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       # taz.de -- Petition der Woche: Ihr kriegt uns hier nicht raus!
       
       > Ein Investor will ein Haus in Berlin-Lichtenberg räumen lassen, in dem
       > tausend Musiker proben. Schafft er es?
       
   IMG Bild: Werden 250 Bands in Berlin-Lichtenberg bald unfreiwillig zu Straßenmusikern?
       
       Berlin lebt wie kaum eine andere Stadt von den Künstlern, doch kreativer
       Raum ist rar und teuer geworden. Das Rockhaus im Bezirk Lichtenberg bietet
       seit 2007 rund tausend Musikern aller Klangfarben 190 Räume zum Proben,
       Jammen und Unterrichten.
       
       Der Quadratmeterpreis ist mit durchschnittlich 10 Euro Warmmiete
       vergleichsweise günstig, manche Bands teilen sich einen Proberaum. Im
       Erdgeschoss können die Musiker sich in einem Café entspannen, in einem Shop
       wird Verschleißmaterial wie Saiten und Drumsticks verkauft. Das Haus steht
       im Industriegebiet nahe der S-Bahn-Station Lichtenberg, Nachbarn werden so
       nicht gestört und trotzdem ist man zentrumsnah.
       
       Geht es nach dem neuen Hauseigentümer, der CTXL Property
       Conscharfensteinsult GmbH, soll damit bald Schluss sein. Geschäftsführer
       Shai Scharfstein der will das Gebäude räumen lassen. Der Investor hat
       andere Pläne mit diesem und wahrscheinlich auch mit einem benachbarten
       Grundstück. Dort sollen Bürogebäude entstehen. Was Scharfstein mit dem
       Rockhaus vorhat, ist noch unklar.
       
       Bezahlbare Proberäume gibt es wenige. Freie Flächen werden zwar
       erschlossen, aber nicht für Kunstschaffende. Für viele Investoren sind sie
       nicht attraktiv. Bei Bürogebäuden sind die Quadratmeterpreise höher und der
       Lärmschutz kein Problem. Die Umrüstung bestehender Gebäude ist sehr
       aufwendig und die Aussichten auf Profit bei Proberäumen sind eher gering.
       
       ## Investor Scharfenstein lehnt Gespräche ab
       
       Über hundert betroffene Musiker haben Scharfstein bereits einen Brief
       geschickt, um gegen die geplante Räumung des Gebäudes zu protestieren und
       um dem bisherigen Betreiber Dirk Kümmele ihr Vertrauen auszusprechen.
       Kümmele ist selbst Drummer und verzweifelt an der Sturheit des Eigentümers.
       „Ich habe auf eine außergerichtliche Güteverhandlung gehofft“, sagt er.
       
       Diese hat Scharfstein aber abgelehnt, weshalb der Berliner Kultursenator
       Klaus Lederer die Musikbeauftragte Katja Lucker gebeten hat, zwischen den
       beiden Parteien zu vermitteln. Lucker sagt auf Nachfrage der taz, dass
       „sämtliche Gesprächsvorschläge bisher an der Verweigerung Scharfsteins
       scheiterten“.
       
       Eigentlich wurde 2013 mit dem Voreigentümer ein Mietvertrag über zehn Jahre
       abgeschlossen. Diesen hat der neue Eigentümer Scharfstein aber Anfang des
       Jahres fristlos gekündigt. Angeblich hat Kümmele die Brandschutzauflagen
       nicht erfüllt.
       
       Tatsächlich hat dieser nach eigenen Angaben insgesamt 250.000 Euro in den
       notwendigen Umbau investiert, alle Mängel behoben und deshalb auch vor dem
       Berliner Kammergericht Berufung gegen die Räumungsklage eingelegt. Auf das
       Ergebnis warten nun die Beteiligten. In wenigen Wochen wird das
       Kammergericht bekannt geben, wie es mit der Berufung verfahren will.
       
       ## 250 Bands proben im Rockhaus
       
       Eines hat das Rockhaus allerdings jetzt schon erreicht: Aufmerksamkeit. Die
       Petition, die noch bis Ende Juni läuft, hat bisher 9.600 Unterschriften, es
       gab schon mehrere Soli-Konzerte und der Musiker Thore von Sengen hat die
       Protesthymne „Das Rockhaus bleibt“ geschrieben.
       
       Unterstützung erfährt Kümmele auch durch den Lichtenberger
       Bezirksbürgermeister Michael Grunst von der Linkspartei, der klarmacht:
       „Der Bezirk hat großes Interesse am Erhalt des Rockhauses und wird
       Grundstücksspekulation oder Wohnungsbau nicht akzeptieren.“
       
       Mit einem öffentlichen Kiezspaziergang Anfang des Monats wollte er auf die
       Problematik aufmerksam machen. Doch letztlich können auch Kommunalpolitiker
       nicht viel ausrichten, wenn es wie in diesem Fall um ein privates Projekt
       geht, das nicht in öffentlicher Hand liegt.
       
       Momentan herrscht keine Klarheit über das Schicksal der rund 250 Bands im
       Rockhaus. Bis vor einem Monat ging man dort noch von der baldigen Räumung
       des Gebäudes aus, allerdings erklärte Scharfstein in einer schriftlichen
       Mitteilung vor drei Wochen, dass er die Musiker mitnichten auf die Straße
       setzen wolle. Er reagierte damit auf das Medienecho, das der Protest
       ausgelöst hatte.
       
       ## Im Firmensitz reagiert niemand auf die Klingel
       
       Auf eine schriftliche Anfrage der taz antwortet Shai Scharfstein genauso
       wenig wie auf mehrere Anrufe. Der Firmensitz in der Straße Unter den Linden
       scheint eine Wohnung zu sein, keine Firmenzentrale. Niemand öffnet die Tür,
       wenn man klingelt. Auch an den anderen Adressen, die unter dem Namen
       Scharfstein beim Handelsregister registriert sind, gibt es keinen Hinweis
       auf ein Gewerbe. Selbst der Betreiber Kümmele hat nie geschafft,
       Scharfstein zu sprechen.
       
       Sebastian Raabe von der Punkband Neuwahl ist wie viele andere, die im Haus
       proben, seit der Mitteilung des Eigentümers erst mal beruhigt. Trotzdem
       bleibt die Stimmung angespannt. Müssten die Musiker plötzlich raus, würden
       die meisten zumindest kurzfristig unfreiwillig Straßenmusiker.
       
       5 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lorenz Horn
       
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