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       # taz.de -- Interview mit Linken-Abgeordneter: „Mit Dschihadisten verhandelt man nicht“
       
       > Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke äußert Kritik am türkisch-islamischen
       > Dachverband Ditib und beurteilt die deutsch-türkischen Beziehungen.
       
   IMG Bild: „Die Bundesregierung nimmt den Kampf gegen den IS nicht ernst genug“, sagt Ulla Jelpke von Die Linke.
       
       Für Präventionsprojekte gegen Islamismus hat der türkisch-islamische
       Dachverband Ditib in diesem Jahr vom Bundesfamilienministerium 200.000 Euro
       bekommen. Dieses Fördergeld, dessen Gesamtsumme im Laufe von 2017 noch auf
       eine Million Euro kommen soll, wird von verschiedenen Seiten kritisiert.
       
       Ulla Jelpke, Abgeordnete von Die Linke im Bundestag, stellte eine Kleine
       Anfrage zu der Sache und beschreibt diese Zusammenarbeit mit den Worten:
       “Hier (..) wurde wahrlich der Bock zum Gärtner gemacht.“ Wir trafen Jelpke,
       um mit ihr über die deutsch-türkischen Beziehungen zu sprechen, die Pläne
       zum deutschen Abzug von Incirlik und die Menschenrechtsverletzungen in der
       Türkei.
       
       ## taz: Frau Jelpke, wie beurteilen Sie die Arbeit von Ditib?
       
       Ulla Jelpke: Ein Punkt, den wir schon seit Jahren kritisieren, ist, dass
       die Ditib-Imame in der Türkei ausgebildet werden und nicht hier. Das war
       auch schon vor der AKP so. Doch mit der AKP sind neue Probleme dazu
       gekommen.
       
       ## Was für Probleme?
       
       Ditib betreibt eindeutig AKP-Propaganda und Hetze. Man muss sich nur mal
       die Facebook-Seite von Ditib ansehen, um ein Bild davon zu bekommen, was
       für eine Mentalität in dem Verband herrscht. Dort wird Hass gegen andere
       Religionen geschürt. Da sind Aussagen, die eindeutig dem radikalen Islam
       zuzuordnen sind.
       
       Auch die Imame, die nach Deutschland geschickt werden, folgen dieser
       Denkweise. Unter diesen Umständen kann es nicht sein, dass die
       Bundesregierung Ditib auch noch als Partner im Kampf gegen den Islamismus
       finanziell unterstützt. Es gibt fragwürdige Verbindungen zwischen Ditib und
       der vom Verfassungsschutz beobachtete Milli Görüs und den Grauen Wölfen.
       Darüber hinaus wissen wir längst, dass es Spitzel gibt, die über Ditib
       kommen und in Deutschland lebende Oppositionelle ausspionieren und an den
       Pranger stellen.
       
       ## In der Türkei heißt es, dass es zwischen der AKP und der
       Milli-Görüş-Bewegung längst eine Spaltung gibt.
       
       In Deutschland ist das anders. Ich habe Anhänger der Milli Görüşgetroffen,
       die ganz offen gesagt haben: “Wir stehen hinter den Werten, die Erdoğan
       vertritt, und auch hinter seiner Idee der Gründung einer Islamischen
       Republik“.
       
       ## Gibt es Informationen über Rekrutierungen für dschihadistische Kämpfer
       in Syrien durch Ditib?
       
       Nein, das gibt es nicht. Jedoch sehen wir, dass sich die Anwerbungen für
       Koranschulen ausweiten, bei denen keiner weiß, was genau dort unterrichtet
       wird. Da wollen wir Transparenz. In der Vergangenheit wurden auch schon ein
       paar dieser Schulen geschlossen. Uns ist nicht bekannt, dass über Ditib
       Kämpfer für islamistische Milizen in Syrien rekrutiert werden.
       
       Aber ideologisch ist eine Radikalisierung ganz klar erkennbar. Es gibt
       zweifelhafte Beziehungen zwischen verschiedenen Moscheen. Wir müssen diese
       Netzwerke überprüfen, denn daran misst sich auch, wie ernst es der
       Bundesregierung mit ihrem Kampf gegen den Islamismus ist.
       
