# taz.de -- Bremen diskutiert geringeres Strafmaß: Schwarzfahrt in den Knast
> Die Linke will, dass Schwarzfahren nur noch eine Ordnungswidrigkeit ist.
> Wenigen Menschen hilft die Inhaftierung allerdings.
IMG Bild: Endstation Freiheitsstrafe: 60 Euro kostet Schwarzfahren in Bremen.
Bremen taz | Schwarzfahren soll in Zukunft nicht mehr als Straftat bewertet
werden, sondern als Ordnungswidrigkeit. Das fordert jetzt die Fraktion der
Linken in der Bremischen Bürgerschaft. Das Parlament solle den Senat
auffordern, sich im Bundesrat für eine Gesetzesänderung einzusetzen, heißt
es in einem Antrag an die Bürgerschaft, die dazu erst nach der Sommerpause
entscheidet.
„Es kann nicht sein, dass jemand, der mit dem Auto eine Feuerwehrzufahrt
zuparkt, nur eine Ordnungswidrigkeit begeht – und jemand fürs Schwarzfahren
ins Gefängnis muss“, sagt am Donnerstag die Fraktionsvorsitzende der
Linken, Kristina Vogt.
Zudem sei die Strafverfolgung für den Staat teuer. „Bei BSAG, Polizei und
Justiz binden diese Fälle unverhältnismäßig viele Kapazitäten.“ Am
Teuersten sind die Menschen, die Geldstrafen nicht zahlen können oder
wollen und zu einer Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis verurteilt werden.
45 Personen saßen nach einem Bericht des Justizsenators im Jahr 2015 eine
Ersatzfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Bremen ab, das waren
8,86 Prozent aller Inhaftierten. Das seien deutlich weniger als in den
Vorjahren, schreibt der Justizsenator.
Die Senkung der Zahlen seien auf das 2012 eingeführte „Stadtticket extra“
zurückzuführen. Mit diesem darf ein streng eingegrenzter Personenkreis für
einen Eigenanteil von bisher 7,50 Euro – ab Juli 10,50 – Bus und Bahn der
BSAG nutzen. Zunächst galt dieses nur für maximal 30 Personen, mittlerweile
gibt es etwa 50 Menschen, die dieses Ticket nutzen.
„Das bekommt nicht jeder, es soll ja keine Belohnung fürs Schwarzfahren
sein“, sagt Helmut Schwiers, Leiter der Bewährungshilfe beim Justizsenator.
Nur wer bereits wegen wiederholten Schwarzfahrens inhaftiert war und
weiteren Kriterien entspricht, hat eine Chance auf das Stadtticket extra.
„Das sind Menschen mit vielen Schwierigkeiten“, sagt Schwiers, darunter
Obdachlose und psychisch Kranke, die sich keine Hilfe bei ihren Problemen
suchen. „Das sind Menschen ganz am Rande der Gesellschaft“ – und damit auch
außerhalb der Hilfesysteme.
Ausgerechnet über das Schwarzfahren bekommen einige dann aber doch Kontakt
zu Helfern und Helferinnen, erzählt Schwiers. „Sie kommen jeden Monat zu
uns und holen sich das Ticket ab – dabei entstehen Kontakte, es bauen sich
langsam Beziehungen auf und sie merken: Da ist jemand, der hilft mir.“
So fingen einige irgendwann an zu erzählen, wie es ihnen geht, was sie für
Probleme hatten. „Manche beginnen eine Suchttherapie“, sagt Schwiers. Und
einer Frau, erinnert er sich, haben sie geholfen, wieder Strom in ihrer
Wohnung zu bekommen – allein hätte sie die Kommunikation mit dem
Stromanbieter nicht geschafft.
2010 hatten noch 71 Personen eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt. Der Anteil
derjenigen, die allein wegen Schwarzfahrens einsaßen, lässt sich nicht
genauer beziffern. Damals verbüßten allerdings auch mehr Personen eine
Haftstrafe: Anteilig waren es 11,43 Prozent – gegenüber 8,86 Prozent in
2015.
Auch deswegen stellt die Fraktion der Linken jetzt den Antrag. „Das sind
immer noch zu viele“, sagte deren Vorsitzende Kristina Vogt.
4.481 Anzeigen wegen beförderungserschleichung waren im vergangenen Jahr
bei der Polizei Bremen eingegangen. 694 der Tatverdächtigen waren unter 21
Jahre alt. Ein Einzelticket für Kinder unter 15 Jahren kostet 1,40 Euro,
Jugendliche und Erwachsene zahlen 2,75 Euro.
22 Jun 2017
## AUTOREN
DIR Eiken Bruhn
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