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       # taz.de -- Gentrifizierung in Berlin: Er kam. Nahm. Und siegte
       
       > Der Investor Jørn Tækker ist der Alptraum vieler Berliner MieterInnen. In
       > seiner Heimat baut der Däne dagegen eine ökologische Vorzeigestadt.
       
   IMG Bild: Den Komplex in der Lausitzer Straße (2. Haus v. r.) kaufte Tækker 2006 für 2,3 Millionen Euro vom Land Berlin
       
       Reden will sie – aber nur, wenn ihr Anwalt dabei sein darf. Und erst
       nachdem sie sich bei der taz vergewissert hat, dass die Autorin auch
       wirklich dort arbeitet – und nicht wieder eine Detektivin ist, so wie der
       komische Anrufer, der unbedingt ihre Adresse haben wollte. Angeblich um ihr
       ein Drehbuch zu schicken. Das kam dann nie. Dafür tauchten Fotos auf. Von
       ihr, ihren alten Eltern, als sie längst Pflegefälle waren. Ihren Kindern,
       aufgenommen vor der Kita.
       
       Nach mehreren Telefonaten kommt ein Treffen mit Tanja R. zustande. Reden
       will sie ja. Damit auch andere von dem Unrecht, was ihr angetan wird,
       erfahren. Während des Gesprächs setzt sie sich ihre Lesebrille auf, um aus
       Briefen zu zitieren. Und aus Urteilen. Je mehr sie sich empört, desto
       lauter wird ihre Stimme, manchmal ist sie schrill. Sie, die mit ihrer
       Stimme arbeitet, verliert die Kontrolle über sie, wenn es um ihn geht. Den
       Menschen, der ihr das Leben zur Hölle macht. Ihr Sohn, noch keine sechs,
       nennt ihn „Gangster“. „Eine reinhauen“ wolle er ihm.
       
       Sie weint. Schüttelt immer wieder den Kopf, als könnte sie das alles nicht
       glauben. Weint noch immer, als das Gespräch beendet und ihr Anwalt längst
       weg ist. Sie ist 52, sieht in dem Moment jedoch aus wie ein Kind, mit ihrer
       mädchenhaften Stimme, den langen blonden Haaren und den großen braunen
       Kulleraugen, die mal fragend, mal anklagend dreinblicken.
       
       Die Kellnerin bringt ihr noch eine Limonade. Man kennt sie hier, in dem
       Schöneberger Eckcafe. Auch auf der Straße erkennt man sie – Vorabendserien
       haben sie bekannt gemacht. Tanja R. heißt in Wirklichkeit anders. Sie will
       nicht, dass ihr Name in der Zeitung steht. Probleme habe sie schon genug.
       
       ## Der Lüge bezichtigt
       
       Später reicht sie Fotos nach. Und eine Auflistung von Fakten, bei der
       einzelne Wörter durchgehend groß geschrieben sind und Sätze mit
       Ausrufezeichen enden. Ihr ist wichtig, dass man ihr glaubt. Ihr und nicht
       ihm, der sie der Lüge bezichtige.
       
       Es sieht nicht gut aus für sie. Wenn der BGH ihren Antrag nicht zulässt,
       muss sie raus aus ihrer Wohnung. Und zwar sofort, sonst kommt der
       Gerichtsvollzieher. Raus mit all ihren Sachen, mit zwei kleinen Kindern und
       einem Mann, der nur selten da ist, weil er die meiste Zeit in Asien lebt.
       
