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       # taz.de -- Mieterkampf in Tempelhof: Protest dämmt die Miete
       
       > Anwohner der Gontermannstraße sollten für eine energetische Sanierung
       > blechen. Dann handelten sie die Forderungen herunter.
       
   IMG Bild: Kämpfen lohnt sich: Franziska Schulte (6.v.l.) und ihre MitstreiterInnen
       
       Berlin taz | Bei den Wohnungspreisen in Berlin geht es mitunter zu wie auf
       einem Basar – fast immer zum Wohle der Vermieter. In der Tempelhofer
       Gontermannstraße war der Ausgang nun ein anderer. Anfang Februar hatte der
       Vermieter eine energetische Sanierung und damit verbunden einen Anstieg der
       Mieten in 224 Wohnungen um satte 2,81 Euro pro Quadratmeter angekündigt.
       Eine durchschnittliche Mieterhöhung um 180 Euro.
       
       Doch dann passierte etwas Ungewöhnliches: Vertreter der österreichischen
       Eigentümer und der Hausverwaltung Buwog AG setzten sich mit Mietern und
       Bezirkspolitikern an einen Tisch. In zwei Gesprächsrunden reduzierte die
       Buwog ihre Forderungen zunächst auf 2,10, dann auf 1,95 Euro. Besonders
       durch eine reduzierte Fassadendämmung wurde die geringere Forderung
       möglich.
       
       Für die etwa 500 Mieter der Häuser in der in den zwanziger Jahren
       errichteten Fritz-Bräuning-Siedlung war das aber noch zu viel. Laut
       Franziska Schulte, Sprecherin der MieterInneninitiative Gontermannstraße,
       wären immer noch viele Mieter verdrängt worden. In den Häusern wohnen viele
       Familien mit niedrigem bis mittlerem Einkommen, Rentner, aber auch
       Arbeitslose und Studenten.
       
       Ihr Vorwurf an die Buwog: Diese wolle durch eine „nicht notwendige und
       betriebswirtschaftlich unsinnige Modernisierung“ Kapital schlagen. Laut
       einem Strategiepapier der Buwog soll im Rahmen der Modernisierungsmaßnahmen
       für ihren Gesamtbestand eine „Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital von
       rund 7 %“ erzielt werden.
       
       ## Viele Beschwerden
       
       Der „Brass auf sie war eh schon groß“, so Schulte. Sie spricht von vielfach
       ignorierten Mängelanzeigen und jahrelangem Investitionsstau. Niemand sei
       bereit, „für ein paar Dämmplatten und einen Schießscharteneffekt“ – gemeint
       ist ein geringerer Lichteinfall durch die neu geplanten Fenster – so viel
       mehr Miete zu zahlen; zumal die Energieersparnis kaum mehr als zehn Euro
       monatlich betragen dürfte. Die Mieterschaft einigte sich darauf, eine
       maximale Erhöhung von 1,80 Euro hinzunehmen – mehr als ihr ursprüngliches
       Limit.
       
       Die MieterInnen bekräftigten ihre Forderungen bei einem dritten und wohl
       letzten Runden Tisch am Montag vergangener Woche. Dazu gehörte auch der
       Erhalt der holzgefertigten Kastendoppelfenster, die der Vermieter durch
       einfache Kunststofffenster ersetzen wollte.
       
       Am Montag dieser Woche teilte die Buwog dem Tempelhofer Baustadtrat Jörn
       Oltmann (Grüne), der sich in den Gesprächen für die Mieter stark gemacht
       hatte, ihre Entscheidung mit. Zum Erstaunen vieler hat sie die meisten
       Forderungen akzeptiert. Die Fenster bleiben, zumindest an der Vorderseite,
       die Miete steigt nur um 1,80 Euro pro Quadratmeter.
       
       Zudem soll es eine Härtefallregelung geben, ähnlich der im sozialen
       Wohnungsbau: Wessen Miete durch die Erhöhung auf mehr als 30 Prozent des
       Haushaltsnettoeinkommens steigen sollte, wird von den Forderungen
       verschont. Für Schulte ist das der wichtigste Sieg. Nicht zusichern wollte
       die Buwog, in den nächsten Jahren auf weitere Mietsteigerungen zu
       verzichten. Die schriftliche Fixierung des Angebots steht jedoch noch aus.
       
       ## Schnell aus den Startlöchern
       
       Für Schulte ist es „ein großer Erfolg, dass wir fast alle unsere
       Forderungen, wenn auch modifiziert, erreichen konnten“. Dass es überhaupt
       zu einem Verhandlungsprozess kommen konnte, hat viel mit dem Engagement der
       Mieter zu tun. Schulte sagt: „Einen Monat nach den Schreiben der Buwog
       hatten wir bereits eine Mieter-Vollversammlung, eine gestürmte
       Bezirksverordnetenversammlung und eine erste Demo hinter uns.“ Mit einem
       Antrag auf der BVV forderten sie Baustadtrat Oltmann durch eine
       Einwohneranfrage auf, in Verhandlungen zu treten.
       
       Hilfreich war zudem, dass die Häuser in der Tempelhofer Gartenstadt einer
       Stadtteilerhaltungsverordnung unterliegen. Jede Veränderung an den
       denkmalgeschützten Fassaden muss durch den Bezirk genehmigt werden. Diese
       Genehmigung lag noch nicht vor, als die Buwog ihre
       Modernisierungsankündigung verschickte. Ein Druckmittel für den Bezirk.
       
       Oltmann sprach gegenüber der taz davon, dass die Buwog gesehen habe, „dass
       sie mit MieterInnen nicht so ganz glücklich umgegangen ist“. Beim nächsten
       Mal „würden sie wohl mit einer Mieterversammlung starten“, so die
       Einschätzung des Baustadtrats. Bis Donnerstag hat der Bezirk nun noch Zeit,
       die beantragten Maßnahmen zu genehmigen. Vor allem nach der Ankündigung,
       die Fenster in der ursprünglichen Form zu belassen, dürfte dem nichts mehr
       im Wege stehen.
       
       Peter Dietze-Felberg, der für eine externe Agentur die Pressearbeit der
       Buwog macht, sprach gegenüber der taz von „erheblichen Zugeständnissen“ und
       betonte, dass auch die ursprünglichen Ankündigungen „nicht gegen geltendes
       Recht verstoßen haben“. Das Entgegenkommen basiere darauf, dass die Buwog
       ihre Häuser „langfristig halten“ wolle und „Wert auf eine zufriedene
       Mieterschaft“ lege.
       
       Das Bezirksamt hat den Mietern versprochen, den Sanierungsprozess zu
       begleiten und auf die Umsetzung der Versprechen zu achten. Die Mieter
       fühlen sich als Sieger, so Schulte. Nach monatelangem Kampf werden sie
       demnächst zu einem großen Hoffest einladen.
       
       21 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erik Peter
       
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