# taz.de -- Eröffnungsabend des Kirchentags: Gott, Gesang und ein nackter Luther
> Bauerntöchter, Gemüsedöner, Pop. 200.000 Menschen feiern den „Abend der
> Begegnungen“ zum Auftakt. Protest gibt es auch.
IMG Bild: Rund 200.000 Menschen trafen sich beim „Abend der Begegnungen“
Berlin taz | Tausende flanieren friedlich Richtung Brandenburger Tor, essen
Gemüsedöner und Bratwürste, liebevoll zubereitet von dutzenden
evangelischen Kirchenküchen des Landes. An einem Stand serviert ein
Pfarrer, am nächsten gibt es Luther-Salami in Bibelform – „die ist auch
essbar!“
Gemeinsam bestaunen die Besucher beim „Abend der Begegnungen“, dem Auftakt
des Evangelischen Kirchentags in Berlin, traditionelle Straßentänze von als
Bauerntöchter verkleideten Frauen oder einen Umzug mit Pferdekutschen. Der
Kirchentag bringt eben auch Mittelalterfeeling in die Stadt.
An 15 sogenannten „Inseln der Begegnung“ sitzen Menschen auf kleinen
Kartonkisten, die sorgfältig von tausenden Freiwilligen zusammengefaltet
wurden. Dort kommt man mithilfe von vorbereiteten Fragen mit anderen
Kirchentagbesuchern ins Gespräch. Nicht nur auf der Hauptbühne wird
musiziert und getanzt. Von allen Seiten her tönt es, ein Flötenorchester
hier, ein Teenager-Straßenchor da.
An den drei großen Auftaktgottesdiensten im Stadtzentrum haben laut den
Veranstaltern 70.000 Menschen teilgenommen. Beim anschließenden Strafenfest
sind es etwa 200.000, die sich in Berlin-Mitte tummeln. Max Giesinger singt
vor dem Brandenburger Tor – „Berlin hat schon was zu bieten!“, ruft er und
fordert das Publikum auf mit ihm zu tanzen.
Eine alleinerziehende Mutter aus Neukölln freut sich über das Konzert und
den Kirchentag. Weil sie mithilft, hat sie freien Eintritt zum Kirchentag.
Sie könnte sich den Eintritt sonst nicht leisten. Feministische Theologie
müsste man mehr Raum geben, findet sie, denn Männer hätten schon lang genug
Geschichte geschrieben.
Auf der anderen Seite des Brandenburger Tors regt sich dagegen Protest.
Eine knapp drei Meter große Plastikfigur zeigt Martin Luther. Nackt und
völlig entblößt steht er auf einem Pult und enthüllt „sein wahres Gesicht“.
Einige lassen sich mit dem nackten Luther fotografieren. Ein Zitat des
Philosophen Karl Jaspers ist zu lesen: „Luthers Ratschläge gegen die Juden
hat Hitler genau ausgeführt“.
Ein benachbarter Grabstein ziert das „11. Gebot: Du sollst deinen
Kirchentag SELBST bezahlen“. Eine offensive Kritik am hohen Eintrittspreis
des diesjährigen Events. Das hier sei nicht mehr normal, beurteilt eine
junge Besucherin verständnislos.
Der Kirchentag ist jung, alt, groß, klein und vor allem bunt. Eine Farbe
sticht besonders heraus: blau. Die Polizeipräsenz ist nach dem Anschlag von
Manchester wie erwartet hoch. Vor der britischen Botschaft liegen Blumen,
Kerzen sowie einige „Du siehst mich“-Smileys – einer trägt ein Kopftuch.
Schwerbewaffnete Einsatzkräfte treiben sich herum. An den drei großen
Eingängen zur Fanmeile und vor dem Pariser Platz finden Taschenkontrollen
statt.
Um halb 11 haben die Besucher an allen Hauptbühnen Kerzen in der Hand. Aus
Lautsprechern ertönen Glockenschläge und die Menge erleuchtet langsam.
Gemeinsam wird gesungen und der Abendsegen ausgesprochen. Es folgt ein
kurzer Moment der Stille und des Innehaltens. Und dann, plötzlich, setzt
sich die Menge in Bewegung, die ersten strömen in Richtung U-Bahn – bloß
schnell, bevor man zu lange warten muss.
25 May 2017
## AUTOREN
DIR Edda Luisa Kruse Rosset
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