       Tanja R. hat das Pech, eine Wohnung zu mieten, deren Wert in den letzten
       Jahren um ein Zigfaches gestiegen ist. Eine Wohnung in Kreuzberg, da wo sie
       alle wohnen wollen, die Alteingesessenen wie die Neuzugezogenen, beste
       Lage, direkt am Kanal. Dass Tanja R. schon fast zwanzig Jahre dort lebt,
       ist für ihren Vermieter Nebensache. Auch dass sie die Wohnung für damals
       120.000 DM renovieren ließ, als sie nur Ofenheizung und „uralte Elektrik“
       hatte, aber kein Bad. Tanja R. hat viel Zeit in die Inneneinrichtung
       gesteckt, Möbel aus Asien kommen lassen. Eine Wohnzeitschrift hat für eine
       Home Story einen Fotografen vorbeigeschickt, der Titel: „Meine Wohnung ist
       wie Urlaub“.
       
       Tanja R.s Vermieter hat für Einzelschicksale keine Zeit. Er will seine
       Mieterin raushaben, um die Wohnung für viel Geld verkaufen zu können. Das
       Geld braucht er für ein anderes Projekt. Eines, das viel größer ist. Und
       das viele für die Zukunft halten. In seiner Heimat nennen sie ihn „einen
       Visionär“ – in Berlin jemanden „ohne Gewissen“.
       
       ## Ein Traum – aus Pappmaché
       
       Gut 450 Kilometer Luftlinie entfernt im dänischen Aarhus steht ein kleiner
       drahtiger Mann mit pinkem T-Shirt und Segelohren vor seinem Traum.
       Liebevoll streicht er mit feingliedrigen, sonnengegerbten Händen, denen man
       ihre sechzig Jahre nicht ansieht, über die Häuser. Die sind niedriger als
       sein Daumen und aus Pappmaché. „Ich will die Welt zu einem besseren Ort
       machen“, sagt Jörn Tækker. Er klingt ein wenig gehetzt. Tækker spricht so
       schnell, dass man Mühe hat, ihm zu folgen. Fragen übergeht er oft,
       vielleicht hört er sie nicht.
       
       Einem dänischen Journalisten erzählte der Immobilienhändler, er habe so gut
       wie jede seiner Wohnungen vor Augen: die Maße, die Farbe der Wände, die
       Beschaffenheit der Böden, die Stuckornamente an der Decke. 4.500 Wohnungen
       gehörten Tækker noch vor wenigen Jahren in Berlin. „Ich war damals der
       größte ausländische Investor“, sagt er. Und dass ihn Profit nicht
       interessiere. In der Finanzkrise hat Tækker 300 Millionen Euro verloren.
       Dass sein Unternehmen das überlebte, verdankt er vor allem dem Verkauf
       eines Großteils seiner Berliner Immobilien.
       
       In Dänemark entließ er 40 seiner 60 MitarbeiterInnen. Der Kredit, den er
       erhielt, sei der mit der längsten Laufzeit, die es in Dänemark je gegeben
       habe. Jemand, der mit ihm zusammengearbeitet hat und anonym bleiben will,
       sagt: „Er ist selbst ein Getriebener. Man merkte immer sofort, wenn er
       Druck von den Banken bekam, den gab er dann postwendend an seine
       Mitarbeiter weiter.“ Viele beschreiben ihn als Kontrollfreak. Jemand sagt:
       „Seine Berliner Mitarbeiter hatten so gut wie keine Entscheidungsbefugnis.
       Auch der Kauf eines Kugelschreiber musste von ihm abgesegnet werden.“
       
       Der Mann mit dem pinken T-Shirt, den Segelohren und dem Traum ist der
       Mensch, der Tanja R. aus ihrer Wohnung kriegen will. Weil
       Eigentumswohnungen in Kreuzberg mittlerweile ein Vermögen wert sind. Und
       weil sich Wohnungen ohne Menschen darin besser verkaufen. Menschen machen
       Ärger, pochen auf ihre Rechte, werden emotional. Klagen.
       
