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       # taz.de -- 50 Jahre Sechstagekrieg: Sieg der Siedler
       
       > Die Angst vor palästinensischen Raketen ist in Israel größer als die
       > Ablehnung der Besatzung. Frieden ist zur Utopie geworden.
       
   IMG Bild: Auch 50 Jahre nach der Annektion des Ostteils der Stadt bleibt Jerusalem tief gespalten
       
       Militärisch hätte der Krieg für Israel kaum besser ausgehen können.
       Verteidigungsminister Mosche Dajan freute sich über die „optimalen
       strategischen Grenzen“ am Ende der sechstägigen Gefechte im Juni 1967. Der
       Umfang des Landes, das Israel fortan kontrollierte, hatte sich nahezu
       vervierfacht.
       
       Die Sinai-Halbinsel und der Gazastreifen im Süden waren besetzt, die
       syrischen Golanhöhen ganz im Norden und das Westjordanland, inklusive
       Ostjerusalem. In Strömen pilgerten Israelis zur Klagemauer, der wichtigsten
       jüdischen Kultstätte, die ihnen fast 20 Jahre versperrt geblieben war, und
       nach Hebron zum Grab Abrahams, von dem nur wenige Kilometer entfernt bald
       eine erste israelische Siedlung im besetzten Land entstehen sollte.
       
       Von den „befreiten“ Gebieten war anfangs die Rede. Nur wenige, wie der
       Schriftsteller Amos Oz, hatten den Weitblick und den Mut, die Euphorie zu
       bremsen und vor den Folgen der Besatzung zu warnen. Der Sechstagekrieg
       markierte die Geburtsstunde von Israels Herrschaft über ein anderes Volk.
       Noch 1967 annektierte man Ostjerusalem. Die „ewig jüdische Hauptstadt“,
       deren Status international bis heute offen ist, sollte nie wieder geteilt
       werden.
       
       ## Die drei Neins von Khartoum
       
       Wer nach dem Krieg die Hoffnung hegte, dass nun bald Friedensverhandlungen
       beginnen würden, wurde enttäuscht. Bereits im August 1967 entschieden
       Vertreter arabischer Staaten auf dem Gipfel von Khartoum gegen einen
       Frieden mit Israel, gegen eine Anerkennung Israels und gegen
       Verhandlungen. Die „drei Neins von Khartoum“ müssen später immer wieder
       herhalten als Rechtfertigung für die andauernde Besatzung. Es gab keinen
       arabischen Partner für einen geregelten Abzug, so die offizielle Version,
       die selbst in Israel umstritten ist. Im Westjordanland und im Gazastreifen
       hätte man trotzdem moderate Vertreter finden und einen politischen Prozess
       anschieben können, meinte David Kimche damals, Mossad-Agent und später
       Generaldirektor des Außenministeriums, dessen Stimme nicht gehört wurde.
       
       Den Verfechtern von Groß-Israel war es nur recht, dass es keine
       Verhandlungen gab. Mit Zelten und Hütten gründeten sie ihre Gemeinden,
       brachten später Zement und Steine. Der Bau jüdisch-israelischer Siedlungen
       in den Palästinensergebieten begann zwar unter der Arbeitspartei, die zur
       Absicherung der Grenze vor allem im Jordantal neue Niederlassungen
       förderte, federführend waren jedoch die Nationalreligiöse Partei und die
       Siedlerbewegung Gusch Emunim. Nie wieder wollte man weg vom gerade
       eroberten Land, das, laut biblischer Überlieferung, kein anderer als Gott
       selbst dem auserwählten Volk schenkte.
       
       Israels Linke ließ die paar Dutzend frommen Fanatiker gewähren, was fatale
       Folgen haben sollte. 50 Jahre später leben rund eine halbe Million Israelis
       im Westjordanland, deutlich mehr als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung. Die
       meisten zogen nicht aus ideologischen Gründen ins besetzte Gebiet, sondern
       ließen sich vom preiswerten Wohnraum locken. Sie sind die Figuren derer,
       die auf dem Spielfeld Westjordanland Tatsachen schaffen, um den Rückzug und
       die Zweistaatenlösung zu untergraben.
       
