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       # taz.de -- Kolumne Air de Paris: Don Juan im Tsunami
       
       > Seine Bewegung „En Marche!“ ist auch bei der Parlamentswahl vorn:
       > Emmanuel Macron und das Schweigen, das gehört werden will.
       
   IMG Bild: Jubelnde Mitglieder von Macrons Partei „En Marche!“
       
       Er sei „ein asexueller Don Juan“. So schreibt es Anne Fulda, Journalistin
       bei der französischen Tageszeitung Le Figaro, über Frankreichs neuen
       Präsidenten Emmanuel Macron in ihrer in dieser Woche auf Deutsch
       erscheinenden Biografie „Emmanuel Macron“. Ein Don Juan, so Fulda, dessen
       Verführungskunst nicht auf die Frauen abzielt, dessen Erfolg sich nicht
       daran misst, wie viele er rumkriegt (man könnte Laetitia Casta nackt vor
       ihm ausziehen, es würde ihn nicht interessiere, liest man dort auch),
       sondern daran, „immer wieder Momente des jubelnden Neuanfangs“ zu erleben.
       
       Einen solchen, zumindest eine Art Neuanfang, ob jubelnd oder nicht sei
       dahingestellt, hat Frankreich am Sonntag erlebt. Erinnern wir uns kurz: Als
       Emmanuel Macron vor bald einem Monat mit seinem ehemaligen Förderer
       François Hollande durch den Hof des Élysée-Palasts schritt, kurz für seinen
       Exchef klatschte und ihn dann in sein Leben nach der Präsidentschaft
       verabschiedete, da stand man dem „Überraschungsgast“ Macron recht kritisch
       gegenüber.
       
       Man dürfe nicht vergessen, hieß es damals, dass sein Sieg gegen Marine Le
       Pen und ihren Front National nicht bedeute, dass die Franzosen geeint
       hinter ihm stehen. Mon dieu, nein! Es weise einzig und allein darauf hin,
       dass dieses Volk noch genug Verstand besitzt, Marine und ihrer
       Gefolgschaft, unter anderem nach ihrem Komplettausfall während der letzten
       Fernsehdebatte, nicht die Schlüssel zur Macht übergeben zu wollen. Was noch
       lange nicht heiße, dass sie sie Herrn Macron gerne geben!
       
       Die richtige Wahl, also die, bei der die Franzosen „wirklich“ wählen, bei
       der sich entscheidet, ob dieser junge Präsident und seine mehr oder weniger
       junge, mehr oder weniger neue Regierung zu fünf Jahren Handlungsunfähigkeit
       verdonnert werden oder tatsächlich versuchen können, das Land zu
       reformieren, fände in diesem Sinne erst im Juni statt – „au moment des
       législatives“. Der „moment“, die Parlamentswahlen, ist jetzt gekommen und
       es scheint, als würde Emmanuel Macron noch einmal für eine Überraschung,
       für einen Neuanfang sorgen.
       
       Anfang Mai besagten Umfragen noch, 61 Prozent der Franzosen würden nicht
       wünschen, dass er und seine Bewegung eine Mehrheit in der
       Nationalversammlung erreichen, und man fürchtete, dieser junge Mann würde
       mit all seinem Elan nicht mehr tun können, als fünf Jahre Däumchen zu
       drehen. Doch die Ergebnisse der ersten Wahlrunde zeigen nun, was sich in
       den letzten drei Wochen bereits abzeichnete: Mit 32,32 Prozent der Stimmen
       geht seine Bewegung „La République en marche“ als klarer Sieger hervor.
       
       ## 50 Prozent Wahlbeteiligung
       
       Natürlich, mit gerade einmal 50 Prozent liegt die Wahlbeteiligung
       historisch niedrig, daran werden sich seine Gegner noch wochenlang
       erfreuen. Nur hinterlässt das Schweigen, auch wenn es mit Überzeugung getan
       wird, nicht viel mehr als Stille, weshalb es wenig Sinn machen wird, sich
       später darüber zu beschweren, dass niemand gehört haben wird, was in dieser
       Schweigsamkeit alles steckt. Denn jene, die gesprochen, also jene, die
       gewählt haben, haben viel gesagt und haben es sehr laut gesagt: Sie wollen
       mit den alten Parteien abschließen und etwas wagen.
       
       Sie wollen diesem Neuling der Politik eine Chance geben. Statt, wie man es
       lange fürchtete, ordentlich Gegenwind zu geben und Frankreich in eine Art
       Komplettlähmung zu befördern, haben die Franzosen offenbar beschlossen,
       sich und ihr Land zu bewegen. Dem noch wenige Wochen vor der Wahl
       grassierenden Nihilismus, dem „Eh schon egal“-Gefühl und den „Warum nicht
       Le Pen versuchen“-Posen steht jetzt so etwas wie Vertrauen gegenüber.
       
       So banal das scheint, das muss man im dauerdeprimierten und lethargischen
       Frankreich, in dem ganze Städte streiken, wenn man Minimalreformen
       durchsetzen will, erst mal hinbekommen. Nicht umsonst schreibt die
       Tageszeitung Le Monde am Montag von einem „Tsunami“: Das Land, das sich
       lange, viel zu lange jeder Form von Erneuerung verweigerte, will plötzlich
       alles anders.
       
       Natürlich, auch hier gilt, was bei der Präsidentschaftswahl stimmte: Macron
       und seine Bewegung wurden auch hier nur von einem Teil, nicht der Mehrheit
       gewählt. Allerdings scheint zumindest der dem Charme des „Don Juan“ mit
       Haut und Haaren zu erliegen. Sollte er sich als mehr als leere
       Verführungskunst und narzisstisches Geltungsbedürfnis herausstellen, wird
       der Rest vielleicht noch folgen.
       
       Die Autorin ist freie Autorin und lebt in Paris
       
       13 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annabelle Hirsch
       
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