       ## Eine Art Öko-Utopia in Dänemark
       
       Ärger haben in Berlin viele mit Tækker. Sein Name steht wie kein anderer
       für Verdrängung, auch wenn der Immobilieninvestor sich aus der deutschen
       Hauptstadt mittlerweile größtenteils zurückgezogen hat. Von seinen einst
       4.500 Wohnungen hat er mehr als die Hälfte verkauft, und seine circa
       fünfzig Berliner Mitarbeiter wurden von einer anderen Firma übernommen. Wer
       diese Firma ist, könne er zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Dafür sagt
       er: „I love Berlin“. Nur werde er jetzt woanders gebraucht: In Aarhus will
       er seinen Lebenstraum fertigstellen: eine Art Öko-Utopia, das bislang nur
       in Miniatur in seinem Büro steht – finanziert mit dem Erlös des Verkaufs
       seiner Immobilien in Berlin.
       
       Seit elf Jahren arbeitet Tækker an seinem grünen Bullerbü in Dänemark: eine
       Stadt, in der Ärzte im gleichen Haus wohnen wie Tankwarte. In der die
       Terrassen vor den Häusern Gemeinschaftseigentum sind. In der man sich sein
       Auto, wenn man denn überhaupt eines hat – Tækker hat noch eines: „Ich bin
       kein Engel“ – , mit anderen teilt. In der Regenwasser aufgefangen und für
       Waschmaschinen und Toiletten-Spülungen genutzt wird. In der es keinen Rasen
       gibt, weil Rasenmäher Strom fressen. In der die Straßen nach Gemüsesorten
       benannt sind. Und in der man sich seine Post bei einer zentralen
       Sammelstelle abholt, zu der man ein Stück laufen muss – um mit den Nachbarn
       ins Gespräch zu kommen. „Wenn Menschen mehr miteinander sprächen, gäbe es
       viele Kriege nicht“, sagt Tækker. „Nye“ heißt sein Utopia, das ist Dänisch
       und bedeutet „neu“. Neue Welt, neues Miteinander. Neue Menschen?
       
       Dass er seine Utopie auf Kosten Berlins errichtet, stört ihn nicht. „Was
       ich mit meinem Geld mache, ist meine Sache.“ Tækker sieht keinen
       Widerspruch zwischen seinem Handeln in Dänemark und dem in Berlin, doch er
       sagt: „Bestimmte Dinge würde ich in Dänemark nicht tun.“ Was, lässt er
       offen.
       
       „Nye ist ein nationalistisches Projekt“, sagt jemand, der lange mit Tækker
       zusammen gearbeitet hat und anonym bleiben will. Aus mehreren Quellen hört
       man, dass Tækker in Berlin mit dänischen Mietern anders umgeht – besser. Er
       hat Stipendien vergeben, um dänische Studenten sowie dänische Künstler nach
       Berlin zu holen. Beiden Gruppen bot er Wohnungen an, und für die Künstler
       organisierte er eine Ausstellung in Berlin.
       
       ## Berlin – der Beginn einer Liebe
       
       2004 kommt er zum ersten Mal für längere Zeit in die Stadt, von der ihm
       Freunde vorgeschwärmt haben. Ein Jahr vergeht, bevor er seine erste
       Immobilie kauft. In diesem Jahr lässt er sich treiben, saugt den Geist der
       Stadt auf. „Vieles erinnerte mich an das Kopenhagen von früher: arm, links
       und kreativ.“ Mitte der Nullerjahre gibt es noch viele günstige Häuser in
       Berlin. Dem SPIEGEL sagt er rückblickend: „Ich konnte nicht verstehen,
       warum die Preise so tief waren. Jemand musste etwas übersehen haben.“
       
       Die Stadt ist chronisch klamm und verkauft Gebäude aus öffentlicher Hand an
       Privatinvestoren. Die schlagen zu. „Das kam uns vor wie eine
       Heuschreckenplage“, sagt Martin Breger von der Mieten AG Gräfe-Kiez. „In
       Kreuzberg kaufte Tækker ganze Straßenzüge auf.“
       
