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       # taz.de -- Die Wahrheit: Und Russland dankt
       
       > Insgesamt 570 Megatonnen Zahnstein als neues Mittel der
       > Völkerfreundschaft: Wie wir dem Iwan helfen, ohne dass es uns etwas
       > kostet.
       
   IMG Bild: Am Wegesrand in Niedersachsen finden sich häufig die weißgrauen Abraumhalden
       
       Fast jeder hat sie schon einmal erblickt, aber kaum jemand weiß, woraus sie
       bestehen, die weißgrauen Haufen, die jetzt überall am Straßenrand lagern.
       
       Es sind dezentrale Zahnsteinsammellager, die einem guten Zweck dienen, wie
       der Kieferorthopäde Dr. med. Hans Pieroth erklärt: „Früher wurde der
       abgeschliffene Zahnstein deutscher Patienten oft einfach weggeworfen. Heute
       heben wir ihn auf und liefern ihn nach Russland. In Kiew, Minsk und Nischni
       Nowgorod werden daraus Kunstzähne für Russen hergestellt. Dem Zahnstein
       muss nur etwas Klebstoff beigemischt werden, damit er sich zu stabilen
       Implantaten verbinden lässt. In Russland sind künstliche Gebisse aus
       deutschem Zahnstein sehr gefragt, und auch beim Chinesen wächst das
       Interesse . . .“
       
       Zurzeit wird das Material noch auf altertümlichen Lastkraftwagen in den
       Osten transportiert. Es ist aber schon eine Pipeline im Bau, um die Sache
       zu beschleunigen. Zu verdanken haben das die Russen dem unermüdlichen
       Unterhändler Gerhard Schröder, der seit Neuestem auch die Interessen der
       russischen Gesellschaft für Oralchirurgie vertritt. Und er denkt bereits
       weiter: „3-D-Drucker für Konkremente sind die Zukunft. Dann können wir uns
       den ganzen Zirkus hier sparen.“
       
       ## Keine verderblichen Einflüsse
       
       Doch so weit ist es noch nicht. Momentan werden täglich rund 200 Tonnen
       Zahnstein mit konventionellen Methoden aus Deutschland abgeholt. Deutscher
       Zahnstein gilt als besonders hochwertig, weil er zumeist von Zähnen
       herrührt, deren Besitzer sich ihr Leben lang gesund ernährt haben und von
       Cheruskern abstammen, die ihrerseits niemals den verderblichen Einflüssen
       der romanischen Küche ausgeliefert waren.
       
       Interessant am Rande: Schon bevor die Griechen ihre ersten Handelswege
       eröffneten, soll zwischen dem Teutoburger Wald und dem prädynastischen
       Ägypten eine Zahnsteinstraße existiert haben, ähnlich der berühmten
       Seidenstraße, über die seit dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert ein
       Austausch von Gütern zwischen Ostasien und den Mittelmeerländern
       abgewickelt wurde. Nach neuesten archäologischen Erkenntnissen setzen sich
       die Pyramiden von Gizeh großenteils aus verbundfestem Zahnstein der alten
       Germanen zusammen.
       
       Auch das vorvergangene Woche in einem Altmetallcontainer in der englischen
       Grafschaft Gloucestershire entdeckte Schwert Excalibur des keltischen
       Königs Artus hat sich inzwischen als Produkt aus altgermanischem Zahnstein
       erwiesen, und seit Längerem ist bekannt, dass die Gebeine des einstigen
       kongolesischen Präsidenten Mobutu gemäß seiner testamentarischen Verfügung
       in einem Mausoleum ruhen, das mit Material aus der sehr umfangreichen
       Zahnsteinsammlung eines Dentisten aus Bad Gandersheim errichtet worden ist.
       
       „Ich will das nicht hochspielen, aber man kann durchaus behaupten, dass der
       deutsche Zahnstein das Gold des 21. Jahrhunderts ist“, sagt Dr. Pieroth
       schmunzelnd. „Doch es gibt natürlich regionale Unterschiede. Zahnstein von
       Helgoländern steht am höchsten im Kurs, vermutlich wegen der gesunden Luft,
       und am seltensten wird Zahnstein aus dem thüringischen Vogtland
       nachgefragt. Die Leute scheinen da irgendwas in ihrem Speichel zu haben,
       das die Qualität des Zahnbelags vermindert. Ob das auf äußere Einflüsse wie
       Abgase oder minderwertiges Schweinefleisch zurückgeht oder auf biologische
       Faktoren wie Degeneration und Inzucht, kann ich nicht sagen.
       
       ## Anruf von Gerhard Schröder
       
       Letzten Endes geht es ja auch nicht um den Profit. Für mich ist es eine
       Herzensangelegenheit, Bedürftige mit Plaque aus Deutschland zu versorgen.
       Und der Gerhard Schröder macht da einen Bombenjob, muss ich sagen. Der
       hängt sich richtig rein. Vor zwei Wochen ist im Ural einer unserer Lastzüge
       mit drei Tonnen exquisiter Ablagerungen aus den Zahnfleischtaschen
       oberhessischer Witwen liegengeblieben, mit Achsenbruch, bei minus vierzig
       Grad, und da hat der Gerd mal eben kurz im Kreml angerufen, und drei
       Stunden später waren vier Helikopter vor Ort und haben das Zeug noch
       rechtzeitig sichergestellt. Denn es ist ja leider nicht kälteresistent.
       Spätestens nach fünf, sechs Tagen bei Temperaturen unter null muss es
       weiterverarbeitet werden, sonst ist es hin. Wir versetzen die Zahnbeläge
       seitdem vorsichtshalber mit Frostschutzmittel, was ihre Güteklasse zwar
       etwas herabsetzt, aber der Russe ist ja bekanntermaßen stark im Nehmen. Der
       wird das verkraften . . .“
       
       Und Russland dankt: Für die Lieferung von bislang insgesamt 570 Megatonnen
       Zahnstein wird sich der eurasische Vielvölkerstaat demnächst erkenntlich
       zeigen, indem er der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover ein zwölf
       Meter hohes, von Moskauer Vorschulkindern gestaltetes
       Gerhard-Schröder-Denkmal aus bakteriellen deutschen Zahnbelägen schenkt.
       
       14 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gerhard Henschel
       
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