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       # taz.de -- Debatte Gewalt in Partnerschaften: Die Scham ist nicht vorbei
       
       > Trotz guter Gesetze hat sich gesellschaftlich wenig bewegt: Noch immer
       > schweigen Frauen nach Gewalt – wegen Schuldgefühlen oder aus Angst.
       
   IMG Bild: Wer vom Partner geschlagen wird, denkt nicht selten, er sei selbst schuld
       
       Die junge Frau ist irritiert. Eins der vier Fotos auf dem Bildstreifen, den
       sie gerade aus dem Fotoautomaten gezogen hat, zeigt ihr Gesicht mit blauen
       Flecken, blutender Nase und Prellungen. Ungläubig streicht sie sich übers
       Gesicht: Ich habe doch gar keine aufgeplatzte Lippe. Sie versucht, das Bild
       zu „säubern“. Doch sosehr sie auch darauf herumwischt, die Zeichen
       offensichtlicher Gewalt kleben auf dem Bild.
       
       Was ist das? In diesem Fall: ein Fake. Die Frau ist auf eine Aktion von
       [1][Terre des Femmes] und des [2][„Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen“]
       hereingefallen. Die Menschenrechtsorganisation und die bundesweite
       Beratungshotline haben am 8. März mitten in Berlin einen Fotoautomaten
       aufgestellt, der weibliche Gesichter erkennt und jeweils eines auf dem
       Bilderstreifen so verändert, dass die Frau darauf aussieht, als wäre sie
       verprügeltet worden. Die Aktion, die gefilmt wurde und jetzt [3][als Spot
       im Internet] zu sehen ist, sollte darauf aufmerksam machen, dass jede
       vierte Frau Gewalt durch ihren aktuellen oder einen Expartner erlebt.
       
       Das nicht einmal zwei Minuten lange Video hat alles, was Aufklärung zu
       diesem Thema braucht: eine alarmierende Zahl und den knappen Hinweis: „Wenn
       es jeder vierten Frau passiert, kann es auch dich betreffen oder Freunde
       oder Familie“.
       
       Wir wissen nicht, ob eine der rund 60 Frauen, die sich am Frauentag auf dem
       Alexanderplatz fotografieren ließen, betroffen ist. Ebenso wenig wissen
       wir, ob die Botschaft des Spots, den man im Internet sehen kann, angekommen
       ist und die Frauen später mit ihrer Familie oder mit ihren Freundinnen und
       Freunden darüber geredet haben. Was wir aber wissen: Der Gewalt in
       Partnerschaften wird in der Gesellschaft bei Weitem nicht die Bedeutung
       beigemessen, die sie tatsächlich hat. Und das trotz zahlreicher und guter
       Gesetze.
       
       ## Kein Verhalten rechtfertigt Gewalt
       
       Das bewirkt unter anderem, dass über das, was zu Hause geschieht, nicht
       offen gesprochen wird – aus Scham, aus Ratlosigkeit, aus Angst. Oder aus
       dem Gefühl heraus, mitschuldig zu sein an der Gewalt: Warum habe ich auch
       darauf bestanden, mit meiner Freundin ins Kino zu gehen statt die Wäsche zu
       machen?
       
       Unabhängig davon, dass kein Verhalten Gewalt rechtfertigt, betrachten nicht
       wenige Betroffene Prügeleien in den eigenen vier Wänden als
       Privatangelegenheit. Daran konnte das Gewaltschutzgesetz, das seit 15
       Jahren gilt, nicht viel ändern. Dabei ist das Gesetz gut: Polizei und
       Gerichte können nach erwiesener Gewalt dafür sorgen, dass der Täter für
       eine Weile nicht in die Wohnung des Opfers darf. Er darf auch nicht an
       jenen Orten auftauchen, wo sich das Opfer regelmäßig aufhält.
       
       Während noch vor 40 Jahren der damalige Kölner Sozialdezernent Hans Erich
       Körner behauptete, dass man die Männer, die ihre Frau verprügeln, in einer
       Schubkarre wegfahren könne, sind Politik, Polizei und Justiz mittlerweile
       alarmiert und informiert.
       