       Tækkers Traumstadt in Dänemark ist bislang nur ein Acker auf einem Hügel,
       mit Blick aufs Meer. Davor eine Ikea-Filiale. Möwen kreischen, Autos
       rauschen – die Autobahn ist nicht weit entfernt. Ein Anwohner strahlt, auf
       Nye angesprochen: „Nyyye?“, fragt er mit lang gezogenem y, das wie ein ü
       ausgesprochen wird. „Das wird toll!“ Eine Frau, die ebenfalls in der Nähe
       wohnt, ist skeptischer: „Voll wird es werden.“ Neugierig und zugleich etwas
       misstrauisch läuft sie mit schnellen Schritten den Acker ab – in der
       Hoffnung, ein Stück Zukunft zu erspähen. Nur ist da: nichts.
       
       Bald, vielleicht schon nächstes Jahr, sollen auf dem Acker 20.000 Menschen
       wohnen. Und irgendwann einmal vielleicht der Großteil der Bevölkerung von
       Aarhus, so wollen es die Politiker. „Im Stadtrat sind alle begeistert von
       Nye, Gegenstimmen gibt es keine“, sagt Kristian Würtz, der für die
       Sozialdemokraten im Stadtrat sitzt und für Technik und Umwelt zuständig
       ist. Knapp vierzig der noch nicht gebauten Häuser wurden schon verkauft.
       „Die gehen weg wie warme Semmeln“, warnt ein Makler und rät zum schnellen
       Kauf.
       
       ## Lange war er Analphabet
       
       Die Kritik, die es doch gibt, wischt Tækker weg: „Es sind immer die
       gleichen fünf Anwohner, die dagegen sind“, sagt er. „Die haben Angst, dass
       wir ihnen den Blick aufs Meer versperren.“ Das Problem an der Demokratie
       sei, dass Gegenstimmen lauter seien als Zuspruch. „Wir verplempern unsere
       Zeit damit, den ewigen Nörglern zuzuhören.“
       
       Tækker und die Politik, das ist so eine Sache. Er ist in keiner Partei, hat
       aber mehrfach „Alternativet“, den dänischen Grünen, Geld gespendet. Er ist
       Investor, bezeichnet sich aber als Linken, der bescheiden lebe: Geld sei
       für ihn nur Mittel zum Zweck.
       
       Tækker ist einer, der sich hochgearbeitet hat: Bis zur achten Klasse konnte
       er weder lesen noch schreiben. Sein Vater machte ihm die Hausaufgaben. Die
       Lehrer gaben ihm schlechte Noten, aber schleppten ihn weiter, von Schuljahr
       zu Schuljahr. „Damals fiel in Dänemark niemand durch“, sagt er. Während
       seine Mitschüler paukten, saß er einfach nur da und sah ihnen zu. Er
       zeichnete viel, wollte Künstler werden, doch die Eltern hatten für die
       Künste nicht viel übrig. Also wurde er Zimmermann und später dann
       Bauingenieur – beides wie sein Vater. Noch heute sind seine Emails voller
       Fehler. Nur dass ihn niemand mehr deswegen demütigt. Noch heute arbeitet er
       lieber mit den Händen, als dass er am Schreibtisch sitzt: „Wenn ich mit
       meinen Händen arbeite, verstehe ich, was ich tue.“
       
       In Berlin ist Tækkers Strategie: kaufen und abwarten, dass die Preise
       steigen, dann verkaufen. Manche Mieter gehen freiwillig, andere gegen Geld.
       „20.000 Euro waren damals locker drin“, sagt Martin Breger. Einem Mieter
       soll Tækker gar 50.000 Euro angeboten haben, sagt ein Geschäftspartner.
       
