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       # taz.de -- Debatte Ethik der Cyber-Abwehr: Problematische Kampfzone
       
       > Auch in der virtuellen Welt ist Wettrüsten gefährlich. Militärische
       > Cyber-Abwehr ist notwendig – sie muss aber Ultima Ratio bleiben.
       
   IMG Bild: „Cyber days“ bei der Bundeswehr: Dort soll Cyber-Nachwuchs rekrutiert werden
       
       Seit April hat die Bundeswehr einen neuen Organisationsbereich: „Cyber- und
       Informationsraum“. Mit dessen Schaffung reagiert das
       Verteidigungsministerium auf neuartige Bedrohungen: Nicht nur dass selbst
       die eigenen konventionellen Waffensysteme inzwischen derart computerbasiert
       sind, dass ein gezielter Hackerangriff auf sie fatale Folgen haben könnte.
       Vielmehr lassen bereits die zurückliegenden groß angelegten Cyberangriffe
       wie der durch „WannaCry“ – der im Mai erfolgte Angriff unter anderem auf
       das britische Gesundheitssystem und die Deutsche Bahn – erahnen, in welchem
       Ausmaß die zivile Infrastruktur grundsätzlich bedroht ist.
       
       Die Gefahrenlage, die zum Aufbau der „Cyber-Streitkräfte“ geführt hat, ist
       eindeutig. Ebenso eindeutig sind allerdings die Risiken, die eine
       Militarisierung bzw. eine zunehmende Versicherheitlichung des digitalen
       Raums in sich birgt. Erstens gerät das Internet als Raum primär ziviler
       Nutzung in Gefahr; bei allen denkbaren Entscheidungen müssen berechtigte
       Sicherheitsinteressen gegen die Freiheitsrechte der Nutzer abgewogen
       werden.
       
       Zweitens sind Angreifer im Netz nur schwer identifizierbar, sodass
       „Gegenschläge“ unter besonderem Vorbehalt stehen; dies wird vor allem die
       Mandatierung und Kontrolle von Einsätzen durch den Bundestag vor neue
       Herausforderungen stellen. Drittens muss stets im Bewusstsein bleiben, dass
       „Kampfhandlungen“ im Cyberraum ebenso wie herkömmliche gewaltsame
       Auseinandersetzungen den gefährlichen Mechanismen eines Wettrüstens und der
       Konfliktverschärfung unterliegen.
       
       Daher muss die militärische Cyber-Abwehr in eine Cyber-Außen- und
       -Sicherheitspolitik eingebunden bleiben, die dem Prinzip der
       Sorgfaltsverantwortung verpflichtet ist. Das bedeutet, wie die
       Politikwissenschaftlerin Annegret Bendiek bereits im März 2016 in einer
       Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik formuliert hat, dass „Staaten
       nicht nur für die Einhaltung von Recht und Ordnung auf ihrem eigenen
       Territorium zuständig sind, sondern auch Verantwortung für die externen
       Auswirkungen innerstaatlicher Regelungen tragen“.
       
       ## Cybersicherheit als Querschnittsaufgabe
       
       Den drei Leitgedanken, die Bendiek hieraus entwickelt hat – europäische
       Zusammenarbeit, Inklusivität und Vorrang der zivilen vor der militärischen
       Komponente – muss fortwährend Gewicht verliehen werden. Nur so kann
       sichergestellt werden, dass der Einsatz des Militärs auch im Cyberraum nur
       die Ultima Ratio, das äußerste Mittel, darstellt. Werden die politische
       Infrastruktur, ihre Praxis und die gängige Einbindung nichtstaatlicher
       Akteure diesem Anspruch gerecht?
       
       Zumindest die Verwaltungsstrukturen in Deutschland und der Europäischen
       Union entsprechen im Grundsatz den drei Kriterien: Cybersicherheit gilt
       hierzulande als Verantwortungsbereich unterschiedlicher Ressorts – neben
       der Verteidigungspolitik vor allem der Innen- und Außenpolitik, der
       Geheimdienste und der Polizei. Dies trägt zur Absicherung des Vorrangs
       ziviler Mittel bei. Im Rahmen der EU wurden Institutionen wie die
       Europäische Agentur für Netz- und Informationssicherheit geschaffen, die
       ein kooperatives Vorgehen der Union befördern.
       
