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       # taz.de -- Aktion bei Anhörung von Jeff Sessions: Wenn Lachen eine Straftat ist
       
       > Er sollte Trumps Justizminister werden. Bei Jeff Sessions' Anhörung
       > räusperte sich eine Frau. Ihr droht nun eine Haftstrafe von einem Jahr.
       
   IMG Bild: Gern in Pink und mit Krönchen: die Mitglieder von Code Pink (Archivbild 2016)
       
       Washington taz | Wenn Desiree Fairooz lacht, sprudelt es aus ihr heraus.
       Sie legt den Kopf in den Nacken, ihre silbrigen Locken tanzen auf den
       Schultern, und um ihre Augen, ihre Nase, ihren Mund bilden sich kleine
       Falten.
       
       Was sie am Morgen des 20. Januar hingegen tat, als sie in Washington auf
       einem Zuschauerplatz im Russell-Gebäude des Senats saß, war etwas anderes:
       Es klang wie ein missbilligendes zweisilbiges Räuspern, das aus ihrem Mund
       drängte, als ein Senator aus Alabama den angehenden Justizminister Jeff
       Sessions als „tolerant“ bezeichnete und mit den Worten pries: „Er behandelt
       alle Amerikaner gleich.“
       
       Desiree Fairooz nennt ihre Reaktion „einen Reflex“. Für eine Frau, die ein
       paar Plätze weiter saß, war es „kaum hörbar“. Wer das zweisilbige Räuspern
       auf den Videoaufzeichnungen des Hearings heraushören will, muss sich
       anstrengen. Doch die Polizistin, die Desiree Fairooz wenig später festnahm
       und sie zusammen mit ihren Kollegen, die Gummihandschuhe trugen, aus dem
       Saal drängte, nahm es anders wahr. „Es war ein sehr lautes Lachen“,
       bezeugte sie vor Gericht.
       
       Fünf Monate später könnte dieser Laut aus ihrem Mund Desiree Fairooz hinter
       Gitter bringen. Bereits Anfang Mai ist sie von einem Geschworenengericht
       der „Störung“ und „Unterbrechung“ des Senats für schuldig befunden worden.
       Nur das Strafmaß steht noch nicht fest. Am 21. Juni soll der nächste
       Gerichtstermin stattfinden. Bleibt es bei dem Schuldspruch, droht ihr bis
       zu ein Jahr Gefängnis. Noch nie wurde ein Demonstrant in den USA für ein
       Lachen derart bestraft.
       
       ## Lebende Freiheitsstatuen ganz in Rosa
       
       Für Desiree Fairooz und mehr als zwanzig weitere Aktivisten der
       Antikriegsgruppe Code Pink, die an jenem Tag aus dem Sessions Hearing
       gedrängt und getragen wurden, war es nicht die erste Festnahme. Aber bis
       dahin waren es eher „Mickymauseinsätze“, wie sie sagen. Sie führten
       manchmal zur Identitätsfeststellung, seltener zu symbolischen Geldstrafen
       bis zu 50 Dollar, noch seltener zu ein oder zwei Nächten hinter Gittern.
       Aber bei dem Hearing von Jeff Sessions hatten sie nicht erwartet, dass
       etwas passieren könnte.
       
       In der Januarnacht vor dem Hearing hatten Fairooz und andere Aktivisten
       sich bereits vor Sonnenaufgang an den Eingängen zum Russell-Gebäude
       angestellt, um rechtzeitig hineinzukommen. Code Pink hatte entschieden,
       dass Jeff Sessions ein besonders unerträglicher Kandidat für die neue
       Regierung ist.
       
       In seinen früheren Positionen im tiefen Süden hatte er daran gearbeitet,
       das Wahlrecht für Afroamerikaner einzuschränken, hatte einen schwarzen
       Anwalt im Ton eines Plantagenbesitzers als „Boy“ bezeichnet und hatte
       gewitzelt, dass er Sympathie für den rassistischen Geheimbund Ku-Klux-Klan
       empfand, bis er erfuhr, dass dort gekifft wurde. 1986 war sein Ruf deshalb
       so sehr ruiniert, dass er als Kandidat für das Amt eines Bundesrichters im
       Senat scheiterte. Unter anderem sprach sich Coretta Scott King, die Witwe
       des ermordeten Bürgerrechtlers Martin Luther King, damals gegen Jeff
       Sessions aus. „Er schüchtert ältere schwarze Wähler ein“, schrieb King in
       einem Brief an den Senat.
       
       Wie üblich hatten die Aktivisten von Code Pink ihre Requisiten
       zusammengefaltet und in Taschen und unter ihrer Kleidung versteckt: Die
       Frauen hatten rosafarbene Kittel und Krönchen, die sie später aufsetzten,
       um wie lebende Freiheitsstatuen im Saal zu sitzen. Die beiden Männer
       brachten Zipfelmützen und Umhänge des Ku-Klux-Klan mit, die sie sich
       überstülpten, um Sessions bei seiner Ankunft im Saal sarkastisch als einen
       der Ihren zu begrüßen. „Du wirst für uns Weiße da sein“, riefen sie dem
       angehenden Justizminister in Südstaatenenglisch zu.
       