       ## Besorgte Mieter gründen „Tækker Watch“
       
       Im Gräfekiez hat Tækker laut Berger zehn von elf Häusern komplett in
       Eigentumswohnungen verwandelt. „Klar, es gibt das Vorkaufsrecht für Mieter,
       aber die wenigsten können sich die teuren Wohnungen leisten.“
       
       Breger fällt auf, dass viele Mieter ihre Rechte nicht kennen. 2012 gründet
       er „Tækker Watch“. Die Gruppe informiert und demonstriert, doch sie kann
       Tækker nicht stoppen. Transparente, die Mieter auf ihren Balkonen
       aufhängen, lässt der durch seine Anwälte untersagen. Das
       Vertrauensverhältnis mit dem Vermieter würde nachhaltig geschädigt, lautet
       die Begründung in mindestens einem Fall.
       
       Für sein Utopia hat Tækker ein eigenes politisches System entwickelt. Wer
       mitentscheiden will, muss sich wählen lassen, in drei Wahlgängen. „Es soll
       schwer sein, in Nye an die Macht zu gelangen“, sagt er. Demokratie scheint
       für ihn zu bedeuten, im Zweifelsfall doch eher alles selbst zu entscheiden.
       Am liebsten würde er jeden einzelnen der 20.000 Bewohner persönlich
       auswählen.„Wer in Nye wohnen will, braucht eine Vision darüber, wie gutes
       Zusammenleben funktioniert.“
       
       Einen Teil der Häuser will er verkaufen, andere vermieten. Bei den
       Mietwohnungen sind bis zu 25 Prozent für Sozialwohnungen reserviert – so
       will es das dänische Gesetz. Wer kauft, kauft nur ein Haus, nicht das
       Grundstück mit den Grünflächen drum herum. Das gehört für die kommenden
       dreißig Jahre „genau einer Person: mir selbst“. Falls Tækker vorher stirbt,
       geht der Besitz an eine Stiftung über. Sterben darf er nicht so schnell,
       deshalb könne er auch nicht mehr alle zwei Wochen von Aarhus nach Berlin
       hetzen. „Nye braucht mich noch.“ Kurz stockt er, als merke er selbst, dass
       das komisch klingt, und schiebt schnell hinterher: „Meine Frau und meine
       drei Kinder natürlich auch“.
       
       ## Er ersteht eine alte Glasfabrik zu einem Schnäppchen-Preis
       
       Im Frühjahr 2017 geht Tækker weg aus Berlin – eigentlich genau das, was
       Martin Breger und seine Mitstreiter von Tækker Watch erreichen wollten. Nur
       dass es die Gruppe zu dem Zeitpunkt schon lange nicht mehr gibt.
       „Irgendwann erschienen nur noch 20 Leute zu unseren Treffen, da wurde mir
       klar, das bringt nichts mehr“, sagt Breger am Telefon und klingt etwas
       niedergeschlagen. Er wohnt noch immer im Gräfe-Kiez. Vielleicht weil seine
       Wohnung nicht Tækker gehört.
       
       Als es im Gräfe-Kiez immer stiller wird, hat der Protest in der wenige
       Blöcke entfernt liegenden Lausitzer Straße noch nicht mal begonnen. Dort
       hat Tækker 2006 eine ehemalige Glasfabrik mit mehreren Innenhöfen erworben.
       Nach vorne, zur Straße hin, ist noch ein Wohnhaus dabei. Für die komplette
       Liegenschaft zahlt er 2,3 Millionen Euro an die öffentliche Hand – ein
       Schnäppchen. Die Stadt Berlin braucht mal wieder Geld. „Rückblickend war
       das ein Riesenfehler“, sagt Florian Schmidt (Grüne), Baustadtrat im Bezirk
       Friedrichshain-Kreuzberg.
       
