URI: 
       # taz.de -- Unterhauswahl in Großbritannien: Pattsituation im Parlament
       
       > Premierministerin May und die Konservativen sind die Verlierer dieser
       > Wahl. Auch Schottlands Nationalisten stürzen ab. In der Labour Party
       > herrscht Freude.
       
   IMG Bild: Am Ende der Auszählung „hängt“ das Parlament
       
       London ap/taz | Die konservative Partei von Premierministerin Theresa May
       hat bei der Wahl in Großbritannien die absolute Mehrheit im Unterhaus
       verlieren. Die Tories werden zwar stärkste Kraft, büßen demnach aber wohl 8
       ihrer Sitze ein und kämen nur noch auf 322 der 650 Mandate, wie die
       britische BBC berichtet. Für May, die auf einen Ausbau ihrer
       Regierungsmehrheit gehofft hatte, ist ein solches Ergebnis ein schwerer
       Dämpfer. Sie kann nicht mehr allein regieren, muss zum Beispiel die
       Unterstützung der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) suchen. Die
       hat 10 Sitze errungen. Eine Tory-DUP-Koalition käme demnach 332 Mandate,
       sechs mehr als die 326 für eine Mehrheit benötigten.
       
       Bei ihrer kurzen Ansprache nach Verkündigung der erfolgreichen Verteidigung
       ihres Mandats für den Wahlkreis Maidenhead im Süden Englands ging kaum auf
       die schwierige Lage ein, in der sie und ihre Partei sich nach Bekanntgabe
       der Prognose und den ersten Wahlergebnissen befinden. Sollten, wofür es
       Hinweise gebe, die Konservativen die meisten Stimmen und Sitze gewinnen, so
       May, würde sie weiter garantieren, was das Land bräuchte: Stabilität. Ihre
       Priorität sei, die Brexit-Verhandlungen erfolgreich zu führen.
       
       Der Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn, der die Abstimmung im
       Londoner Wahlkreis Islington North nun schon zum neunten Mal in Folge für
       sich gewinnen konnte, forderte dagegen den Rücktritt von May. Das
       Wahlergebnis weise auf einen Politikwechsel hin, es zeige, die BürgerInnen
       hätten genug vom Sparprogramm der Regierung. Die Premierministerin habe das
       Vertrauen der Bevölkerung verloren.
       
       Corbyn kann sich und sein Partei als Gewinner der von May ausgerufenen
       Neuwahl betrachten. Die Labour-Partei kommt auf 261 Sitze und wird demnach
       29 zusätzliche Sitze erhalten – nachdem Umfragen wochenlang einen
       Mandatsverlust vorausgesagt hatten. Das gute Abschneiden von Labour
       erstaunt umso mehr, da die Partei seit Corbyns Wahl zum Parteichef vor zwei
       Jahren einem permanenten internen Machtkampf ausgesetzt war. Zweimal
       versuchte die Mehrheit der Labour-ParlamentarierInnen, den auf dem linken
       Parteiflügel beheimateten Corbyn zu stürzen, scheiterte dabei aber an der
       Unterstützung der Basis für den Vorsitzenden.
       
       Nach der Bekanntgabe erster Auszählungsergebnisse in Nordengland zeichnete
       sich vor allem ein Absturz von Ukip ab, jener Partei, die bei der Wahl 2015
       dank des Mehrheitswahlrechts zwar nur ein Mandat erringen konnte, aber rund
       8 Millionen Stimmen für ihre strikt antieuropäische und
       immgrationsfeindliche Politik erhielt. Allerdings profitierten von der
       Ukip-Schlappe nicht, wie erwartet, die Konservativen, nachdem Theresa May
       sich den Brexit zu eigen gemacht hatte. Viele Ukip-Wähler waren in der
       Vergangenheit Labour-Anhänger und sind nun offensichtlich wieder zur Partei
       Corbyns zurückgekehrt.
       
       Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei fast 69 Prozent. Zuletzt wurde diese
       Rate bei der Unterhauswahl 1997 erreicht, als Labour unter Tony Blair einen
       Erdrutschsieg erzielen konnte.
       
       ## Kleine Parteien profitieren nicht
       
       Das verheerende Ergebnis für Ukip passt in das größere Bild, wonach die
       kleinen Parteien bei dieser Wahl das Nachsehen hatten. Besonders enttäuscht
       dürften die Schottischen Nationalisten (SNP) sein. Nachdem sie 2015 56 der
       59 schottischen Unterhausmandate gewinnen konnte, wird sie wahrscheinlich
       21 Sitze wieder an die anderen Parteien verlieren. Und hier können sich
       ausnahmsweise mal die Konservativen freuen, die in Schottland mit Ruth
       Davidson eine äußerst populäre Parteichefin haben. Sie konnten in
       SNP-Gefilden wildern.
       
       Besonders pikant: Nicht nur verlor der SNP-Fraktionsvorsitzende in
       Westminster, Angus Robertson, sein Mandat an einen Tory-Politiker, auch
       Alex Salmond, der ehemalige schottische Ministerpräsident, der Schottlands
       Unabhängigkeitsbestreben überhaupt erst populär gemacht hatte, muss seinen
       Unterhaussitz an einen Konservativen abgeben. Kommentatoren werten das
       schlechte Abschneiden der SNP als Absage der WählerInnen an ein zweites
       Unabhängigkeitsreferendum. Die jetzige schottische Ministerpräsidentin
       Nicola Sturgeon hörte sich in ihrer ersten Stellungnahme zur Wahl
       dementsprechend zurückhaltend an hinsichtlich einer neuerlichen Abstimmung
       über die Loslösung von Großbritannien.
       
       Neben der SNP waren es vor allem die Liberaldemokraten, die sich nach dem
       Brexit-Referendum im Juni 2016 am vehementesten gegen den Austritt aus der
       EU positionierten. An der Wahlurne scheint sich das weniger ausgezahlt zu
       haben, als erhofft. Am Ende werden sie zu den 9 bisherigen Sitzen
       höchstwahrscheinlich vier weitere addieren können. Immer noch nehmen es
       viele WählerInnen der Partei übel, nach der Wahl 2010 eine
       Koalitionsregierung mit den Tories gebildet zu haben. Das hat jetzt auch
       ihr prominentester Unterhausabgeordneter zu spüren bekommen: Nick Clegg,
       Exparteichef und Mitarchitekt der liberal-konservativen Koalition, musste
       seinen Wahlkreis Sheffield Hallam an Labour abgeben. Der damalige
       Wirtschaftsminister Vince Cable konnte allerdings das Mandat im Wahlkreis
       Twickenham, das er 2015 an die Konservativen verlor, wiedergewinnen.
       
       Die einzige grüne Abgeordnete im Unterhaus, Co-Parteichefin Caroline Lucas,
       konnte ihren Wahlkreis Brighton Pavilion erfolgreich verteidigen.
       
       ## Britisches Pfund stürzt ab
       
       Nach Bekanntgabe der Prognosen stürzte das Britische Pfund ab. Innerhalb
       weniger Sekunden verlor es um zwei Cent gegenüber dem Dollar. Sollten sich
       die ersten Prognosen bewahrheiten, drohe den Konservativen und May eine
       Katastrophe, sagte der ehemalige Schatzkanzler und Tory-Politiker George
       Osborne dem TV-Sender ITV. Eine Regierungsbildung könnte schwer werden, so
       Osborne. Der innerparteiliche Gegner Theresa Mays hatte sich zu Beginn des
       Jahres vorerst aus der Politik zurückgezogen und war nicht mehr bei der
       Wahl angetreten. Derzeit ist er Herausgeber der Londoner Abendzeitung The
       Evening Standard.
       
