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       # taz.de -- Asyl und Abschiebung: Beauftragter für Ablehnungen
       
       > Die Anerkennungsquote für Flüchtlinge in Sachsen sinkt. Das liegt am
       > „humanitären Blick“.
       
   IMG Bild: Geert Mackenroth ist seit 2015 Vorsitzender der sächsischen Härtefallkommission
       
       LEIPZIG taz | Wenn Menschen aus Deutschland abgeschoben werden, dann
       meistens per Flugzeug. Der Flughafen Leipzig/Halle spielt dabei eine
       zentrale Rolle. Fast jede zehnte Abschiebung startet von hier. Das
       Sächsische Innenministerium organisiert regelmäßig sogenannte
       Sammelabschiebungen ins tunesische Enfidha. Zuletzt am 10. Mai: Nach
       Angaben des Innenministeriums wurden dabei 21 Menschen von Leipzig aus
       abgeschoben.
       
       Eine Familie, die einer solchen Abschiebung knapp entkam, sind die
       Oueslatis. Am 3. November des vergangenen Jahres sitzen die Oueslatis zur
       Mittagszeit in einer Maschine am Flughafen Leipzig/Halle, die gleich nach
       Tunesien abheben soll. Mutter Ilhem, Vater Ahmed und ihre drei Kinder.
       
       Die aus Tunesien stammende Familie soll raus aus Deutschland. Morgens um
       sechs hat die Polizei die fünfköpfige Familie überraschend aus ihrer
       Wohnung in Meißen geholt. Am Busbahnhof der Stadt gab es daher Proteste.
       
       Während am Flughafen der Abflug näher rückt, versuchen Unterstützer*innen
       in Dresden die Abschiebung der Familie nach Tunesien zu verhindern. Einer
       von ihnen ist Tilo Hellmann. Er ist Vorsitzender des Vereins „Buntes
       Meißen“, der sich für Flüchtlinge einsetzt – so auch für die Oueslatis. Die
       Familie sei vor fast drei Jahren nach Deutschland gekommen und in der Stadt
       sehr präsent gewesen, sagt Hellmann.
       
       Vater Ahmed hatte einen Ausbildungsvertrag in einem Hotel unterschrieben.
       Die Kinder hatten in der Schule gute Noten – das jüngste ist
       deutschsprachig aufgewachsen. Mutter Ilhem arbeitete im Wahlkreisbüro der
       Bundestagsabgeordneten Susann Rüthrich (SPD). Für ein Bleiberecht reichte
       das alles nicht. Auch deshalb sorgte die geplante Abschiebung der Oueslatis
       für ein großes Medienecho.
       
       ## Die Härtefallkommission greift ein
       
       Am Flughafen treffen die Piloten Vorbereitungen für den Start. Um 14.30 Uhr
       soll es losgehen. Dann die Überraschung: Polizist*innen holen Familie
       Oueslati aus dem Flugzeug. Vielleicht dürfen sie doch noch bleiben. Die
       Sächsische Härtefallkommission hat in letzter Minute beschlossen, sich mit
       dem Fall zu befassen.
       
       Die Institution kann abgeschobenen Asylbewerber*innen zu einem Bleiberecht
       verhelfen, indem sie beim Innenministerium um eine Aufenthaltserlaubnis
       bittet. Ob es im Fall der Familie Oueslati klappt, ist zu diesem Zeitpunkt
       noch offen. Doch durch den Beschluss der Kommission wird die Abschiebung
       vorerst ausgesetzt.
       
       Laut Gesetz entscheidet die Härtefallkommission, ob es „dringende
       humanitäre oder persönliche Gründe“ gibt, welche die „Anwesenheit“ eines
       „vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers“ in Deutschland erfordern. Der
       Entscheidungsprozess der Kommission ist allerdings für die Betroffenen und
       die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar.
       
       Auch, welche Kriterien die Kommission bei ihrer Bewertung anlegt, ist nicht
       bekannt. Ihre Entscheidungen begründet sie nicht, alle Mitglieder
       unterliegen einer Schweigepflicht. Fünf der neun Männer kommen aus Politik
       und Verwaltung, vier vertreten die Zivilgesellschaft. Vorsitzender ist der
       Sächsische Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth von der CDU.
       
       Mit verschränkten Armen sitzt der 67-Jährige in seiner Geschäftsstelle am
       Landtag in Dresden. Weshalb es für die Entscheidungen der Kommission keine
       öffentlich einsehbaren Kriterien gebe? Die Kommission betrachte jeden Fall
       einzeln. „Die Entscheidungen der Härtefallkommission beruhen auf der
       Erfahrung der Mitglieder“, sagt er. Die Härtefallkommission könne jenseits
       der Rechtslage empfehlen, eine Gnadenentscheidung zu treffen. Außerdem
       sollen Betroffene ihren Anspruch nicht einklagen können.
       
       ## Zweifelhafte Erfolge
       
       Damit sich die Härtefallkommission überhaupt mit einem Fall
       auseinandersetzt, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Paragraf 3
       der Kommissionsverordnung – der mit Abstand längste Abschnitt – listet die
       zahlreichen Ausschlussgründe auf. Trifft von diesen keiner zu, kann ein
       Antrag gestellt werden – allerdings nur durch ein Mitglied der Kommission
       selbst. Betroffene oder Dritte sind dazu nicht befugt.
       