       Mit der Fabrik übernimmt Tækker Dutzende von GewerbemieterInnen:
       Fotografen, Filmemacher, Journalisten, linke Polit-Aktivisten. Sie alle
       kämpfen von ihren Büros in der „Lause“ aus für eine bessere Welt.
       Eigentlich wie er. Tækker solidarisiert sich mit ihnen, unterstützt ein
       Kollektiv, indem er ihm mehrere Jahre die Miete erlässt. Einer anderen
       Gruppe, die gegen Faschismus kämpft, soll er Geld spenden. Alle anderen
       zahlen vergleichsweise niedrige Mieten. Wenn Mieten erhöht werden, dann nur
       geringfügig. Tækker sagt: „Was die machen, imponiert mir. Ich bin einer von
       ihnen.“
       
       Doch er investiert nicht in die Gebäude, lässt sie verrotten. Eineinhalb
       Jahre ist der Fahrstuhl kaputt, es zieht, weil die Fenster undicht sind,
       die Heizung fällt aus, auch im Winter, einmal zehn Tage lang. Der schlechte
       Zustand nervt die MieterInnen, aber die Miete ist günstig, die Lage gut und
       die Stimmung auch.
       
       ## Er vertreibt eine Kita und eine Schule für Flüchtlinge
       
       Im Dezember 2016 hört eine Mieterin im Treppenhaus ein Gespräch zwischen
       Tækker und einem Kaufinteressenten mit. Es geht um die „Sexiness“ des
       Standorts. Ab da ist klar: Tækker will die „Lause“ verkaufen. Er will die
       Gewerberäume zu einem Großteil in Lofts umwandeln, das Dach ausbauen –
       entstehen soll so etwas wie die „Hackeschen Höfe von Kreuzberg“. Die Stadt
       erteilt Tækker die Genehmigung. Den Mietern ist klar, dass das den
       Rausschmiss bedeutet. Die wenigen verbleibenden Gewerberäume wird sich
       keiner mehr leisten können.
       
       Doch die Mieter wollen in der „Lause“ bleiben. Nur eine Schule für
       minderjährige Flüchtlinge ist bislang ausgezogen. Nachdem ihr Mietvertrag
       ausgelaufen ist – und Tækker ihnen einen neuen, für sie „nicht akzeptablen“
       Vertrag angeboten hat: eine zu kurze Laufzeit für einen zu hohen Preis. Aus
       der Decke sollen Stücke herunter gefallen sein, heißt es. Tækker sagt: „Es
       ist unfair, dass Sie Ihre Kritik an solchen Kleinigkeiten festmachen.“ Die
       Schulleitung will sich nicht äußern. Nur eine Mitarbeiterin würde gern mit
       der taz reden, doch sie schweigt, aus Angst um ihren Job.
       
       Auch eine Kita hat er vertrieben, 25 Jahren war die im Kiez ansässig. Als
       der Mietvertrag auslief, bot er der Kita einen neuen an – für das Doppelte.
       „Der neue Preis liegt immer noch weit unter dem aktuellen Durchschnitt“,
       sagt Tækker. „Ich bin sicher, dass sie da, wo sie jetzt sind, das Gleiche
       zahlen, vielleicht sogar mehr.“
       
       Die „Lause“-Mieter wollen sich nicht vertreiben lassen. Protest können sie:
       Sie gründen AG’s und treffen sich einmal im Monat, um eine Strategie gegen
       Tækkers Verkaufspläne auszukungeln.
       
       ## „Negative Propaganda“ gegen ihn lässt er untersagen
       
       An einem Tag im Februar machen sie sich mit Plakaten, Megafon und Tulpen
       auf den Weg zu Tækkers Berliner Büro. Er ist nicht da, aber seine
       Mitarbeiter filmen die Gruppe und informieren ihren Chef. Ihn beeindruckt
       der Protest, auch wenn ein paar Aktivisten zu weit gegangen seien, wie er
       sagt. Videos von der Aktion müssen danach aus dem Netz genommen werden.
       Dennoch erklärt er sich wenig später bereit, die Verkaufsverhandlungen erst
       einmal ruhen zu lassen. Im Gegenzug müssten die Mieter jedoch auf „jegliche
       Art der negativen Propaganda“ verzichten, auch die Plakate im Hof seien
       abzuhängen.
       