       Premierministerin Theresa May hatte die um knapp drei Jahre vorgezogene
       Wahl in der Hoffnung angesetzt, sich ein stärkeres Mandat für die
       Austrittsverhandlungen mit der EU zu verschaffen. Der vor wenigen Wochen
       noch klare Umfragen-Vorsprung der Tories vor der Labour-Partei war aber
       zuletzt deutlich geschmolzen, zahlreiche Medienvertreter bescheinigten der
       Premierministerin, eine verunglückte Wahlkampagne geführt zu haben.
       Insbesondere die rechte Presse, die May aufgrund ihrer Tendenz zu einem
       harten Brexit massiv unterstützte, wendete sich am Freitagmorgen mit ihren
       Titelschlagzeilen sehr frontal gegen sie.
       
       Unter dem Eindruck der jüngsten Anschläge in Manchester und London rückte
       statt des Brexits zunehmend die Sicherheitslage in den Hauptfokus der
       Wähler. Auch innenpolitische Themen wie Bildung, Gesundheitsvorsorge und
       staatliche Ausgabenkürzung hatten den Wahlkampf geprägt.
       
       9 Jun 2017
       
       ## TAGS
       
   DIR Wahlen in Großbritannien
   DIR Großbritannien
   DIR Labour Party
   DIR Tories
   DIR Jeremy Corbyn
   DIR Theresa May
   DIR Schwerpunkt Brexit
   DIR Schottland
   DIR Wahlen in Großbritannien
   DIR Wahlen in Großbritannien
   DIR Großbritannien
   DIR Wahlen in Großbritannien
   DIR Wahlen in Großbritannien
   DIR Schwerpunkt Emmanuel Macron
   DIR Großbritannien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Schottlands Ex-Premierminister: Showmaster Salmond stolpert
       
       Der ehemalige schottische Premier Alex Salmond wollte ein politisches
       Comeback feiern. Doch nun werden ihm sexuelle Übergriffe vorgeworfen.
       
   DIR Kommentar zum Wahlergebnis: Gut für Großbritannien
       
       Das Wahlergebnis funktioniert für keine Partei alleine, davon wird das Land
       profitieren. Statt eines Regierungs- muss es einen Politikwechsel geben.
       
   DIR Unterhauswahl in Großbritannien: Theresa May liebäugelt mit DUP
       
       Bei der Wahl geht die Mehrheit der Tories verloren, Labour triumphiert. Die
       Premierministerin hofft nun, die Regierung umbilden zu können.
       
   DIR Kommentar Britische Unterhauswahl: Ohne Gespür, ohne Gefühl
       
       Theresa May hat sich verzockt. Die Neuwahl wird ihr keine stabilere
       Mehrheit im Parlament bringen. Dass die Sache danebenging, lag vor allem an
       ihr.
       
   DIR Aus „Le Monde diplomatique“: An den Haustüren von Broxtowe
       
       Hat die Labour-Partei doch noch eine Chance bei der Wahl? Eine Beobachtung
       des Wahlkampfs in einer nordenglischen Durchschnittsstadt.
       
   DIR Vor der Wahl in Großbritannien: Nichts scheint unmöglich
       
       Labour könnte bei der Wahl zwar Stimmen gewinnen, aber Sitze verlieren –
       denn andere Parteien sind schwach. Auch um Terror geht es.
       
   DIR Kommentar May und Menschenrechte: Macron macht’s genauso
       
       Theresa May will Menschenrechte zugunsten des Antiterrorkampfes
       suspendieren. Die Reaktion mancher Linksliberaler ist nicht konsistent.
       
   DIR Unterhauswahl in Großbritannien: Vorfreude in Edinburgh
       
       Der Wahlkampf geht weiter. Ein Tory und eine Liberaldemokratin wollen in
       Edinburgh den schottischen Nationalisten den Sitz abknöpfen.