       Familie Oueslati hatte das Glück, dass die Bundestagsabgeordnete Rüthrich
       über ein großes Netzwerk verfügt. Über ihre Kontakte schaffte es der Fall
       rechtzeitig auf die Tagesordnung der Kommission Die Familie hofft nun
       wieder auf ein Bleiberecht. Die Chancen dafür sind statistisch gesehen aber
       durchwachsen: Im Jahr 2016 entschied die Kommission über insgesamt 18
       Anträge, zehn davon bewilligte sie.
       
       Eine „Erfolgsquote“, wie Mackenroths Geschäftsstelle es nennt, von knapp 60
       Prozent. Im Jahr zuvor waren es sogar nur 40 Prozent. Von 2010 bis 2014 lag
       diese „Erfolgsquote“ konstant zwischen 70 und knapp über 80 Prozent. Als
       Mackenroth 2015 den Vorsitz übernahm, begann sie drastisch zu sinken.
       
       Weshalb sind die Zahlen so stark zurückgegangen? Die asylpolitische
       Sprecherin der Landtagsfraktion der Grünen, Petra Zais, mutmaßt, der Grund
       sei Geert Mackenroth selbst. Sie vermutet, er gebe eine strikte Linie vor,
       der die meisten Mitglieder der Härtefallkommission folgen.
       
       Auf die sinkende Anerkennungsrate angesprochen, reagiert Mackenroth
       reserviert. Er gibt widersprüchliche Antworten – zitieren soll man ihn
       jedenfalls nicht. Mackenroth gab ein Interview nur unter der Maßgabe,
       Zitate hinterher zu autorisieren. Das ist durchaus üblich, doch Antworten
       auf kritische Fragen wurden von Mackenroth entweder aufgeweicht, korrigiert
       oder gänzlich gestrichen.
       
       Im Gespräch gilt Mackenroths Blick allein seinem Pressesprecher. Der
       Ausländerbeauftragte macht den Eindruck, als interessiere ihn überhaupt
       nicht, wie sein Vorgänger gearbeitet hat. Er scheint es nicht für nötig zu
       halten, eine nachvollziehbare Erklärung für die rückläufigen Zahlen zu
       geben. Ob es denn nicht noch andere Fragen gebe, erkundigt sich Mackenroth
       schroff.
       
       ## Ein Wechsel auf der Führungsebene
       
       Ganz anders präsentiert sich sein Vorgänger Martin Gillo (CDU), der sich
       Ende 2014 aus der sächsischen Landespolitik zurückgezogen hat. Er schaut
       aufmerksam, lächelt freundlich. Der Mensch habe immer im Vordergrund seiner
       Arbeit gestanden, sagt er nachdrücklich. Der Ausländerbeauftragte solle
       „die Perspektive der bei uns lebenden Ausländer einnehmen und kein
       ausführendes Organ der Staatsregierung sein“.
       
       Auch von der Opposition wurde Gillo geschätzt. Die Grüne Zais sagt, er habe
       menschlicher gehandelt als sein Nachfolger Mackenroth. Gillo sah sich als
       Sprachrohr der Ausländer*innen in Sachsen. Mackenroth hingegen setzt andere
       Schwerpunkte: „Ausschlaggebend für die Entscheidungen sind die
       Integrationsleistung der betroffenen Personen und das Wohl unserer
       Gesellschaft.“ Eine interessante Interpretation seiner Rolle – ist der
       zweite Teil doch in der Verordnung der Härtefallkommission nirgendwo so
       festgehalten.
       
       Stattdessen soll sich die Arbeit der Kommission primär um „dringende
       persönliche oder humanitäre Gründe“ des betroffenen Individuums drehen.
       Faktoren, die die aufnehmende Gesellschaft betreffen, wie zum Beispiel
       Straftaten oder mangelnde finanzielle Unabhängigkeit, sind bereits
       ausführlich in den Ausschlussgründen festgehalten.
       
       Jeder Versuch, auch andere Mitglieder der Kommission zu befragen, bleibt
       indes erfolglos. Mehrfach wird darauf verwiesen, das für die Pressearbeit
       allein der Vorsitzende zuständig ist. Für Außenstehende ist es also nicht
       möglich, sich ein halbwegs unabhängiges Bild über die Arbeit in der
       Kommission zu machen. Zumal das einzige Mitglied, das sich äußern darf,
       kaum zur Transparenz beiträgt – im Gegenteil. Einblicke scheinen
       unerwünscht. Das Prozedere wirkt von außen wie ein Glücksspiel.
       
       Die fünfköpfige Familie Oueslati hat dabei verloren. Am 23. Dezember 2016
       – exakt drei Jahre nach ihrem Aufbruch nach Deutschland – wurde ihnen die
       Entscheidung der Härtefallkommission mitgeteilt: Antrag abgelehnt.
       
       6 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lennart Banholzer
   DIR Yves Bellinghausen
   DIR Daniel Reimann
       
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