       Blickt man von den politischen Strukturen zu ihrer konkreten Arbeit, werden
       die Mühen der Ebene sichtbar: Trotz der Schaffung des ressortübergreifend
       koordinierenden Nationalen Cyberabwehrzentrums hakt die Zusammenarbeit der
       deutschen Behörden immer wieder. Ein Hindernis für die europäische
       Cybersicherheitspolitik stellt vor allem das langsame Voranschreiten der
       Angleichung nationaler Sicherheitsstandards dar.
       
       Im Sinne der Inklusivität beziehen sowohl die deutsche als auch die
       europäische Politik nichtstaatliche Akteure in die Entscheidungsfindung ein
       – wobei dies vor allem für Wirtschaftsvertreter gilt. Um Kenntnisse und
       Bedürfnisse der Betroffenen von Anfang an in die Gesetzgebung
       einzubeziehen, ist eine Zusammenarbeit mit den Betreibern von
       Infrastruktur, die für Cyberangriffe besonders anfällig ist, notwendig.
       Sichergestellt wird sie in Deutschland durch den Cyber-Sicherheitsrat, in
       dem die Vertreter der zuständigen Behörden mit denjenigen entscheidender
       Wirtschaftszweige – Industrie, Handel, Informationswirtschaft,
       Telekommunikation und neue Medien – zusammentreffen.
       
       ## „Weltinnenpolitik“ als utopische Zielvorstellung
       
       Ein Defizit besteht hingegen darin, dass es – wie Bendiek feststellte
       –„zivilgesellschaftliche Interessenvertreter und Parlamentarier“ im
       Vergleich zu den Konzernen „außerordentlich schwer haben, als kompetente
       Gesprächspartner anerkannt zu werden“. Dieses grundsätzliche Problem
       verstärkt Bedenken, zu denen der wachsende Einfluss der
       IT-Sicherheitswirtschaft Anlass gibt: Zwar ist aufgrund ihres Fachwissens
       auch hier eine Kooperation seitens der Politik grundsätzlich geboten, doch
       macht sich – vor allem auf europäischer Ebene – ein deutlicher Trend
       zugunsten digitaler Aufrüstung bemerkbar.
       
       Wenn es nicht gelingt, demgegenüber Stimmen aus der Friedensethik und
       Konfliktforschung nachhaltig Gehör zu verschaffen, ist zu befürchten, dass
       künftig weniger resiliente Strukturen aufgebaut werden als vielmehr ein
       Wettrüsten begünstigt wird.
       
       Was sind die Kernpunkte eines Gegenentwurfs zur einseitigen
       Cyberaufrüstung? In der EU gilt es, die Gemeinsame Außen- und
       Sicherheitspolitik zu stärken; innerhalb der Vereinten Nationen und der
       OSZE, vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen anzustoßen und
       voranzutreiben. Vordringlich müssen zum einen bereits bestehende
       Initiativen für eine Cyberrüstungskontrolle zum Erfolg geführt werden. Zum
       anderen müssen international gültige Rechts- und Sicherheitsstandards für
       den digitalen Raum etabliert werden.
       
       Als utopische Zielvorstellung mag die Idee einer „Weltinnenpolitik“ dienen
       – 1963 von Carl Friedrich von Weizsäcker angesichts der atomaren Bedrohung
       im Kalten Krieg formuliert. Ein unverhältnismäßiger Vergleich? Immerhin
       schließt sich, wie der Politologe Ulrich Bartosch feststellt, mit dem
       Cyberkrieg „der Kreis zur atomaren Bedrohung, wenn die Computersteuerung
       nuklearer Arsenale zum Ziel feindlicher Hackerangriffe wird“.
       
       15 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tilman Asmus Fischer
       
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