       Die beiden Männer waren die Ersten, die aus dem Saal getragen wurden. Eine
       Dreiviertelstunde später traf es Desiree Fairooz. Weil die Regeln des
       Senats politische Stellungnahmen während laufender Hearings verbieten,
       hatte sie ihr mitgebrachtes Schild mit der Aufschrift „Unterstützt
       Bürgerrechte. Stoppt Sessions“ längst zur Seite gelegt. Erst als sie aus
       dem Saal gedrängt wurde, entfaltete sie es erneut. Das Schild und ihre
       Rufe, „Warum werde ich festgenommen? Dieser Mann ist ein Übel! Stimmt nicht
       für ihn!“, unterbrachen das Hearing für einen Moment. Auch das werteten die
       Geschworenen später gegen sie.
       
       ## Martin Luther King, Nelson Mandela, Code Pink
       
       Die historischen Vorbilder für den kreativen, oft theatralischen und
       gewaltfreien Widerstand von Code Pink sind Gandhi, Martin Luther King,
       Nelson Mandela. Aber Code Pink ist eine von Frauen organisierte Gruppe. Und
       weder Demokraten noch Republikaner, weder Geheimdienstler noch Lobbyisten
       sind vor ihr sicher.
       
       Die Bewegung Code Pink, die sich im Jahr 2002 gründete, hat Überlebende von
       Drohnenangriffen nach Washington eingeladen, hat gegen
       Immobilienunternehmen, die Geschäfte mit illegalen Siedlungsbauten in
       Palästina machen, demonstriert und hat sich mit bislang drei Präsidenten
       angelegt. Gern wird die Gruppe unterschätzt. Das mag an den rosafarbenen
       Theaterrequisiten und auch daran liegen, dass die radikalsten Aktionen von
       älteren Frauen angeführt oder in Alleingängen durchgeführt werden.
       
       „Wir haben die meiste Zeit und wir haben weniger zu verlieren, als die
       Jungen“, erklärt die 65-jährige Medea Benjamin, eine der Gründerinnen von
       Code Pink. Benjamin hat sowohl Präsident Barack Obama – wegen der
       Situation der hungerstreikenden Gefangenen in Guantánamo – als auch
       CIA-Chef John Brennan – wegen der Drohnenangriffe auf Zivilisten im Jemen –
       mit Zwischenrufen zur Rede gestellt. Bei einer Rede des CIA-Chefs stemmte
       sich die zierliche Frau im rosa Outfit, um mehr Redezeit zu gewinnen, mit
       Händen und Füßen gegen einen Türrahmen, durch den die Ordner sie aus dem
       Saal tragen wollten.
       
       So wie Desiree Fairooz, die Frau mit dem illegalen Lachen, die erstmals von
       sich reden machte, als sie im Oktober 2007 bei einem Hearing von Condoleeza
       Rice im Kongress von ihrem Sitz sprang, nach vorne lief und ihre mit
       falschem Blut beschmierten Hände ganz nah an den Kopf der damaligen
       Außenministerin hielt. „Kriegsverbrecherin!“, rief sie, als sie aus dem
       Saal getragen wurde.
       
       ## Der Irakkrieg rüttelte sie auf
       
       Desiree Fairooz ist kein Gründungsmitglied von Code Pink. Bis Anfang des
       letzten Jahrzehnts konzentrierte sie sich auf ihre Familie und die Arbeit
       als Kinderbibliothekarin in Arlington, einem Vorort von Dallas. Dann
       rüttelte der Krieg gegen den Irak sie auf. Sie wusste mehr über die
       Geografie des Mittleren Ostens als die meisten ihrer Landsleute.
       
       Schon als Kind hatte sie sich nicht ganz zugehörig und eher zu Leuten in
       anderen Ländern hingezogen gefühlt. Als Studentin lebte sie ein Jahr in
       Mexiko. Dann heiratete sie einen Mann aus Bahrain. Doch weder bei ihm noch
       bei Nachbarn und Kollegen in Texas fand sie Verständnis für ihre Empörung
       über den Irakkrieg. „Kaum jemand wollte sich weit aus dem Fenster lehnen“,
       sagt sie. Ihr damaliger Mann befürchtete „Ressentiments gegen Immigranten“.
       
       Dann stieß Desiree Fairooz zur ersten Kerzenwache ihres Lebens für
       irakische Kriegsopfer. Und sie erfuhr von Cindy Sheehan, der Mutter eines
       im Irak gefallenen US-Soldaten, die von Präsident George W. Bush wissen
       wollte, wofür ihr Sohn gestorben sei. Im Sommer 2005 nahm Desiree Fairooz
       eine Woche Urlaub von ihrer Bibliothek, um zu dem nach dem gefallenen Sohn
       benannten Protestlager „Casey“ zu fahren, direkt vor Bushs Sommerresidenz.
       