       Eingeschaltet hat sich nun auch Stadtrat Schmidt. Er will vermitteln.
       Diskutiert wird, ob die Stadt das Gebäude zurückkaufen kann. Oder eine
       Stiftung. Tækker verlangt knapp 20 Millionen – fast das Zehnfache dessen,
       was er einst bezahlt hat. „Die Leute in der Lause wollen nicht akzeptieren,
       dass wir in einer Marktwirtschaft leben“, ärgert sich Tækker.
       
       Die harte Kritik, die in Berlin Presse und Aktivisten an ihm üben, verletzt
       ihn: „Ich denke, wir haben uns in Berlin Respekt verdient.“ Käufer behandle
       er anders als Mieter. „Ein Kauf ist ein Deal auf Augenhöhe. Messen Sie mich
       lieber daran, wie ich mit meinen Mietern umgehe. Manch einer mag Angst vor
       mir haben, aber rausgeworfen habe ich noch nie jemanden.“
       
       Wenige Tage später gewinnt er die Räumungsklage gegen Tanja R. Die
       Begründung: Sie habe illegalerweise ihre Wohnung untervermietet. Tanja R.
       behauptet das Gegenteil. Dass ihr ihre frühere Eigentümerin die
       Untervermietung erlaubt hätte. Dass sie oft im Ausland sei, ein Untermieter
       der beste Schutz gegen Einbrecher sei und sie jeden Untermieter angemeldet
       habe. Die Richterin habe sich düpieren lassen, schreibt Tanja R. der taz.
       Und erinnert daran, dass das Amtsgericht ihren Fall ursprünglich positiv
       beschieden hatte – bevor Tækker in Revision ging.
       
       ## Eine fast siebzig jährige Mieterin versucht er zu vertreiben
       
       Es hilft alles nichts, Tanja R. muss jetzt Kisten packen. Siebenmal belädt
       sie ihren Kombi mit persönlichen Sachen. Freunde kommen und helfen. Auch
       die Caritas kommt und nimmt Sachen mit. Den Rest erledigt ein
       Umzugsunternehmen. Als alles fertig ist, nimmt sie ihre beiden Kinder an
       die Hand und geht mit ihnen durch die leere Wohnung. „Damit sie auch dieses
       Bild im Kopf haben – und unserer Wohnung, als sie noch gemütlich war, nicht
       für immer nachtrauern“.
       
       Fürs Erste ziehen sie und die Kinder ins Haus ihrer verstorbenen Eltern am
       Stadtrand von Berlin. „Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht“, sagt sie.
       „Wir müssen erstmal zur Ruhe kommen und dann neu nachdenken.“
       
       Eine andere Räumungsklage verliert Tækker. Auch in zweiter Instanz. Die
       Mieterin ist fast siebzig und lebt seit 40 Jahren in ihrer Wohnung. Als
       klar wird, dass er sie nicht los wird, verkauft er die Wohnung. Ihn wird
       die alte Mieterin nicht los. Obwohl es Jahre her ist, dass er verkauft hat,
       redet sie noch über ihn. Viel. Und schlecht: Kein Mensch habe ihr das Leben
       so schwer gemacht wie er. Beinahe sei sie an dem Stress kaputt gegangen.
       
       Mehrere Monate sind vergangen, seit die „Lause“-Mieter Tækkers Büro
       gestürmt haben. Passiert ist seitdem nicht viel, noch immer befinden sie
       sich in einer Art Friedensperiode, doch Tækker hält an seinen
       Verkaufsplänen fest.
       
