URI: 
       # taz.de -- Schnapsverkostung in Österreich: Zum Wohl, Tirol!
       
       > Laufkundschaft in der Brennerei: Wenn Jakobsweg und Schnapsroute
       > identisch sind, wird das Wandern doppelt so schön.
       
   IMG Bild: Begrüßung auf der Blinzalm
       
       Etappe 8 des Jakobswegs, irgendwo zwischen Innsbruck und Telfs: Der Magen
       knurrt, die Werbeschilder entlang des Weges versprechen Speckknödel,
       Schlutzkrapfen und Strauben. Der Service im Gasthaus ist schnell, die
       Portionen sind so groß, dass sie noch jeden Wanderer in die Knie zwingen.
       Gut, dass die Route im Anschluss bei Hubert Draxl vorbeiführt.
       
       Der Kupferkessel in seinem Hofladen summt. Er atmet aus – und zwar
       Hochprozentiges, das vor unseren Augen in einen Edelstahlbehälter rinnt.
       Birne, lieblich, süß, aber nichts für uns. Der sportlich-schlanke Brenner
       schenkt Meisterwurz ein. „Der hilft gegen jedes Leiden. Egal ob der Magen
       spannt oder die Beine schmerzen.“ Bald muss man die Hand aufs Glas legen,
       denn Draxl gießt ungebremst nach. „Vogelbeere ist aber Pflicht“, sagt er
       und fügt hinzu: „Putins Lieblingsschnaps.“
       
       Der russische Staatschef hat schon mal mitten in der Nacht eine Limousine
       von seinem Urlaubsort St. Anton zu Draxls Hof nach Inzing geschickt, weil
       er mit seinen Leuten alle Flaschen geleert hatte. Bilder an der Wand
       belegen Putins Geschmack. Solche Geschichten sind gute PR, das bringt Draxl
       reichlich Laufkundschaft, die mit Rucksack und in Wanderschuhen auf der
       Matte steht, um sich geistig auf den nächsten Streckenabschnitt
       vorzubereiten. Der führt manchmal nur ins nächste Dorf, denn die Versuchung
       ist groß: Nach offiziellen Angaben gibt es mehr als 4.000 Brennereien in
       Tirol. Hunderte liegen direkt an der Schnapsroute – wenn darunter auch
       viele Landwirte sind, die nur einen Kessel im Keller haben und das Recht
       besitzen, das Obst, das rund um ihr Haus wächst, zu verflüssigen.
       
       ## Obst in Mengen
       
       Sie haben eine spezielle Erlaubnis durch einen Erlass von Erzherzogin Maria
       Theresia aus dem 18. Jahrhundert, der bis heute gültig ist, allerdings an
       den jeweiligen Hof gebunden. Heute kann natürlich jeder ein Gewerbe
       anmelden und Schnaps brennen. Und so kommt es, dass nach Angaben der
       zuständigen Landwirtschaftskammer jährlich rund 5 Millionen Kilo Obst
       durch die Kupferkessel in Tirol laufen. Was dabei rauskommt, ist in vielen
       Betrieben nicht einfach Schnaps, sondern Edelbrand.
       
       Dafür betreibt man hohen Aufwand: Das Obst wächst in Tirol, am besten auf
       den eigenen Feldern, wird von Hand geerntet und ohne Zugabe von
       Zusatzstoffen und Alkohol gebrannt. Aus 100 Kilo Vogelbeeren bekommt man
       gerade mal 2,5 Liter Schnaps. Das müssen die Tiroler Brenner erklären, um
       Preise jenseits der 100 Euro für manche Flasche zu rechtfertigen. Und sie
       müssen den Touristen demonstrieren, wie „schnapsln“ heutzutage geht. Glas
       bis zum Rand füllen, in einem Zug leeren, das Gesicht verziehen und
       aufstöhnen ist vorbei. Heute trifft man sich an großen Holztischen, wie
       denen von Günther Thaler in Rietz, das 2.100 Einwohner und mehr als 20
       Brenner hat. Er ist Edelbrandsommelier, reicht würzigen Hartkäse zu
       lieblichen Sorten wie Williams Birne und Schokolade zu Zigarrenbränden.
       Sein Black Gin wurde in der Schweiz bereits prämiert, er hat auch einen
       Gletscherbrand im Angebot, der ein Jahr im Eichenfass in einer Höhle
       jenseits der 2.000 Meter reift. Er lässt die Gäste aber nicht aus seinen 35
       Sorten wählen, sondern ermittelt mit Fragen nach deren Vorlieben und
       Abneigungen den richtigen Tropfen-
       
