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       # taz.de -- Referendum in Puerto Rico: Ungewollter Zuwachs für die USA
       
       > 97 Prozent der BewohnerInnen haben für einen Anschluss an die USA
       > gestimmt. Doch die Mehrheit ging gar nicht erst zu den Wahlurnen.
       
   IMG Bild: Viele EinwohnerInnen wollen einen unabhängigen Staat
       
       San Juan taz | „Eine klare Botschaft an Washington“, sagte Gouverneur
       Ricardo Rosselló am Sonntag Abend, als er in San Juan das Ergebnis seines
       Referendums bekannt gab. Danach haben 97 Prozent der WählerInnen dafür
       gestimmt, dass Puerto Rico – eine der letzten Kolonien der Welt – der 51.
       Bundesstaat der USA wird. Allerdings folgte die überwiegende Mehrheit der
       InsulanerInnen den Boykottaufraufen der Oppositionsparteien. Auf einer
       Insel, wo die Wahlbeteiligung gewöhnlich um die 80 Prozent liegt, gingen
       dieses Mal nur 23 Prozent an die Urne.
       
       „Eine Farce“ und: „ein Ablenkungsmanöver“ hatten Oppositionelle gesagt, als
       Gouverneur Rosselló zu dem Referendum über die „Statehood“ aufrief. Sie
       übermalten seine Plakate für das Referendum mit der Farbe blau, die für
       Wahlboykott stand. Infolge einer Beschwerde über eine irreführende
       Fragestellung im Referendum verweigerte auch das Bundesjustizministerium in
       Washington die finanzielle Unterstützung zur Ausrichtung des Urnengangs.
       Der Gouverneur hielt ihn trotzdem ab und gab 8 Millionen Dollar aus den
       öffentlichen Kassen dafür aus.
       
       Dabei steht Puerte Rico vor einem schier unüberwindlichen
       [1][Schuldenberg]. Die Insel steht mit 123 Milliarden Dollar in der Kreide:
       74 Milliarden Dollar Schulden für Kommunalobligationen und 49 Milliarden an
       nicht gedeckten Pensionsverpflichtungen. Es ist die größte kommunale Pleite
       der Geschichte der USA. Vor Gericht kämpfen die GläubigerInnen darum,
       welche Gruppe von ihnen prioritär bedient wird.
       
       Washington hat Puerto Rico unter die finanzielle Oberaufsicht einer Junta
       gesetzt, die der Inselregierung radikale Sparpläne abverlangt. Die sorgen
       unter anderem dafür, dass in diesem Sommer 167 Schulen definitiv schließen
       werden. Tausende öffentliche Beschäftigte wurden bereits entlassen und
       sämtliche Sozialleistungen gekürzt. Auch aus dem Haushalt der
       Inseluniversität sollen mehr als 500 Millionen Dollar gestrichen werden.
       Die StudentInnen, die dagegen seit Ende März gestreikt hatten, gaben ihren
       Protest am Ende vergangener Woche auf.
       
       Puerto Rico, das bis 1898 eine spanische Kolonie war und danach an die USA
       ging, ist ein assoziiertes Territorium, dessen BewohnerInnen nur
       eingeschränkte Bürgerrechte haben. Sie besitzen zwar die
       Staatsangehörigkeit der USA, dürfen jedoch deren Präsidenten nicht
       mitwählen und sind im Kongress lediglich durch eine Kommissarin ohne
       Stimmrecht „vertreten“. Puerto Rico ist ärmer als Mississippi, der ärmste
       Bundesstaat der USA, und die Arbeitslosigkeit auf der Insel ist mit 12
       Prozent über doppelt so hoch wie in den USA. Hilfsorganisationen
       befürchten, dass die Einschnitte nun zu humanitären und gesundheitlichen
       Katastrophen führen könnten.
       
       ## Immer weniger EinwohnerInnen
       
       Die Massenabwanderung von der Insel erschwert die Lage weiter. Im
       zurückliegenden Jahrzehnt haben mehr als 400.000 Menschen Puerto Rico
       verlassen. Fast alle gingen in die USA, wo heute mehr als 5 Millionen
       Puerto Riqueños leben, während es auf der Insel nur noch knapp über 3
       Millionen sind. Durch den Weggang der Menschen im arbeitsfähigen Alter
       kommen noch weniger Steuergelder in die Kassen von Puerto Rico.
       
       Die Insel ist in die Krise gestürzt, seit Washington im Jahr 2006 einen
       Teil der traditionellen Steuervorteile für US-Konzerne in Puerto Rico
       abgeschafft hat. Die meisten Konzerne, darunter zahlreiche Pharmagruppen,
       haben direkt danach die Insel verlassen. Um die Lücke zu füllen, nahm die
       Inselregierung Rekordschulden auf, die wiederum für Wall Street
       InvestorInnen attraktiv waren, weil ihre Rendite steuerfrei sind.
       
       Gouverneur Rosselló, ein Demokrat, hat sein Referendum damit begründet,
       dass ein Bundesstaat für Puerto Rico einen gleichen Zugang zu politischen
       Rechten und finanziellen Hilfen aus Washington sichere. Doch die Opposition
       – bestehend aus Konservativen, Unabhängigkeitsgruppen und Linken –
       argumentierte, dass dieser Moment untauglich für ein solches Referendum
       wäre. Es war das fünfte Referendum über eine Veränderung des Status' der
       Insel in fünf Jahrzehnten.
       
       ## Angst um die kulturelle Identität
       
       In unterschiedlicher Formulierung mussten die WählerInnen dabei jedes Mal
       über die Alternativen: Unabhängigkeit, Bundesstaat oder Verbesserung des
       Status Quo entscheiden. Die GegnerInnen eines 51. Bundesstaates
       argumentieren unter anderem damit, dass sie nicht von den USA aufgesogen
       werden und ihre kulturelle Identität und Sprache – das Spanische –
       verlieren wollen. Verändert haben die Referenda nichts. Denn für den
       Kongress in Washington ist ihr Ausgang nicht bindend.
       
       Gouverneur Rosselló will jetzt eine Kommission für Verhandlungen nach
       Washington schicken. Doch das Ergebnis seines boykottierten Referendums,
       gepaart mit dem ostentativen Desinteresse der republikanischen Partei an
       Puerto Rico und dem Drängen der GäubigerInnen wird seine Position in den
       USA nicht stärken.
       
       12 Jun 2017
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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