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       # taz.de -- Ökonom über Venezuelas Krise: „Nur die USA bringen Dollar“
       
       > Trotz seines Ölreichtums ist das Land nah an der Zahlungsunfähigkeit.
       > José Carlos Carcione erklärt, wie es so weit kommen konnte.
       
   IMG Bild: Ja, genau, das sind nur Bolivar, keine Bucks. 780 Prozent Inflation
       
       taz: Die politische Stimmung in Venezuela wird jeden Tag gereizter. Wie
       prekär ist die wirtschaftliche Lage – droht der Staatsbankrott? 
       
       José Carlos Carcione: Venezuela kommt gefährlich nahe an eine
       Zahlungsunfähigkeit heran: Die Wirtschaftsleistung ist in den vergangenen
       vier Jahren um 30 Prozent geschrumpft. 2016 hatten wir eine Inflationsrate
       von 780 Prozent, bei den Lebensmitteln lag sie sogar bei 1.080 Prozent. Die
       Staatsverschuldung beträgt 220 Milliarden Dollar. Für den Schuldendienst
       müssen 2017 20 Milliarden Dollar aufgebracht werden. Um die
       Verbindlichkeiten bei China und Russland begleichen zu können, bot der
       Energieminister zuletzt Anleihen der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA an.
       
       Venezuela gilt als das Land mit den weltweit größten Ölreserven. Was lief
       schief? 
       
       Die venezolanische Ölwirtschaft bricht zusammen und damit das Modell der
       Rentenökonomie, von der das ganze Land lebt. Dabei ist der dramatische
       Verfall des internationalen Ölpreises seit 2014 nur ein Element, der den
       Kollaps sichtbarer werden ließ. Ebenso wichtig sind die operativen
       Schwierigkeiten. Die staatliche PDVSA produziert gegenwärtig zwei Millionen
       Fass Öl täglich, vor 20 Jahren waren es noch um die drei Millionen.
       
       Woran liegt das? 
       
       Ausbleibende Investitionen und mangelnde Wartung der Anlagen und Bohrlöcher
       für leichtes Rohöl. Einmal geschlossen oder vernachlässigt sind die
       Förderquellen nur schwer oder sehr langsam wiederzugewinnen. Hinzu kommen
       die Schwierigkeiten bei der Förderung des schweren Rohöls. Nur mit Mühe
       hält sich die Ölindustrie durch die Exporte auf den US-Markt und die
       Liefervereinbarungen mit China und Russland aufrecht. Den gesamten
       karibischen und südamerikanischen Raum kann PDVSA schon nicht mehr
       beliefern. Kuba ist wieder auf russisches Öl angewiesen.
       
       Venezuelas hängt also am Tropf der USA, Russlands und Chinas? 
       
       Die Abhängigkeit von den USA ist noch beidseitig. Auch wenn sie inzwischen
       viel Schieferöl fördern, können sich die Vereinigten Staaten noch nicht
       vollkommen selbst versorgen. Zudem sind die Förderkosten bei Schieferöl mit
       rund 50 Dollar pro Fass sehr hoch. In Venezuela pendeln sie zwischen 12 und
       18 Dollar. Allerdings wiegt für Venezuela die Abhängigkeit schwerer, denn
       nur durch den Verkauf an die USA kommen tatsächlich liquide Mittel, sprich
       Dollars ins Land.
       
       Was ist mit den anderen beiden Ländern? 
       
       Venezuela hat die finanziellen Zuwendungen, die Importe und die
       Investitionen aus China und Russland bereits erhalten und muss sie mit noch
       zu lieferndem Öl abzahlen. Das schnürt die Liquidität enorm ein.
       
       Was tut die Regierung nun? 
       
       Es wurden sogenannte Besondere Wirtschaftszonen eingerichtet, die es den
       wichtigsten US- und anderen weltweit operierenden Ölgesellschaften
       erleichtern, lukrative Verträge zur Erschließung und Ausbeutung der
       Ölvorkommen im Orinoco-Gürtel abzuschließen. Dabei geht es um
       Steuererleichterungen, Eigentumsgarantien, flexibilisierte
       Arbeitsverhältnisse, Gewinnrückführung in die Herkunftsländer und vieles
       mehr. Und nach demselben Muster wird die Ausbeutung im sogenannten Arco
       Minero del Orinoco vorangetrieben, einem Bogen, der sich über ein Gebiet
       von 112.000 Quadratkilometer erstreckt und reich an Gold-, Coltan-,
       Diamant-, Bauxit und anderer Erzvorkommen ist und der dabei ist, sich in
       die größte Bergbauregion Lateinamerikas zu verwandeln.
       
       Und das geht so einfach? 
       
       Viele Gesetzesänderungen gehen verfassungswidrig vonstatten. Sie sind nicht
       von der Nationalversammlung verabschiedet, die von der Opposition dominiert
       wird. Deshalb sind sie juristisch anfechtbar. Das ist der Kern des
       gegenwärtigen Konflikts.
       
       Stützen die USA, China und Russland die Regierung? 
       
       Ja, erstens wollen sie Rechtsicherheit, damit die Investitionen in Gang
       kommen. Das soll unter anderem die Verfassunggebende Versammlung leisten,
       die Maduro angekündigt hat. Zweitens soll der Schuldendienst bei den
       Staatsanleihen und Anleihen von PDVSA gesichert werden. Ein großer Teil der
       Bonds sind bereits im Besitz der berüchtigten Geierfonds, also der
       Hedgefonds. Aber auch die Importkredite aus Russland und China, die rund 60
       Milliarden Dollar umfassen und die zum Großteil mit zukünftigen
       Öllieferungen getilgt werden sollen, sollen bedient werden. Und drittens
       sollen die unterzeichneten Verträge über die Ausbeutungsprojekte im Arco
       Minero del Orinoco mit wichtigen Minenmultis wie etwa der Barrik Gold
       eingehalten werden.
       
       Und die Regierung Maduro ist dafür der Garant? 
       
       Die Regierung wird ihre strukturelle Anpassungspolitik weiterführen, die
       beispielsweise den Lohn der venezolanischen Arbeiter von einem der höchsten
       in Lateinamerika zu einem der niedrigsten gemacht hat. Und sie hat den
       politischen Willen, die internationalen Kapitalgeber zu begleiten. Letztere
       wollen sich nicht dem Risiko einer noch größeren Instabilität durch eine
       Regierung der Opposition aussetzen.
       
       14 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Vogt
       
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