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       # taz.de -- Visumfrei von Kiew nach Berlin: Ласкаво просимо в Берлін
       
       > Herzlich willkommen in Berlin: Ab Sonntag dürfen ukrainische Staatsbürger
       > ohne Visum in die EU reisen. Die Berliner Ukrainerinnen und Ukrainer
       > freuen sich.
       
   IMG Bild: So fing es an: Ukrainerinnen und Ukrainer in Berlin demonstrieren im Dezember 2013 für mehr Demokratie
       
       ## Jetzt ist es konkret
       
       „Das ist das Ereignis, auf das wir alle gewartet haben. Ich hab schon vor
       Jahren einen Song geschrieben, der hieß ‚Visa free‘. Als ich noch meinen
       ukrainischen Pass hatte, hätte ich mir nichts lieber als das gewünscht. Ich
       hab ja am eigenen Beispiel gespürt, was es heißt, bei Konzerten für jedes
       Land ein Visum beantragen zu müssen. Das kostet Nerven und Zeit und Geld.
       
       Die Leute haben auf dem Maidan auch für die Reisefreiheit gestanden. Jetzt
       ist es konkret. Ich glaube nicht, dass das zu einem großen Anstieg der
       Arbeitsmigration führen wird. Da ist Polen viel näher. Und diejenigen, die
       schon in Berlin arbeiten wollten, sind hier. Die sind eben mit Visum
       eingereist. Aber jetzt ist es natürlich einfacher und günstiger.“
       
       Yuriy Gurshy ist Musiker und wurde in Charkiw geboren 
       
       ## Unser Lebensstil
       
       „Ich bin auf der Krim geboren und 1993 das erste Mal nach Deutschland
       gekommen. Ich weiß, was es heißt, alle Unterlagen für ein Visum
       zusammenzubekommen. Obwohl ich inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft
       habe, freue ich mich sehr für meine Landsleute. Gerade für die jüngere
       Generation und für zivilgesellschaftliche Aktivisten gehört es ja zum
       Lebensstil, zu reisen, sich zu treffen, gemeinsame Projekte zu machen.
       Dafür ist die visafreie Reisemöglichkeit großartig, weil sie auch spontane
       Reisen erlaubt. Zuvor musste man erst nach Kiew in die Deutsche Botschaft,
       um ein Visum zu beantragen.
       
       Vielleicht entdecken auch mehr Berliner und Deutsche die Ukraine. Als 2005
       der Visazwang für Deutsche in die Ukraine abgeschafft wurde, sind viele zum
       ersten Mal in dieses Land gefahren.“
       
       Yuliya Erner ist Politikwissenschaftlerin und arbeitet beim
       Deutsch-Russischen Austausch. 
       
       ## Lange Zeit unerwünscht
       
       „Das Visum stellte für mich immer eine bürokratische und psychologische
       Hürde dar. Die Vorbereitungen nahmen mindestens eine Woche in Anspruch, es
       folgten stundenlanges Schlangestehen und dann noch eine Woche für die
       Antragsbearbeitung. Dazu kamen die Gebühren, die für ukrainische
       Verhältnisse recht hoch waren – 35 Euro für das Visum und 20 Euro für die
       Leistungen des Visumbüros. Viele Ukrainer gaben noch vor dem
       Antragsverfahren auf. Die Europäische Union war gefühlt unerreichbares
       Gebiet, obwohl mit Polen, Ungarn, der Slowakei und Rumänien vier unserer
       direkten Nachbarländer Mitglieder der EU sind.
       
       Ich erinnere mich an meinen ersten Visaantrag. Ich war 18 Jahre alt und
       wollte in Düsseldorf einen Sprachkurs absolvieren, den ich sogar schon
       bezahlt hatte. Mein Antrag wurde abgelehnt. Ich habe das Visum am Ende aber
       doch erhalten. Dennoch konnte man sich damals leicht als unerwünschter Gast
       in Europa fühlen.“
       
       Anna Chepizhko ist Stipendiatin des diesjährigen IPS-Programms des
       Deutschen Bundestages. 
       