       Camp Casey änderte ihr Leben. Anfangs verkaufte Desiree Fairooz Cookies.
       Dann lernte sie die Gründerinnen von Code Pink kennen, und ihre eigenen
       Aktionen wurden mutiger. Nach ihrer Rückkehr verteilte sie
       Entlassungsschreiben an republikanische Politiker in Texas, hängte
       Antikriegstransparente an Hausfassaden und unternahm ihre ersten Reisen zu
       Protesten in Washington. 2007 – da war ihre Ehe zu Ende und ihre beiden
       Söhne waren erwachsen – zog sie ganz nach Washington um. Sie wurde die
       „Hausmutter“ von Code Pink und übernahm die Leitung des Hauptsitzes der
       Gruppe im Regierungsviertel Capitol Hill. Sie vermittelte Schlafplätze an
       Aktivisten, organisierte Treffen und dachte sich Aktionen aus.
       
       ## Zulauf durch Trump
       
       Die republikanischen Bundesstaaten wie Texas blieben auf der Linie des
       US-Präsidenten Bush. Doch in den großen Städten an den Küsten blühte in
       jenen Bush-Jahren die stärkste Antikriegsbewegung seit Vietnam. Desiree
       Fairooz glaubte fest daran, dass der Irakkrieg bald zu Ende sein würde.
       „Ich war naiv“, sagt sie.
       
       Mit Präsident Barack Obama, den Code Pink im Wahlkampf unterstützt hatte,
       sackte die Friedensbewegung wieder in sich zusammen. „Die Leute blieben zu
       Hause, sie dachten, ihr Problem sei gelöst“, sagt Desiree Fairooz. Obama
       reduzierte zwar die Präsenz von US-Bodentruppen, doch zugleich weitete er
       den Drohnenkrieg auf sieben Länder aus. Trotzdem schrumpften bei Code Pink
       die Zahl der Ortsgruppen von 300 auf nur noch 20 zusammen. Die Gruppe
       musste ihr Haus in Washington aufgeben, Desiree Fairooz suchte sich wieder
       einen Job als Bibliothekarin. Mehrere Jahre blieb sie radikalen Aktionen,
       bei denen Festnahmen drohten, fern: „Am Morgen danach warteten doch die
       Kinder in der Bibliothek auf mich.“
       
       Nach Obama rechnete auch Code Pink mit einem Wahlsieg von Hillary Clinton
       und stellte sich auf harte Auseinandersetzungen mit der „Falkin“ ein. Aber
       es kam Donald Trump, der seine wenigen für Kriegsgegner positiven
       Ankündigungen – darunter die Erklärung, die Nato sei überflüssig – bald
       zurückzog und stattdessen eine Erhöhung des Militärhaushalts und das größte
       Waffengeschäft der Geschichte mit Saudi-Arabien anbahnte. Mit Trump bekommt
       auch Code Pink wieder Zulauf. „Die Leute ignorieren Kriege so lange, bis
       jemand aus ihrem eigenen Umfeld getötet wird“, sagt Fairooz.
       
       ## Wer plant eine Festnahme?
       
       Einen Tag nach dem Memorial Day, an dem Tausende Kriegsveteranen in die
       US-Hauptstadt gekommen sind, um der Gefallenen zu gedenken, und an dem
       Trump auf dem Kriegsgräberfriedhof von Arlington versprach, das Land werde
       jene, die das „äußerste Opfer“ geben, „noch in tausend Jahren ehren“, sind
       Desiree Fairooz und einige Hundert Mitstreitende, darunter pazifistische
       Veteranen, zu einer Antikriegsdemonstration nach Washington gekommen.
       Desiree Fairooz ist neuerdings Rentnerin und wohnt mit ihrem neuen Freund –
       „ein wunderbarer Mann“ – in Virginia auf dem Land. Sie und Lenny Bianchi
       turteln wie frisch Verliebte. Gemeinsam halten sie vor dem Weißen Haus ein
       Transparent mit der Aufschrift „Resist“ – Widerstehe – hoch. Immer wieder
       gehen Demonstrierende, die aus allen Teilen der USA angereist sind, auf die
       zwei zu und bedanken sich bei ihnen.
       
       An jenem Januarmorgen, als die beiden in der Schlange vor dem Senat standen
       und die übliche Code-Pink-Frage kam: „Wer plant eine Festnahme?“, meldeten
       sie sich nicht. Sie dachten nicht, dass sie sich in den Augen der Justiz
       anschickten, straffällig zu werden. Sie betrachteten ihre geplanten
       Aktionen als von der Verfassung geschützte Meinungsäußerungen. Lenny
       Bianchi, der bei dem Hearing als Ku-Klux-Klan-Mitglied auftrat, wurde im
       selben Verfahren wie Desiree Fairooz ebenfalls für „schuldig“ befunden.
       Auch ihm droht nun Gefängnis.
       
       Eigentlich wollten die beiden nach Italien umziehen. Den Schatten, der nun
       über ihrem Idyll hängt und den andere als Einschüchterungsversuch
       verstehen, nennen sie „störend“.
       
       17 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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