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       # taz.de -- Vorkaufsrecht als Ausweg: Neukölln bremst Spekulanten aus
       
       > Baustadtrat Biedermann will den Verkauf der Liberdastraße 10 an einen
       > Investor verhindern. Vielmehr soll die „Stadt und Land“ zum Zuge kommen.
       
   IMG Bild: An einem Stromkasten an der Liberdastraße
       
       Friedrichshain-Kreuzberg hat es vorgemacht, nun steht auch Neukölln in den
       Startlöchern. Weil der Käufer eines Mietshauses in der Liberdastraße nicht
       ausdrücklich auf eine Umwandlung der Mietwohnungen in Eigentumswohnungen
       verzichten will, prüft der Bezirk, das kommunale Vorkaufsrecht
       wahrzunehmen. Dies bestätigte Neuköllns Baustadtrat Jochen Biedermann
       (Grüne) der taz. „Wir probieren das jetzt“, so Biedermann wörtlich.
       
       Vor einigen Monaten hat die Firma BOW aus dem niederbayrischen Pfarrkirchen
       die Liberdastraße 10 in Nord-Neukölln gekauft. Der Kaufpreis soll ein
       niedriger einstelliger Millionenbetrag gewesen sein. „Wir haben zufällig
       erfahren, wer das Haus gekauft hat“, sagen Sabine Kroner und Christian
       Stollwerk, die beide in dem Haus wohnen. „Offenbar ist es das
       Geschäftsmodell des neuen Eigentümers, die Wohnungen in Eigentumswohnungen
       umzuwandeln und teuer zu verkaufen.“
       
       Doch ganz so einfach wird das Geschäftsmodell in der Liberdastraße nicht
       umzusetzen sein. Denn das Haus mit seinen zwölf Mietwohnungen liegt im
       Milieuschutzgebiet Reuterplatz. Jeder Verkauf muss deshalb vom Bezirk
       genehmigt werden. Gültig wird er erst, wenn das Bauamt dem neuen Käufer ein
       so genanntes Negativzeugnis ausstellt. Mit einem solchen Zeugnis würde der
       Bezirk auf das in Milieuschutzgebieten vorgesehene Vorkaufsrecht
       verzichten, deshalb das „Negativ“. Der neue Eigentümer kann dann im
       Grundbuch eingetragen werden.
       
       Voraussetzung für ein solches Negativzeugnis ist eine so genannte
       Abwendungsvereinbarung, in der sich der Eigentümer mit den Zielen des
       Milieuschutzes einverstanden erklärt. „Wir haben dem Käufer eine solche
       Vereinbarung zugeschickt, aber er hat sie nicht unterschrieben“, sagt
       Baustadtrat Biedermann der taz. Stattdessen habe er eine eigene Erklärung
       verfasst. „Da steht aber nicht drin, dass er auf eine Umwandlung in
       Eigentumswohnungen verzichten wird“, sagt Biedermann. „Deshalb gehe ich
       davon aus, dass wir das ablehnen.“
       
       Lehnt der Bezirk den Verkauf ab, kann er selbst als Käufer auftreten oder
       den Verkauf der Immobilie zugunsten Dritter auf den Weg bringen. Dieser
       Dritte ist auch schon gefunden, es ist die vor allem in Neukölln aktive
       „Stadt und Land“. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft hat ihr
       Interesse am Donnerstag gegenüber der taz bestätigt.
       
       Es wäre das erste Mal, dass nun auch in Neukölln der Bezirk einem nicht
       kooperationswilligen Käufer ein Haus vor der Nase wegschnappt.
       Friedrichshain-Kreuzberg hat bereits mehrmals vom bezirklichen
       Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht oder damit gedroht, zuletzt beim Zentrum
       Kreuzberg am Kottbusser Tor.
       
       Allerdings ist bislang noch nicht hinreichend rechtlich geklärt, zu welchem
       Preis eine landeseigene Gesellschaft in den Kauf einsteigen darf. Vor
       kurzem hat das Landgericht Berlin ein solches Verfahren in der
       Großgörschenstraße in Tempelhof-Schöneberg gestoppt. Der Grund: Der Bezirk
       hatte ein eigenes Verkehrswert-Gutachten in Auftrag gegeben, das mit 6,3
       Millionen Euro deutlicher niedriger war als die 7,6 Millionen, zu denen die
       bundeseigene Bima die vier Häuser an einen privaten Investor verkauft
       hatte. Da die Preisdifferenz nur 23 Prozent betrug, so das Gericht, hätte
       die Gewobag, für die der Bezirk kaufen wollte, auch den höheren Preis
       zahlen können.
       
       Ein solcher Konflikt sollte in Neukölln vermieden werden. „Die Stadt und
       Land wird zum gleichen Preis kaufen, den auch der bisherige Käufer bezahlt
       hat“, sagt Stadtrat Biedermann. Dass er damit die Kaufpreise in die Höhe
       treibe, glaubt er nicht. „Eher verunsichern wir den Immobilienmarkt, als
       dass wir preistreibend wirken“, so Biedermann.
       
       Die Mieterinnen und Mieter sind jedenfalls froh, dass es geklappt hat.
       „Eigentlich wollten wir das Haus selbst kaufen und waren auch schon in den
       Gesprächen mit der Investitionsbank Berlin“, sagt Mieterin Sabine Kroner.
       „Aber dann hat der alte Eigentümer jedes Gespräch verweigert.“
       
       Mit der Lösung Stadt und Land könnten die Mieter gut leben. Und sie freut
       sich, dass neben Friedrichshain-Kreuzberg nun auch Neukölln gegen
       Spekulation vorgehen wird. „Hoffentlich macht dieses Beispiel Schule“, so
       Kroner.
       
       1 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
       
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