       ## Gemischte Gefühle
       
       „Ins Flugzeug steigen und einfach nach Berlin, Paris oder Warschau fliegen.
       Das ist toll. So lange haben Ukrainer auf diese Entscheidung gewartet, dass
       sie fürchten, die EU könne es sich im letzten Moment noch anders überlegen.
       
       Gleichzeitig sehe ich im Fernsehen in Kiew, dass eine andere Debatte wieder
       hochkommt: das Visa-Regime mit Russland. Bis heute können russische
       Staatsbürger ohne Visum in die Ukraine einreisen. Nun hat die Regierung
       einen Gesetzentwurf vorbereitet, der das ändern soll. Einerseits denke ich,
       es ist naheliegend, ein Visa-Regime mit dem Land einzuführen, von dem man
       attackiert wird. Und doch werde ich das Gefühl nicht los, als würde mir
       damit das Stück Freiheit, das ich gerade bei der EU gewonnen habe, wieder
       weggenommen. Viele Ukrainer haben Verwandte in Russland, Freunde, die sie
       regelmäßig besuchen – auch ich. Sollte die Ukraine tatsächlich die
       Visapflicht für Russland einführen, würde der Kreml das Gleiche tun. Die
       Verlierer werden jene Ukrainer sein, die weiterhin in Russland ihr Geld
       verdienen und dort Angehörige haben.“
       
       Inga Pylypchuk ist Journalistin und Kolumnistin 
       
       ## Bild der Ukraine ändert sich
       
       „Um ehrlich zu sein, fehlt es mir noch schwer zu glauben, dass es wahr ist.
       Die Visafreiheit gibt uns jetzt die Möglichkeit, auch kurzfristiger und
       spontaner zu reisen. Großartig!
       
       Was die ukrainische Community in Berlin betrifft, gibt es eine Gruppe von
       Leuten, die sich ehrenamtlich für die Menschen in der Ukraine einsetzten.
       Andere entwickeln Projekte zur Förderung der Zivilgesellschaft und von Good
       Governance. Viele meine Freunde waren schon in der Ukraine und sind sehr
       begeistert. Ich denke, je offener die EU gegenüber der Ukraine ist, desto
       mehr Anziehungskraft wird sie haben.“
       
       Nataliya Pryhornytska ist Masterstudentin an der FU Berlin 
       
       ## Gut für Integration
       
       „Die Visafreiheit für die Ukraine ist ein wichtiger Faktor der ukrainischen
       Integration in die EU. Auch in Berlin. Hier gibt es viele Initiativen,
       einige organisieren Kulturveranstaltungen, andere sammeln Geld und
       organisieren Sommercamps für die Kinder aus der Ostukraine, wiederum andere
       zeigen ukrainisches Kino in Berlin. Ich denke, es wäre gut, wenn alle
       Initiativen mehr zusammenarbeiten. Während des Euromaidan hat die Community
       ihre Kraft und ihren Zusammenhalt schon gut gezeigt, sodass es für diese
       neue Vereinigung in kurzer Zeit gute Aussichten gibt.“ Oleksandra Gnyp ist
       Stipendiatin des DAAD
       
       ## Das reicht nicht
       
       „Diese visafreie Geschichte ist ein wichtiges Zeichen. Gleichzeitig werden
       jetzt Grenzübertritte schwerer. Und zwar für Rentner, Studenten, einfache
       Arbeiter, für alle, die nicht fliegen können, weil es zu teuer ist. Wir
       haben heute sechs Stunden mit dem Bus an der ukrainisch-polnischen Grenze
       gestanden. Die Menschen haben mir berichtet, es sei schlechter geworden,
       als es hieß, jetzt käme die Visafreiheit. Das muss sich ändern, es muss
       mehr Personal her.“
       
       Oleksandra Bienert ist Koordinatorin der Menschenrechtsinitiative Pravo
       
       8 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uwe Rada
   DIR Daniel Schulz
       
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