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       # taz.de -- Ein Mann für gewisse Ensembles: Fürs Philharmonische zu feinsinnig
       
       > Als Kammermusiker top, erweist sich der Geiger und Dirigent Thomas
       > Hengelbrock als Flop am Pult der NDR-Elphilharmoniker. Jetzt muss er
       > gehen
       
   IMG Bild: Seine derzeitige Wirkungsstätte macht Thomas Hengelbrock kleiner, als er ist
       
       HAMBURG taz | Er kann so wunderbar reden. Einem die Welt, besonders die der
       Musik, erklären, sodass man meint, einen Poeten vor sich zu haben. Außerdem
       einen sensiblen Analytiker und musikalischen Schatzsucher, der gern
       vergessene Werke ausgräbt und aufführt. Und völlig zu Recht ist Thomas
       Hengelbrock – jetzt doch nur noch bis 2019 – Chefdirigent der
       NDR-Elbphilharmoniker. Er war in den 1990er-Jahren für seine Erfindung der
       „historisch informierten Aufführungspraxis“ bekannt geworden. Mit Betonung
       auf informiert, intellektuell, theoretisch.
       
       Solange der heute 59-jährige Violinist aus Wilhelmshaven kleine Ensembles
       leitete, den Balthasar-Neumann-Chor und das gleichnamige Ensemble gründete,
       funktionierte die praktische Umsetzung gut. Diese Musiker sind auf ihn
       geeicht, die harmonieren wie gute Freunde, die kann er sogar im Dunkeln
       spielen lassen, ohne dass die Spannung nachlässt und sie aus dem Flow
       fallen.
       
       Deshalb haben Hengelbrock und die NDR-Granden wohl 2011 gedacht, er könne
       auch ein großes Orchester leiten. Bis auf Wagners „Tannhäuser“ in Bayreuth
       hatte er bis dato zwar vor allem Kammerorchester dirigiert, etwa die
       Kammerphilharmonie Bremen. Doch man traute ihm zu, das NDR-Orchester nach
       seinen Ideen zu formen.
       
       Auch seine Affinität zu genreübergreifenden Musik-Theater-Projekten mit
       SchauspielerInnen wie seiner Ehefrau Johanna Wokalek oder Klaus Maria
       Brandauer machte Hengelbrock für die Vorbereitung der NDR-Sinfoniker auf
       die Elbphilharmonie-Eröffnung interessant. Im Herbst 2011 wurde er als
       Nachfolger von Christoph von Dohnanyi deren Chefdirigent.
       
       Doch das Kalkül ging nicht auf: Zwar hat Hengelbrock es geschafft, dem
       Orchester streckenweise einen feineren Klang zu entlocken, aber er hat die
       Musiker nicht zusammengeschweißt. Hat die Fraktionen nicht aufbrechen
       können, deren Mentalitäten von kooperativ (Flöten) über mechanisch (Geigen)
       bis zu rücksichtslos-lauter Anarchie (Schlagwerk und Posaunen) reichten.
       
       Abonnenten kannten das Problem schon aus Hamburgs älterem Konzerthaus, der
       neobarocken Laeiszhalle. Die gnadenlos exakte, jeden Fehler potenzierende
       Akustik der Elbphilharmonie machte die Sache noch schlimmer. Und das gleich
       beim Eröffnungskonzert am 11. Januar 2017, das – typisch Hengelbrock – zwar
       genial intelligent Alt und Neu verflocht, als fast mythische Klangsuche und
       kluge Zeitreise daher kam. Doch das Orchester klang seelenlos-unhomogen,
       Blechbläser und Schlagwerk übertönten den Rest, manch ein Zuhörer hielt
       sich gar die Ohren zu.
       
       Und das, obwohl Hengelbrock monatelang in der Elbphilharmonie hatte proben
       können. Trotzdem: Durchreisende Orchester aus Chicago und München, auch
       Hamburgs Philharmonisches Staatsorchester unter Kent Nagano jonglierten die
       Elbphilharmonie-Akustik weit souveräner.
       
       Internationale Konkurrenz, als Motivation gedacht, stellte nun die
       NDR-Musiker und ihren Dirigenten bloß. Und immer lauter fragte man sich,
       warum in aller Welt das NDR-Sinfonieorchester – seit 2017
       „NDR-Elbphilharmoniker“ – den Status „Residenzorchester“ bekommen hatte.
       Dabei mühte sich Hengelbrock redlich, mehr und mehr Konzerte für die
       überlaufene Elbphilharmonie anzubieten; auch die basisdemokratischen,
       preisgünstigen „Konzerte für Hamburg“ gehen auf sein Konto.
       
       Aber es reichte nicht: Anfang dieser Woche gab der NDR bekannt, dass
       Hengelbrocks 2019 auslaufender Vertrag nicht verlängert werde. Alles im
       besten Einvernehmen. Hengelbrock, parallel Chef associé de l’Orchestre de
       Paris, soll schon vor Monaten gebeten haben, wieder mehr Zeit für freie
       Projekte zu haben und nur noch sporadisch für den NDR zu dirigieren.
       
       Doch die Intendanten von NDR und Elbphilharmonie loben den Scheidenden –
       oder soll man sagen: Gescheiterten? – verdächtig laut. Denn wenn man
       Hengelbrock hätte halten wollen, hätte NDR-Orchestermanager Achim Dobschall
       das auf entsprechende Fragen Anfang Mai klar gesagt. Hat er aber nicht.
       Sondern etwas von „beidseitig zu führenden Verhandlungen“ gemurmelt.
       
       21 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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