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       # taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Vorsicht mit dem Zeigefinger
       
       > Ist das Gedenken von DFB-Präsident Grindel an die russischen Kriegsopfer
       > wichtiger, als Demokratiedefizite anzuprangern? Ganz klar: ja.
       
   IMG Bild: Kranzniederlegung in Kasan: Witali Mutko und Reinhard Grindel im Gedenken an russische Kriegsopfer
       
       Es war ein Akt der Demut. Am Donnerstag, ein paar Stunden vor dem Spiel der
       deutschen Nationalmannschaft beim Confederations Cup gegen Chile, legte
       DFB-Präsident Reinhard Grindel einen Kranz am Mahnmal für die im Zweiten
       Weltkrieg gestorbenen Sowjetbürger nieder.
       
       Am 22. Juni wird in Russland dem Tag gedacht, als Nazideutschland die
       Sowjetunion überfallen hat. Es ist der „Tag des Gedenkens und der Trauer“.
       27 Millionen Sowjetbürger haben in diesem Krieg ihr Leben verloren, als
       Soldaten oder Zivilisten. Bei all der Überhöhung des Heldengedenkens an die
       Sieger über die deutsche Wehrmacht, die man zu Recht in Russland beklagen
       mag, ist eine Geste, wie sie der DFB gezeigt hat, aller Ehren wert.
       
       Eine Ehrengarde der Armee präsentierte die Kränze. Jugendliche, die sich in
       Gedenkvereinen an den Krieg engagieren, waren gekommen, um Grablichter am
       Mahnmal im Siegespark abzulegen. Und Reinhard Grindel schritt neben Witali
       Mutko, dem Präsidenten des russischen Fußballverbands und Vizepremier des
       Landes, zum ewigen Feuer, das zum Totengedenken mahnt.
       
       Alle Diskussionen darüber, wie ein deutsches Fußballteam aufzutreten hat in
       einem Land, das so sehr der in Deutschland vorherrschenden Vorstellung von
       einer freiheitlichen Gesellschaft widerspricht, haben in einem solchen
       Moment zu verstummen. Es war ein Moment, in dem noch einmal klar wurde,
       dass es auch der Sieg der Sowjetarmee über die Wehrmacht war, der die
       Grundlagen für die heute freiheitliche Demokratie in Deutschland gelegt
       hat.
       
       ## St. Petersburg, Wolgograd, Rostow
       
       Es gibt für einen deutschen Sportverbandspräsidenten genug Gründe, mit
       einem Herrn wie Witali Mutko über Russland zu streiten und über die Rolle,
       die dieser als langjähriger Sportminister dabei gespielt hat. Da sind die
       irrwitzigen Olympischen Winterspiele von Sotschi, für die zum Ruhme
       Russlands ganze Landschaften unter Beton verschwunden sind. Da ist das
       wahnwitzige Dopingprogramm, mit dem Russland an die Spitze von
       Medaillenspiegeln gehievt werden sollte und für das Mutko zumindest
       politisch die Verantwortung getragen hat.
       
       Da ist die Annexion der Krim und Mutkos Versuch, unmittelbar danach die
       dort ansässigen Fußballklubs in den russischen Ligabetrieb zu integrieren.
       Und da sind Mutkos unsägliche Rechtfertigungen für die lesben- und
       schwulenfeindliche Gesetzgebung in Russland, bei der er Homosexualität mit
       Alkohol- und Drogenabhängigkeit gleichgesetzt hat. Gewiss sollte man ihm
       das zu gegebener Zeit und gern auch regelmäßig um die Ohren hauen.
       
       Dass Deutsche den Zeigefinger indes nicht allzu selbstgerecht gen Russland
       richten sollten, wurde in Kasan nur allzu deutlich. Bei der WM nächstes
       Jahr könnte die DFB-Elf in Orten spielen wie St. Petersburg, das die
       Wehrmacht so lange belagert hat, bis beinahe die Hälfte der Bevölkerung
       verhungert war. In Wolgograd (damals Stalingrad), das Schauplatz einer
       wahren Schlachtenorgie geworden ist, oder in Rostow am Don, das die
       Deutschen zweimal erobert haben und bei ihrem zweiten Rückzug beinahe
       vollständig zerstört hinterlassen haben.
       
       Darauf zu achten, dass deutsche Fans nicht mit Sprüchen wie „Hurra, hurra,
       die Deutschen, die sind wieder da!“ in diese Orte einziehen, ist dabei für
       den DFB vielleicht wichtiger, als auf Demokratiedefizite in Putins Reich
       hinzuweisen. Einen ersten Schritt in diese Richtung ist Reinhard Grindel
       gegangen.
       
       23 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Rüttenauer
       
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