       ## Wie beobachten Sie die Beziehungen zwischen der türkischen Regierung und
       dschihadistischen Kämpfern in Syrien?
       
       Ich war 2014 in der Türkei, als der IS Sindschar angriff und ein Korridor
       für die Flucht der Jesid*innen errichtet werden sollte. Als ich nach
       Deutschland zurückkehrte, habe ich eine Kleine Anfrage gestellt, um
       herauszufinden, ob die Bundesregierung davon weiß, dass es syrische
       Grenzposten zur Türkei gibt, die vom IS kontrolliert werden; dass
       IS-Kämpfer in türkischen Krankenhäusern behandelt werden; dass es Waffen-
       und Ölhandel zwischen dem IS und der Türkei gibt.
       
       ## Wie lautete die Antwort?
       
       Ich erhielt eine vertrauliche Antwort, in der es hieß, der
       Bundesnachrichtendienst (BND) wisse davon. Für mich bedeutet das nicht
       anderes, als dass die Bundesregierung ihren Kampf gegen den “Islamischen
       Staat“ nicht ernst genug nimmt. Auch die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen
       stellte eine Kleine Anfrage, auf die sie ebenfalls eine vertrauliche
       Antwort erhielt.
       
       Dabei unterschied sich die Antwort des Innenministeriums von der des
       Auswärtigen Amts. Das Innenministerium erklärte, man wisse davon, dass sich
       in der Türkei Dschihadisten aufhielten und frei bewegen könnten. Die
       Antwort des Auswärtigen Amts fiel natürlich diplomatischer aus, um die
       Beziehungen zur Türkei nicht zu gefährden.
       
       ## Kann man sagen, dass der Dschihadismus in Syrien auch ideologischen
       Rückhalt in der Türkei findet?
       
       Natürlich. Dschihadismus bereitet die geistige Grundlage des Kriegs. Und
       dabei spreche ich nicht nur vom IS, sondern auch von El Nusra, von Al-Qaida
       und ihnen zugehörige Gruppierungen, die offensichtlich Unterstützung aus
       der Türkei erhalten. Die Ideologie gelangt über die Türkei auch hierher.
       Zudem sind wir uns im Klaren darüber, wie sich Erdogan in den Syrienkrieg
       einmischt.
       
       Es ist unverständlich, dass zu den Syrien-Verhandlungsgesprächen
       Dschihadisten eingeladen werden. Man sollte nur mit denen sprechen, die
       ernsthaft Frieden wollen. Wir können mit radikalen Islamisten nicht über
       die Zukunft von Syrien sprechen.
       
       ## Deshalb wir die Bundesregierung auch regelmäßig von Oppositionsparteien
       für ihren Umgang mit der Türkei kritisiert.
       
       Sehen Sie, bei unserer Kritik geht es nicht mal nur um den islamistischen
       Terror. Vor allem Menschenrechte und Pressefreiheit sind Kriterien, die
       unbedingt erfüllt werden müssen, wenn wir mit dieser Regierung
       zusammenarbeiten wollen.
       
       ## Mit der Diskussion um Incirlik verschärft sich der Ton zwischen
       Deutschland und der Türkei zunehmend.
       
       Sicher. Es ist inzwischen sehr wahrscheinlich, dass die Bundeswehr aus
       Incirlik abgezogen wird, und das hat auch mit dem Druck zu tun, den wir als
       Oppositionsparteien auf die Bundesregierung ausüben. Es gibt bereits
       Gespräche mit Jordanien und dem Libanon. Natürlich wird Incirlik nicht
       dicht gemacht, da es sich um einen Nato-Stützpunkt handelt.
       
       Doch auch die Beziehungen der Türkei zu anderen Nato-Partnern sind
       angespannt. Die türkische Regierung entfernt sich zunehmend von einem
       diplomatischen Ton, was kürzlich auch von Seiten des Auswärtigen Amts
       kritisiert worden ist.
       
       ## Ein weiterer Streitpunkt bezieht sich auf die Soldaten, die sich nach
       dem Putschversuch in Deutschland abgesetzt haben. Wie stehen sie dazu?
       
       Die Türkei erwartet die Auslieferung der Soldaten. Allein das ist für mich
       schon ein Skandal. Nach unserem Demokratieverständnis können sich Politiker
       sowieso nicht in ein Asylverfahren einmischen. Dafür ist das Bamf
       zuständig. Und dort haben Asylanträge aus der Türkei ohnehin die längsten
       Wartezeiten, was auch nicht unbedingt richtig ist meiner Meinung nach, weil
       wir ja sehen, wie schutzbedürftig diese Menschen aus der Türkei sind.
       
       29 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erk Acarer
       
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