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       # taz.de -- Initiative „Selbstbestimmte Sonntage“: Konsum statt Gott
       
       > Kaufhäuser beklagen den Boom von Onlineshops. Die Lösung des Problems:
       > reguläre Öffnungszeiten an Sonntagen! Oder?
       
   IMG Bild: An verkaufsoffenen Sonntagen wird es voll in der Stadt. Sollte das jede Woche so sein?
       
       Wie schön wäre es, die Leere einer Sonntagsdepression mit exzessiven
       Lebensmitteleinkäufen, frischen Platten und neuen Klamotten, die eine
       Persönlichkeitstransformation versprechen, zu füllen? Nicht durch den
       erdrückenden Stillstand auf den Straßen daran erinnert zu werden, dass es
       da draußen nichts gibt? Die Kirche im Dorf zu lassen und nicht die
       Ladenöffnungszeiten? Samstagabends im Supermarkt nicht horten zu müssen,
       weil man weiß, dass selbst im Falle einer Apokalypse der Folgetag Chancen
       auf [1][Klopapiervorräte und Tiefkühlpizzanachschub bieten wird]?
       
       Dieser Wunsch ungeduldiger Konsumhungriger könnte bald in Erfüllung gehen,
       denn Offline-Kaufhäuser fordern in ihrer Initiative „Selbstbestimmter
       Sonntag“ flexiblere Ladenöffnungszeiten – um die Onlinekonkurrenz
       einzuholen. Ihre Begründung: Da Onlineshops durchgängig „geöffnet“ seien,
       sollten andere Geschäfte sonntags auch gierige Kund_innen begrüßen dürfen.
       
       Es gibt eine Menge Gründe für verkaufsoffene Sonntage, aber der Vergleich
       mit dem Onlinehandel ist keiner davon. Ich kann zwar rund um die Uhr meinen
       virtuellen Einkaufskorb füllen, doch beliefert werde ich sonntags nicht,
       sondern muss ohnehin auf die regulären Werktage warten. Und was ist mit den
       vielen Bestellungen, die Menschen nachts – ganz gleich, ob nüchtern, be-
       oder schlaftrunken – aufgeben? Selbst wenn das Kaufhaus in meinem Kiez an
       einem Dienstag um 3 Uhr geöffnet hätte, würde ich im Pyjama nicht vor die
       Tür gehen.
       
       ## Verödung der Innenstädte
       
       [2][Onlineshops sind für Offlineläden in erster Linie deshalb so
       bedrohlich], weil ihr Sortiment geiler ist: mehr Größen, mehr Farben, mehr
       Modelle, mehr Vergleich und meistens günstiger, darauf kommt es doch
       wirklich an. Mir doch egal, ob die spießige Provinzfußgängerzone sonntags
       mit geöffneten Läden lockt, wenn die Läden alle nichts für mich haben.
       
       Die Verödung der Innenstädte nutzen die Vertreter_innen der Initiative
       tatsächlich als Argument. Doch was, wenn diese auch dann stattfindet, wenn
       die Türen der Geschäfte offen stehen? Für das Imageproblem von Stadtzentren
       können Onlineshops wenig. Da bringt auch das Schmollen von Kaufhäusern
       nichts, die sich aufgrund der Öffnungsrestriktionen ausgeschlossen fühlen.
       
       Niedersachsens Grüne fordert stattdessen einen Stopp der
       Höher-schneller-stärker-Mentalität und somit einfach Einschränkungen der
       Arbeitszeiten in Onlineshops. Hä, soll das heißen, dass dann außerhalb der
       Geschäftszeiten Webshops deaktiviert werden? Zum Glück nicht.
       
       ## Faire Löhne statt freier Sonntag
       
       Aber Menschen, die am vermeintlichen Ruhetag Pakete packen und
       Callcenter-Anrufe entgegennehmen, sollen lieber freibekommen. Das trennt
       uns einen weiteren Schritt vom grenzenlosen Konsum und der Verdrängung
       eines christlich geprägten Kalenders. Außerdem wird in vielen Branchen
       ohnehin sonntags gearbeitet.
       
       Doch ein Funken wichtiger Kritik steckt in ihrem Lösungsvorschlag: Für wen
       wäre der „selbstbestimmte Sonntag“ überhaupt so befreiend? Für die
       Menschen, die das Gemotze und Gegrabbel kaufwütiger Kundschaft aushalten
       müssen, sicherlich nicht. Bekämen diese denn dann wenigstens einen
       Sonntagsbonus und an anderen Wochentagen frei? Können sie sich aussuchen,
       ob sie am Sonntag arbeiten möchten?
       
       Um verkaufsoffene Sonntage wirklich genießen zu können, brauche ich die
       Gewissheit, dass ich meine Gier nicht auf dem Rücken von Verkäufer_innen
       auslebe, sondern nur auf den Grenzen meines eigenen Dispos. So, wie ich mir
       auch wünsche, dass die Menschen, die meine Onlinebestellungen bearbeiten,
       anständig bezahlt werden – denn das ist meistens nicht der Fall. [3][Dafür
       nehme ich auch gern nur das zweitbeste Angebot.]
       
       Obwohl ich Onlineshopping überfüllten Läden immer vorziehen werde, fände
       ich es richtig gut, wenn Spätis, Supermärkte und andere Geschäfte sonntags
       regulär offen wären. Für mehr Zeitvertrieb beim Bummeln, Brot am Nachmittag
       für spätes Frühstück, Zugang zu Snacks, Last-Minute-Geburtstagsgeschenken
       und die Gewissheit, dass draußen vielleicht doch was los ist.
       
       11 Jun 2017
       
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