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       # taz.de -- Heiner Flassbeck über Macrons Politik: „Es fehlt eine gemeinsame Vision“
       
       > Macron wird mit seiner Wirtschaftspolitik scheitern, prognostiziert
       > Ökonom Heiner Flassbeck. Auch weil er Deutschland in Sachen Löhne
       > kopieren wolle.
       
   IMG Bild: Macron will einen EU-Finanzminister. Ob er damit Erfolg haben wird, ist mehr als fraglich
       
       taz: Herr Flassbeck, der neue französische Präsident Macron will die
       Eurozone reformieren. Unter anderem fordert er einen gemeinsamen
       Finanzminister. Was halten Sie davon? 
       
       Heiner Flassbeck: Das ist eine lächerliche Scheinlösung. Wichtig ist nicht
       eine Person, sondern ein vernünftiges Wirtschaftskonzept für die Eurozone.
       Doch eine gemeinsame Vision fehlt. Stattdessen diktiert Deutschland die
       Regeln, indem es von allen Ländern Sparprogramme verlangt.
       
       Macron meldet aber Widerspruch an: Er will ein europäisches
       Investitionsprogramm. 
       
       Um ein anderes Konzept durchzusetzen, muss sich Macron explizit gegen
       Deutschland stellen. Für eine derartige Konfrontation bräuchte er aber
       einen Finanzminister, der wirtschaftspolitisches Fachwissen mitbringt.
       Stattdessen hat er Bruno Le Maire ausgewählt. Dieser Berufspolitiker hat
       zwar schon alle möglichen Themen betreut, unter anderem war er Minister für
       Landwirtschaft und Fischerei – aber mit Wirtschaftspolitik hat er sich nie
       befasst. Le Maire hat keine Chance gegen Finanzminister Schäuble und die
       anderen schwäbischen Hausfrauen aus Deutschland.
       
       Die Deutschen argumentieren, dass Frankreich erst einmal „seine
       Hausaufgaben“ machen solle, bevor man europäische Lösungen anstrebe. 
       
       In Frankreich gibt es keinen „Reformstau“. Das ist eine deutsche Erfindung.
       Die Stundenproduktivität ist in Frankreich höher als in Deutschland. Nicht
       die Franzosen müssen liefern – sondern die Deutschen.
       
       Wenn die Franzosen so produktiv sind – warum haben sie Defizite im
       Außenhandel? 
       
       Die Franzosen haben ihre Reallöhne genauso stark steigen lassen wie die
       Produktivität – und die Deutschen nicht. Deutschland hat durch die
       Agenda-Politik die Löhne gedrückt und sich damit einen Wettbewerbsvorteil
       verschafft. Dies erzeugte enorme Exportüberschüsse.
       
       Macron will die Löhne in Frankreich jetzt „flexibilisieren“, indem es keine
       Tarifverträge für ganze Branchen mehr geben soll, sondern nur noch
       Absprachen für einzelne Firmen. 
       
       Das ist genau die falsche Politik und eine blinde Kopie der deutschen
       Vorgaben. Frankreich müsste seine Löhne um etwa 20 Prozent senken, um
       Deutschland einzuholen. Das geht aber nicht, weil die Binnennachfrage in
       Frankreich einbrechen und die Arbeitslosigkeit dramatisch steigen würde.
       Stattdessen müssten die deutschen Löhne jährlich um etwa 5 Prozent steigen,
       und zwar über viele Jahre. Nur dann gibt es noch eine Chance, Europa zu
       retten.
       
       Bisher ist aber nicht zu erkennen, dass die Deutschen ihre Lohnpolitik
       ändern. Welche Chancen hat Macron also? 
       
       Gar keine. Er ist, ohne es zu verstehen, komplett eingemauert und wird die
       Politik seines sozialistischen Vorgängers François Hollande fortsetzen. Er
       wird ein paar Reformen in Frankreich durchführen und sich wundern, dass es
       nichts bringt.
       
       Macron hat aber schon angekündigt, dass er die Staatsverschuldung ausweiten
       will, um die französische Wirtschaft anzukurbeln. Eine gute Idee? 
       
       Der Ansatz ist richtig. In ganz Europa wird zu wenig investiert. Vor allem
       Deutschland müsste ein Investitionsprogramm auflegen, denn hier wird viel
       zu viel gespart. Selbst die deutschen Unternehmen sind Nettosparer. Wenn
       aber alle Bevölkerungsgruppen große Teile ihres Einkommens auf Konten
       parken, dann bricht die Wirtschaft zusammen. Deutschland hat diese
       Nachfragelücke bisher durch die Exportüberschüsse aufgefangen, aber das
       geht nicht auf Dauer. Der deutsche Staat müsste sich jährlich mit 50 bis
       100 Milliarden Euro verschulden, um den Sparüberschuss wenigstens teilweise
       zu kompensieren.
       
       Stattdessen strebt Schäuble die „Schwarze Null“ an. 
       
       … und gefährdet die internationale Stabilität: Nur weil die anderen Länder
       dauernd Schulden machen – im privaten und im öffentlichen Sektor – kann
       Deutschland riesige Exportüberschüsse erzielen.
       
       Wie wird es also mit der Eurozone weitergehen? 
       
       Macron war der Hoffnungsträger der Verzweifelten, denn die herrschenden
       Parteien hatten keine Konzepte. Wenn er scheitert, wird in Frankreich Chaos
       ausbrechen. Das gilt für ganz Europa. In allen Wahlen, auch beim Brexit,
       war Verzweiflung das eigentliche Thema. Die Bürger wissen nicht, was sie
       wählen sollen, denn es kommt immer das gleiche Rezept heraus:
       Neoliberalismus. Gleichzeitig ist aber offensichtlich, dass dieses Rezept
       nicht funktioniert. Das führt zur Radikalisierung.
       
       14 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
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