       Das Gewaltschutzgesetz hat weitere Grenzen: Sobald ein Paar gemeinsame
       Kinder hat und der prügelnde Mann darauf besteht, diese auch zu sehen, muss
       die Frau das zulassen. So schreibt es das (grundsätzlich richtige)
       Umgangsrecht vor – und hebelt damit den Gewaltschutz aus. Vielfach nutzen
       Täter die Momente der Kinderübergabe zu erneuten Angriffen auf die Frau.
       Auch das bleibt der Öffentlichkeit meist verborgen. Wiederholte Angriffe
       werden in der Regel nur bekannt, wenn sie so drastisch enden wie 2013 in
       einem Fall in Bonn. Als die Frau dem Mann das gemeinsame Kind brachte,
       schlug er zu, Passanten riefen die Polizei.
       
       ## Bei Gewalt kein Umgang mit dem Vater?
       
       Expertinnen und Experten fordern seit Jahren, das Gewaltschutzgesetz dahin
       gehend zu ändern, dass Mütter beispielsweise im Namen ihrer Kinder
       beantragen können, dass sich der Vater ihnen nicht mehr nähern darf. Zudem
       sollten Gerichte bei „Gewaltfamilien“ nicht mehr in sogenannten
       beschleunigten Verfahren über Sorge- und Umgangsrecht entscheiden. Manche
       Gerichte verhandeln heute solche Fälle, ohne auch nur einmal die Eltern
       angehört zu haben.
       
       Die ehemalige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) hatte die
       Gesetzeslücke erkannt. Sie sagte im Herbst vergangenen Jahres auf einem
       Podium zu häuslicher Gewalt: „Da, wo Partner gewalttätig sind, muss der
       Umgang ausgesetzt werden.“ Sie versicherte, ihr Haus sei mit dem
       Justizministerium im Gespräch, um das Umgangsrecht nachzubessern.
       
       In Schweden, dem Musterland in Sachen Gleichstellungspolitik, ist man
       längst weiter. Im kommenden Januar will die Regierung eine neue
       Gleichstellungsbehörde einrichten. Über die wichtigsten geplanten
       Arbeitsbereiche hat Gleichstellungsministerin Åsa Regnér kürzlich in Berlin
       berichtet. Der Umgang mit häuslicher Gewalt soll eine große Rolle spielen:
       Prävention, verstärkte Aufdeckung von Partnerschaftsgewalt, mehr Schutz für
       betroffene Frauen und Kinder.
       
       Ob die Schweden das alles so umsetzen werden, wie die sozialdemokratische
       Ministerin es angekündigt hat, wissen wir noch nicht. Bemerkenswert aber
       ist insbesondere ein Vorhaben: die „wirkungsvollere Strafverfolgung“ von
       Tätern häuslicher Gewalt.
       
       ## Zu milde Strafen
       
       Ein Ansatz, der ebenso für Deutschland interessant sein könnte. Hierzulande
       werden gewalttätige Männer nur sehr selten verurteilt und mit meist
       geringen Strafen bedacht. Kürzlich hatte das Amtsgericht Burgwedel einen
       26-Jährigen zu acht Monaten auf Bewährung und 200 Stunden gemeinnütziger
       Arbeit verurteilt, nachdem er seine Frau so heftig verprügelt und ihr dabei
       Knochen gebrochen hatte, dass ein Zeuge sagte: „Ich dachte, sie wäre tot.“
       
       Das Burgwedeler Urteil fiel unter anderem so „mild“ aus, weil der Mann ein
       Antiaggressionsseminar absolviert hatte. Täter in Antigewaltprogramme zu
       schicken ist unabdingbar. Wie sonst sollen sie ein Unrechtsbewusstsein und
       Strategien entwickeln, auf ihre Wut und Aggression anders als mit Schlägen
       zu reagieren?
       
       Das Problem in Deutschland aber ist: Die wenigen Angebote für gewalttätige
       Männer sind überlaufen und – wie auch Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen –
       chronisch unterfinanziert. Dem für Berlin wichtigen Zentrum für
       Gewaltprävention beispielsweise wurden die Lottomittel, die das
       Täterprojekt bislang erhielt, gerade nicht verlängert. …
       
       18 Jun 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://frauenrechte.de/online/index.php/
   DIR [2] http://www.hilfetelefon.de/
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=IKr_Nulz5aA&feature=youtu.be
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schmollack
       
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