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       # taz.de -- Historikerstreit um Bundeswehr-Kaserne: Fliegerheld und strammer Nazi
       
       > Muss die Rotenburger Lent-Kaserne umbenannt werden? Bislang blieben
       > wesentliche Fakten über den Kampfflieger unberücksichtigt.
       
   IMG Bild: Falsches Vorbild? Ein Soldat zielt 1998 auf den damaligen Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU)
       
       HAMBURG taz | Der Streit um den Namen der Lent-Kaserne in Rotenburg an der
       Wümme geht weiter. Am Mittwoch berät der Rotenburger Kreistag über die
       Frage, ob der Komplex umbenannt werden sollte, wie es
       Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angeregt hatte.
       
       Der Stadtrat hatte sich bereits im vergangenen September dagegen
       ausgesprochen, also lange bevor die Enttarnung des Neonazi-Offiziers Franco
       A. eine Debatte um die Traditionspflege der Bundeswehr auslöste. Das
       Kommunalparlament bat die Ministerin, dass der Wehrmachts-Jagdflieger
       Helmut Lent weiterhin Namensgeber der Kaserne bleiben möge. Auch die rund
       1.000 Soldaten des in der Kaserne stationierten Jägerbataillons 91 hatten
       in einer Abstimmung beschlossen, den Namen ihrer Kaserne nicht zu ändern.
       Der Elitepilot der Luftwaffe und Träger des Ritterkreuzes Helmut Lent sei
       von der NS-Maschinerie für die Propaganda missbraucht wurden, hieß es.
       
       Wieder entdeckte Aussagen von und über Lent legen eine andere Beurteilung
       nahe. Nach Kriegsende im Herbst 1945 würdigt Lents Witwe Lena ihren
       gefallenen Mann in einem „Lent Erinnerungsbuch“ als Hitler-treuen Offizier,
       der mit Kampfeinsatz in der Luft und mit Durchhalteparolen die
       NS-Terrorherrschaft mittrug. Zum Überfall auf Polen am 1. September 1939
       wird er direkt zitiert: „Jeder von uns weiß, daß heute ein
       schicksalsschwerer Abschnitt Weltgeschichte beginnt, der nicht mit Worten
       und auf Papier, sondern mit Blut geschrieben wird“, heißt es dort. Jeder
       habe dazu beizutragen, „dass das deutsche Volk vor der Geschichte bestehen
       kann, daß Deutscher Fliegergeist im neuen Glanze erstrahlt, daß des Führers
       große Hoffnung auf seine Luftwaffe nicht enttäuscht wird“.
       
       Das Buch, von dem ein Exemplar im niedersächsischen Landesarchiv in Stade
       einsehbar ist, dokumentiert zudem einen Brief von Lent an „Die Herren
       Kommandeure“ vom 18. August 1944: „Die wirksamste Belehrung ist
       selbstverständlich eine Fahrt durch die zerstörten Städte“, so Lent. Die
       Besatzung, die dann noch nicht wüsste, was sie zu tun hätte, sei feige und
       müsse „ausgerottet“ werden. „Für uns bleibt als logischer Schluß nur die
       eine Antwort, daß wir in leidenschaftlicher und fanatischer Weise bis zum
       letzten Blutstropfen kämpfen“, schreibt er. „Denken wir auch immer daran,
       daß sich eine Kapitulation oder ein unwürdiger Friede mit der deutschen
       Ehre nicht vereinbaren lässt.“
       
       ## Prädikat „ungeeignet“
       
       „Zur Identitäts- und Sinnstiftung oder als Wertelieferant ist Helmut Lent
       ungeeignet“, sagt deswegen der grüne Kommunalpolitiker Marc Andreßen, der
       in einer Initiative für die Umbenennung der Kaserne aktiv ist.
       
