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       # taz.de -- Thurston Moore übers Gitarrespielen: „Ich bin ein Pfuscher“
       
       > Der New Yorker Künstler Thurston Moore führt eine monogame Beziehung zu
       > seiner Gitarre und umarmt gerne seine Nachbarn.
       
   IMG Bild: Macht gerne Krach: der New Yorker Thurston Moore
       
       taz: Thurston Moore, wo kommen die Ideen für Ihre Texte her? 
       
       Thurston Moore: Ich schreibe vor allem Gedichte. Das ist mein liebstes
       Format, das gibt mir Inspiration. Wenn ich Songtexte brauche, schaue ich
       mir vorher meine Gedichte an. Reime helfen dabei, ich finde, sie machen
       sich gut in Songs, aber weniger gut in Gedichten. Da wirken sie oft
       kitschig.
       
       Sie veröffentlichen auch Gedichte. Wenn Sie also keine Lust auf Konzerte
       haben, bestreiten Sie Lesungen? 
       
       Ich trage bei Lesungen auch meine Werke vor, aber für mich zählt vor allem
       die Abgeschiedenheit beim Lesen. Alleinsein und ein Gedicht auf einer
       Buchseite wahrnehmen, das bringt es. Daran mag ich auch die visuelle
       Erfahrung.
       
       Auf Ihrem neuen Album „Rock'n'Roll Consciousness“ gibt es lange
       Instrumentalpassagen. Und dann kommen plötzlich doch Songtexte.
       
       Lärm zu erzeugen, Dinge unter die Gitarrensaiten zu klemmen, mit
       Effektpedalen herumfuhrwerken, das macht mir am meisten Spaß. Das ist
       simpel. Aber es ist deutlich schwerer, einem Stück Struktur zu geben. Sie
       sollte dem Song all das erlauben, was er braucht. Dies ist der
       experimentelle und anspruchsvolle Part beim Komponieren. Wenn bei einem
       Acht-Minuten-Song erst am Ende die Lyrics kommen – solche
       Aufgabenstellungen reizen mich.
       
       Sie haben für das neue Album Paul Epworth engagiert. Das klingt nach einem
       Witz: Thurston Moore schätzt den Produzenten von Adele und U2. 
       
       Ich finde Adele toll. Ich habe Paul nicht deshalb kontaktiert, weil ich das
       so ironisch fand. Ich hörte, dass er auch mit The Pop Group gearbeitet
       hatte, die Artschool-Band aus der linksradikalen Szene von Bristol. Epworth
       beschäftigt eine ganze Armada an Toningenieuren, darunter auch Metalfans.
       Die waren überglücklich, als wir ins Studio kamen und Lärm veranstaltet
       haben.
       
       „Melt down your guns and kiss your neighbor“ heißt es im Song „Cease Fire“.
       Und wenn man doch Angst vor dem Nachbarn hat? 
       
       Politiker wollen uns das einreden, dass wir Angst haben sollen, aber wir
       sollten Toleranz üben und unsere Nachbarn lieber umarmen. Das mag naiv
       klingen, aber ich bin gerne die Stimme des utopischen Ideals. Je mehr wir
       sind, desto lauter werden wir. Opposition zu sein, erschöpft mich nicht.
       Ich habe den Song schon 2015 komponiert, auch da konnte man in den USA
       Waffen so einfach erwerben wie Schokoriegel.
       
       Ihr neues Album fühlt sich an wie ein Statement gegen Trump, auch wenn es
       bereits vor seiner Wahl aufgenommen wurde. 
       
       Sich gegen Trump zu engagieren sehe ich als Pflicht. Wir Amerikaner müssen
       uns umeinander kümmern. In den USA leben zu viele Menschen vereinzelt.
       Bleibt zu hoffen, dass es so etwas wie schlechtes Karma gibt und irgendwann
       alles auf die Konservativen zurückfällt. Diese Leute haben einen
       narzisstischen Antrieb, was Macht und Kontrolle anbelangt. Wir anderen, die
       zu Hunderttausenden beim Women’s March in Washington dagegen protestierten,
       wollen keine Macht.
       
       Tragen Sie deshalb einen Button mit dem Slogan „Fight The Power“? 
       
       Genau. Ich habe allerdings nie verstanden, was Public Enemy damit
       ausdrücken wollten. Sie waren gegen „Power“, aber standen sie nicht auch
       für „Black Power“? Wenn man „Power“ (Macht) durch „Consciousness“, also
       Bewusstsein, ersetzt, ergibt das mehr Sinn. Das ist wohl ein linguistisches
       Problem.
       
       Ihre Band Sonic Youth hat sich vor fast sechs Jahren aufgelöst. Sind Sie
       mit Ihrer neuen Band nun glücklich? 
       
       Steve Shelley von Sonic Youth ist nach wie vor mein Drummer. Außerdem ist
       es inspirierend, dass ich von MusikerInnen aus der Improvisationsszene
       umgeben bin, die losgelöst von Konventionen spielen und dabei sehr
       ernsthaft sind. Eigentlich wollte ich schon früher Teil einer Band sein,
       die Rock-'n‘-Roll-Songs komponiert. Ich spiele gerne ohrenbetäubend laut:
       Art-Rock, Noise, Drone, Ambient, Post-Post-Freejazz, Industrial, nennen
       Sie es, wie Sie wollen.
       
       Was bedeutet Ihnen die Gitarre eigentlich? 
       
       Im Laufe der Zeit ist sie meine beste Freundin geworden. Ich habe mich nie
       als Profi betrachtet, eher als Pfuscher. Mir ging es darum, meine eigenen
       Regeln zu erfinden, die Gitarre in verschiedenen Kontexten zu verwenden.
       Ich spiele nicht jeden Tag und bin sicher nicht der Gitarrist, der in
       Instrumentenhandlungen abhängt. Mein Leadgitarrist James Sedwards macht das
       so. Er geht in Läden und starrt Gitarren an.
       
       Ist die Gitarre für Sie ein Fetisch? 
       
       Nein, alles, was ich brauche, ist eine Klampfe – meine Freundin. Ich spiele
       sie, komponiere mit ihr Songs und veranstalte Krach. Fachmagazine erfragen
       von mir stets technische Details, welchen Verstärker ich für bestimmte
       Songs verwendet habe. Ich entgegne unisono: Ich glaube, er war schwarz.
       
       24 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Paersch
       
       ## TAGS
       
   DIR Jazz
   DIR Noise
   DIR Industrial Music
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   DIR Gitarre
       
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