       „Eine Kette von Siedlungen, ein Straßennetz und ein System von
       Straßensperren“, so schreibt der Historiker Gadi Algazi von der Universität
       in Tel Aviv, „erlaubt Armee und SiedlerInnen die Gegend effektiv zu
       kontrollieren“ und „palästinensische Dörfer und Städte voneinander zu
       trennen“. Algazi spricht von „kolonialen Herren“, von „dynamischen
       Grenzräumen“, die sich ständig ausdehnen, und von „Enteignungsprozessen“.
       
       Die Siedler rücken vor und die Regierung zieht nach, während sich die
       meisten Israelis nicht darum scheren, was im besetzten Land geschieht,
       solange es weder Terror noch Kriege gibt. Einen offiziellen
       Gültigkeitsstempel erteilten Knesset-Abgeordnete den Enteignungen im
       Westjordanland, als sie im Februar das „Reglementierungsgesetz“
       verabschiedeten und damit wilde Siedlungen auf privatem palästinensischem
       Grundbesitz rückwirkend legalisierten.
       
       Kritikern im Aus- und Inland predigt die Regierung, dass es nicht die
       Siedlungen seien, die einen Frieden verhinderten. Innerhalb Israels
       funktioniert das gut. Der Protest gegen den Siedlungsbau bleibt in den
       Händen einer als linksradikal verrufenen Randgruppe. Die Hetze der Siedler,
       der Nationalreligiösen und der konservativen Likud-Politiker, die Angst vor
       „den Arabern“ schüren und das Gefühl, dass „ein Frieden nicht möglich“ ist,
       weil es „keinen Partner“ dafür gibt, weil „wir alles geben und nichts dafür
       zurückbekommen“ oder gar „mit Terror bestraft“ werden, fällt bei der
       Bevölkerung auf fruchtbaren Boden. Die Erfahrung der Zweiten Intifada nach
       den gescheiterten Friedensgesprächen in Camp David lehrte die Israelis,
       dass sich ein Dialog mit dem Feind nicht lohnt. Dazu kommen die Raketen,
       die aus dem Gazastreifen sporadisch Richtung Israel geschossen werden, dem
       Abzug von Israels Soldaten und Siedlern vor zwölf Jahren folgend.
       
       ## Zweistaatenlösung kaum noch möglich
       
       Verständlich ist, dass der Sieg der Hamas bei den Wahlen nur wenige Monate
       nach dem Ende der Besatzung im Gazastreifen die Israelis nicht zu einem
       ähnlichen Rückzug aus dem Westjordanland ermutigte. Das Risiko, dass auch
       von dort Raketen abgeschossen werden, lässt sie vor weiteren Kompromissen
       zurückschrecken.
       
       Je länger der Frieden auf sich warten lässt, desto mehr wird er zur Utopie.
       Ein Blick auf die Karte genügt, um zu sehen, dass die Siedlungen mit
       Palästina verwachsen sind und dass eine Trennung der beiden Völker, die
       Jitzhak Rabin und Jassir Arafat vor Augen hatten, als sie sich 1994
       gemeinsam für die Zweistaatenlösung entschieden, kaum noch möglich ist.
       
       Ganze 8 von insgesamt 120 Abgeordneten stellt heute die Siedlerpartei in
       der Knesset. Und doch gelingt es ihr, sich gegen die schweigende Mehrheit
       durchzusetzen, die noch immer auf eine Zweistaatenlösung hofft.
       Systematisch schafft eine kleine, aber extrem entschlossene Gruppe im
       Westjordanland Tatsachen, die kaum noch umkehrbar sind. Verlorene Hoffnung
       und Phlegmatismus lässt Israels Mehrheit in einen Sog geraten auf dem Weg
       zum Sieg der Siedler.
       
       6 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Knaul
       
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