       1936 war Lent als freiwilliger Offiziersanwärter in die Luftwaffe
       eingetreten. Er erhielt für 100 Nachtabschüsse am 31. Juli 1944 die
       Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern. Am 5. Oktober
       1944 startete er in Stade und verunglückte bei der Landung in Paderborn.
       Beim Staatsbegräbnis am 12. Oktober in Stade führte Generalmajor Max-Josef
       Ibel aus: „Sein Glaube an den Sieg und unsere gerechte Sache war felsenfest
       und ist gerade in den letzten schweren Monaten nur fester geworden. Dieser
       Glaube lag begründet in seiner heißen Liebe zur Heimat und seiner
       unübertrefflichen Treue zum Führer und seiner Sache.“ In einem Nachruf
       anlässlich des Staatsaktes in Berlin einen Tag zuvor würdigte
       Reichsmarschall Hermann Göring Lent: „Unser Lent war ein begeisterter
       Soldat, ein harter und zäher Kämpfer, ein strahlender Held. Er war aber
       nicht nur Soldat, nicht nur Kämpfer, er war auch ein leidenschaftlicher
       Anhänger unserer nationalsozialistischer Weltanschauung.“
       
       ## Gutachten „verschleiernd“
       
       In einem Gutachten des Zentrums für Militärgeschichte und
       Sozialwissenschaften der Bundeswehr vom 28. Januar 2016 heißt es, es lägen
       keine Erkenntnisse vor, dass „Lent unter Verzicht auf ideologische
       Feindbilder gekämpft“ hätte. Eine Beurteilung aus dem Jahr 1941 wird
       zitiert, die hervorhebt, dass Lent „fest auf dem Boden der
       nationalsozialistischen Weltanschauung“ stehe und „auch in der „Lage sei,
       nationalsozialistisches Gedankengut weiterzugeben“. In der privaten
       Todesanzeige fehlten aber die „üblichen Floskeln“ wie „für Führer, Volk und
       Vaterland gefallen“, möglicherweise auf Lents eigenen Wunsch. Das Fazit des
       Gutachtens: „Mit aller Vorsicht“ könnte nicht „lückenlos“ festgestellt
       werden, ob Lent „nicht für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus
       reklamiert“ werden könnte, „sehr wahrscheinlich“ war er „auch kein ‚Nazi‘
       im eigentlichen Sinn“.
       
       „Das Gutachten ist verschleiernd“, sagt dazu Michael Quelle, bei der Linken
       im nahen Stade aktiv. „Es hat viele Unzulänglichkeiten und entlarvt sich
       dadurch als Bemühung, den Kasernennamen beibehalten zu können.“ Bezeichnend
       sei auch, dass ein umfangreicheres, Lent-kritisches Gutachten aus dem Jahre
       2004 lange zurückgehalten und erst kürzlich den Kreistagsabgeordneten
       zugänglich gemacht worden sei.
       
       Darin heißt es etwa, Lents militärische Beurteilungen „deuten auf ein
       gegebenenfalls aktives Rollenverständnis im systemkonformen Sinn hin, die
       über seine ohnehin schon dafür erbrachten engeren militärischen Leistungen
       hinausreichten“. Das „Erinnerungsbuch“ seiner Witwe spiegele „ungebrochen
       Führergläubigkeit und Verabsolutierung des Militärischen, des Kampfes
       wider“.
       
       Auf eine kleine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion, inwieweit die
       Durchhalteparolen aus dem Erinnerungsbuch bei der Bewertung der Person
       Lents berücksichtigt wurden, antwortet das Bundesverteidigungsministerium
       (BVMg) diplomatisch: „Das BMVg hat die Meinungsbildung noch nicht
       abgeschlossen.“ Schließlich ist das Ziel, in Einvernehmen mit den
       untergeordneten Einheiten Kasernen umzubenennen. Zwar hatte
       Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kürzlich auch
       erklärt, Lent sei als Namensgeber für die heutige Bundeswehr nicht mehr
       „sinnstiftend“. Ein „abschließendes Votum“ steht nach Angaben des
       Ministeriums jedoch noch aus, man sei aber im „intensiven Dialog“. Ein
       Konflikt mit den Untergebenen scheint unvermeidlich.
       
       Auch der Kreistag dürfte sich am Mittwoch auf die Seite der
       Lent-Befürworter schlagen: Der Kreisausschuss hatte mit 7:4 Stimmen
       empfohlen, die Kaserne nicht umzubenennen.
       
       Demo für die Umbenennung der Lent-Kaserne: Dienstag, 16.30 Uhr,
       Lent-Kaserne
       
       19 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Speit
   DIR andrea Röpke
       
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