       Dann kommt das Ritual. Thaler schwenkt das bauchige Glas mit dem hohen
       Kamin („damit der Duft nach oben ziehen kann“) und erklärt, dass ein guter
       Brand Schlieren zieht und eine Struktur hinterlässt, „wie bei einem alten
       Kirchenfenster“. Er hält das Glas unters linke, dann unters rechte
       Nasenloch und schnuppert. Erst dann probiert er einen Minischluck. „Man
       lässt ihn auf der Zunge liegen und dann langsam runterrinnen.“ Theoretisch
       könnte man auch ausspucken, entsprechende Kübel stehen bereit. „Aber das
       macht eigentlich niemand, ist ja auch viel zu schade.“ Nach fünf Bränden
       muss man sich an die frische Luft retten und nach dem Weg suchen. Wer sich
       ständig zum Trinken verführen lässt, macht aus einer Tagesetappe schnell
       zwei.
       
       ## Edelstoff im Glasballon
       
       Dabei verläuft die Schnapsroute mit ihren 41 offiziellen Betrieben auf
       einfachen Wegen durchs Inntal. Es gibt kaum Steigungen, außer man plant
       Abstecher ins Pitztal oder ins Ötztal ein, wo ebenfalls die Kupferkessel
       summen. Wer die komplette Tour bewältigen will, muss mehr als eine Woche
       einplanen.
       
       Die meisten picken sich einzelne Tagesetappen von 20 bis 30 Kilometern
       raus, denn Jakobsweg-Wanderer in Tirol sind keine Hardcorepilger, die
       laufen, bis die Sohlen glühen, und erst ruhen, wenn Santiago de Compostela
       erreicht ist. Erstaunlicherweise haben es die sonst so fitten Touristiker
       in Tirol (noch) nicht geschafft, ein buchbares Angebot aufzulegen. Man muss
       also selbst planen und sollte sich das offizielle Schnapsroutenbuch
       zulegen, in dem die vor Ort vorhandenen Brenner porträtiert sind.
       
       So findet man auch Typen wie Friedl Mair in Flaurling, der stets auf der
       Jagd nach dem ganz besonderen Tropfen ist. Karotten machen sich gut, auch
       roter Holunder, für den allerdings ziemlicher Körpereinsatz nötig ist, weil
       er nicht in Talnähe wächst und bis zu acht Meter hoch wird. „Mittlerweile
       lasse ich die jungen Burschen für mich raufklettern“, sagt Mair. Für seine
       Beeren-Cuveé perlt er die kleinen Früchte aber noch selbst von den
       Sträuchern. „Erst wenn man diese Arbeit gemacht hat, weiß man einen
       Edelbrand zu schätzen.“
       
       Damit Inhalt und Verpackung dasselbe Niveau erreichen, bewahrt Mair seinen
       Edelstoff in großen bemalten Glasballons aus der örtlichen Manufaktur auf.
       Aber ihm gelingt nicht aObst in Mengen lles, was er durch seinen
       Kupferkessel jagt. Bananen waren ein ziemlicher Reinfall, der Schnaps war
       verklebt. Solche Experimente tun weh, schließlich gilt Mairs Lizenz nur für
       300 Liter reinen Alkohol pro Jahr. Diesen verdünnt er entsprechend, sodass
       am Ende rund 750 Liter Edelbrand herauskommen.
       
       Das perfekte, kalkarme Wasser dazu holt er oben vom Kloster Maria Waldrast.
       Der Pilgerweg führt zu diesem bekannten Wallfahrtsort hoch über Tirol.
       Somit steht unser nächstes Ziel fest, aber wir müssen noch ein Fläschchen
       einpacken, denn die Schnapsroute führt ab hier in eine andere Richtung.
       
       12 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Schreiber
       
       ## TAGS
       
   DIR Tirol
   DIR Wandern
   DIR Urlaub
   DIR Wandern
   DIR Nationalparks
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Umwelthistoriker über Winterurlaub: „Natur stört generell“
       
       Das Skifahren ist ein durch und durch künstliches Produkt, sagt Robert
       Groß. Auch wenn die Touristikbranche etwas anderes verspricht.
       
   DIR Erfinder des Zehenschuhs übers Gehen: Barfuß auf dem Berg
       
       Der Südtiroler Robert Fliri, Erfinder des Zehenschuhs, erklärt, warum er
       beim Wandern Boden unter den Füßen spüren will.
       
   DIR Wow-Faktor in den Hohen Tauern: Posing im Abendlicht
       
       Possierliche Tierchen, malerische Berge, Themenwanderwege: Wie stark darf
       Natur inszeniert werden – oder braucht sie das sogar?