       ## Keine Alternative in Sicht
       
       Die „Lause“-Leute rechnen damit, bald ausziehen zu müssen. Resignation
       macht sich breit. Eine Alternative ist nicht in Sicht. Auf eine Anfrage der
       Linken zur Zukunft der MieterInnen antwortet der Bezirk: „Das Bezirksamt
       sieht keine Möglichkeit, die Gewerbetreibenden und Bildungseinrichtungen im
       Bezirk zu halten, da erschwinglicher Geweberaum kaum noch verfügbar ist.“
       
       Vom Kaufpreis von knapp zwanzig Millionen will Tækker nach wie vor nicht
       runtergehen, auch wenn er laut jemandem, der ihn gut kennt, an Karma
       glaubt. Tækker sagt: „Ich kann nicht für die Versäumnisse der Politik
       einspringen.“
       
       *Name von der Redaktion geändert
       
       24 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lea Wagner
       
       ## TAGS
       
   DIR Gentrifizierung
   DIR Verdrängung
   DIR Lesestück Recherche und Reportage
   DIR Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
   DIR Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
   DIR Dänemark
   DIR Vorkaufsrecht
   DIR Norwegen
   DIR Mieten
   DIR Vorkaufsrecht
   DIR Kreuzberg
   DIR Gentrifizierung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kauf der Lause 10/11 in Kreuzberg: Li-La-Lausebär
       
       Die von vielen linken Gruppen genutzte Lause könnte noch gerettet werden.
       Um den verringerten Kaufpreis zu stemmen, braucht es nun die Stadt.
       
   DIR Verdrängung in Berlin-Kreuzberg: Lause akut bedroht
       
       Jetzt also doch: Taekker will das Projekt Lause bis Jahresende verkaufen.
       Doch die Hausgemeinschaft kann auf Unterstützung aus Dänemark zählen.
       
   DIR Pressereise in die Kulturhauptstadt 2017: Oh, wie schön ist Dänemark
       
       Die Dänen haben alle eine gestörte Beziehung zu Tieren und verhalten sich
       wie Möbelstücke. Eine Pressereise durch die Kulturhauptstadt Aarhus.
       
   DIR Vorkaufsrecht in Kreuzberg: Luxemburg geht leer aus
       
       Erneut schlägt der Bezirk zu und schnappt einem Spekulanten ein Haus weg.
       Finanziell gingen dabei alle an die Schmerzgrenze – auch die Mieter.
       
   DIR Gentrificering i Berlin: Han kom. Tog. Og sejrede.
       
       Investoren Jørn Tækker er for mange lejere i Berlin et mareridt. I sit
       hjemland bygger danskeren derimod en økologisk prestigeprojekt-by.
       
   DIR Norweger kaufen Springer-Haus: Geldanlage und Spekulationsobjekt
       
       Ein Ölfonds erwirbt Springers 13-stöckigen Neubau. Der Konzern mietet dann
       die Büroflächen zurück und hat frisches Geld fürs digitale Geschäft.
       
   DIR Verkauf der Lause 10: Aktivisten besuchen Behörde
       
       Mieter*innen aus der Lausitzer Straße versammeln sich in der
       Stadtentwicklungsverwaltung. Kurz darauf stößt Senatorin Lompscher (Linke)
       dazu.
       
   DIR Vorkaufsrecht in Kreuzberg ausgeübt: Spekulatives Signal
       
       Der Bezirk schnappt einer Briefkastenfirma ein Haus vor der Nase weg. Eine
       Wohnungsbaugesellschaft ist bereit, einen hohen Preis zu zahlen.
       
   DIR Verdrängung in Berlin-Kreuzberg: Ein Gespenst geht um in SO 36
       
       Ein Buchladen, eine Bäckerei, ein Haus mit politischen Projekten – das sind
       nur die bekanntesten bedrohten Projekte im östlichen Kreuzberg.
       
   DIR Verkauf der Lause 10 in Berlin-Kreuzberg: Protest zahlt sich aus
       
       Überraschende Wendung: Der Verkauf eines Hauses, in dem linke Gruppen Büros
       haben, durch den Eigentümer Taekker ist gestoppt. Wie geht es weiter?