert Trump-Fans
       
   IMG Bild: Erklärt Donald Trump hier Angela Merkel, wie sie Geflüchtete unterbringen soll?
       
       Niemand hätte wohl je daran gedacht, dass ein schmuckloses Haus in der
       Ohlendorffstraße im Stadtteil Hamm zum Gegenstand internationalen
       Interesses werden könnte. Genauso wenig dürfte damit gerechnet worden sein,
       dass ein Verwaltungsakt im Bezirk Mitte am Ende die Fake-News-Maschinerie
       jenseits des Atlantiks füttern könnte. Aber genau das ist in dieser Woche
       passiert.
       
       [1][In der Ausgabe vom 2. Mai veröffentlichte die taz.hamburg einen Bericht
       über die Immobilie]: Der Bezirk Mitte hatte dem Besitzer die
       Verfügungsgewalt über das Wohnhaus entzogen, weil dieser darin mehrere
       Wohnungen jahrelang hatte leer stehen lassen – immerhin seit 2012. Zum
       ersten Mal wurden damit die relativ neuen Instrumente des 2013 – also lange
       vor der „Flüchtlingskrise“ – verschärften [2][Hamburger
       Wohnraumschutzgesetz]es angewendet. Dieses erlaubt bei Zweckentfremdung
       oder Leerstand von Wohnobjekten das zeitweise Einsetzen eines Treuhänders,
       sofern der Eigentümer nicht nachweisen kann, dass er selbst dafür sorgt,
       die Immobilie wieder bewohnbar zu machen. .
       
       Darüber berichtete [3][im Lauf des 2. Mai auch das Hamburger Abendblatt].
       Drei Tage später, am 5. Mai, war der Vorgang dann beim – längst nicht nur
       bei AfD-Anhängern beliebten – Onlinemedium „PI-News“ bemerkt worden: Dort
       erschien ein Bericht, in dem ohne jeden Beleg unterstellt wurde, die
       Wohnungen würden wohl „an eine bestimmte, derzeit in Deutschland bevorzugte
       Klientel“ vermietet werden. Noch einen Tag später verbreitete der Blog
       „Journalistenwatch“, der sich als Kontrollinstrument der „Lügenpresse“
       versteht, den Beitrag erneut.
       
       Von hier aus gelangte die faktenarme Geschichte von der „Zwangsenteignung“
       im flüchtlingsfreundlichen Merkelland dann über den großen Teich: Der
       konservative Think Tank „Gatestone Institute“ veröffentlicht einen Bericht
       über die Vorgänge unter der Überschrift [4][„German Confiscating Homes to
       Use for Migrants“] – am 14. Mai auf Englisch, tags darauf auch auf Deutsch:
       [5][„Deutschland: Staat beschlagnahmt Wohnungen zur Unterbringung von
       Migranten“]. Autor Soeren Kern fragt am Ende seines Textes: „Werden die
       Behörden ein Wohnraummaximum pro Person festlegen und diejenigen, die große
       Wohnungen bewohnen, dazu zwingen, sie mit Fremden zu teilen?“
       
       Der Beitrag machte Karriere auf Facebook – aus der Sache war spätestens
       jetzt ein vermeintlicher Beleg für die verfehlte Einwanderungspolitik
       Deutschlands geworden. Das US-Blog „Gatewaypundit“ übernahm den ersten Teil
       von Kerns Beitrag wörtlich, ließ aber alle präzisierenden Erläuterungen
       weg, setzte irgendein Bild des „Flüchtlingsstroms“ darüber und titelte
       dann: „Germany Is Now Confiscating Homes To Use For Merkel’s Migrants!“
       Dass es um Hamburg ging und nicht um Deutschland: egal. Dass Merkels
       Partei, die CDU, in Hamburg gar nicht regiert: zu vernachlässigen, zumal
       aus derart weiter Ferne.
       
       Trump-nahe Foren wie „The Donald“ verbreiteten die Geschichte ebenso weiter
       wie die britische Gallionsfigur der „Alt Right“-Bewegung, Joseph Watson,
       dem immerhin rund 600.000 Menschen bei Twitter folgen. Weitere rechte Blogs
       und Foren griffen die Sache auf, in User-Kommentaren wurde Deutschland
       unter Merkel sowohl zur angeblich faschistischen wie auch kommunistischen
       Hölle.
       
       Darauf wies dann Anfang dieser Woche, am 15. Mai, [6][der FAZ-Blogger Don
       Alphonso] hin – die Geschichte war also, zurück aus dem medialen
       Durchlauferhitzer, wieder in Deutschland angekommen; noch mal zwei Tage
       später bemerkte auch das Abendblatt, welche Karriere seine einst in der
       taz.hamburg entdeckte Geschichte gemacht hatte.
       
       „Völlig sprachlos“ über all das, ist die Sprecherin des Bezirksamts Mitte,
       Sorina Weiland: Die Aktivitäten im Bezirk lösten nur sehr selten eine
       weltweite Resonanz aus, sagte sie: „Das ist nicht mehr einzufangen.“ Der
       Bezirk hat derweil ganz andere Probleme: Wegen maroder Wasserleitungen
       verzögert sich die Sanierung in der Ohlendorffstraße, wann es zur
       Neuvermietung kommt, ist völlig unklar.
       
       20 May 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /!5402289/
   DIR [2] http://www.landesrecht-hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?showdoccase=1&st=lr&doc.id=jlr-WoPflGHArahmen&doc.part=X&doc.origin=bs
   DIR [3] http://www.abendblatt.de/hamburg/article210438879/Bezirk-Mitte-fuehrt-erstmals-Zwangsvermietung-durch.html
   DIR [4] https://www.gatestoneinstitute.org/10352/germany-migrants-property-rights
   DIR [5] https://de.gatestoneinstitute.org/10364/deutschland-beschlagnahmt-wohnungen
   DIR [6] http://blogs.faz.net/deus/2017/05/15/wie-eine-hamburger-lokalnachricht-trumps-gefolge-festigt-4307/
       
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