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       # taz.de -- Die Wahrheit: Ein Volk, eine Zahnbürste
       
       > In der fabelhaften Welt der modernen Verbrauchertechnik kann man jetzt im
       > Mund völkische Säuberungsaktionen durchführen.
       
       Was Verbrauchertechnik angeht, bin ich ganz weit hinten. Meine
       Alltagsausrüstung befände sich immer noch auf Höhe der achtziger Jahre,
       begegnete mir nicht regelmäßig in den Werbebeilagen der Zeitungen die
       fabelhafte Welt moderner Gadgets. Wie, so traf es mich neulich schlagartig
       beim Durchblättern, konnte ich bisher ohne elektrische „Oral-B
       Volks-Zahnbürste Genius“ leben? Mal abgesehen davon, was die Werbe-Geniusse
       bewegt, in Zeiten, in denen Völkisches wieder ordentlich Konjunktur hat,
       ihrem Produktbaby einen derart bescheuerten Namen zu verpassen, verursacht
       mir die Vorstellung vom Volkskollektiv als Nutzer einer Zahnbürste – eine
       für alle! – einen etwas schalen Geschmack im Mund.
       
       Unsanft traf mich die Erkenntnis, dass jemand wie ich, der aus dem vorigen
       Jahrhundert stammt und noch klassisch analog schrubbt, der
       Wählscheibendreher unter den Zähneputzern ist. Wenigstens befinden sich in
       meinem morschen Kiefer keine braunen Stummel, sondern blitzende Beißer, und
       mein Zahnfleisch hängt auch nicht in traurigen Fetzen herunter – und das
       obwohl ich keine „an Bluetooth gekoppelte Smartphone App mit
       benutzerdefiniertem Echtzeit Feedback“ besitze.
       
       Die „dreifache Andruckkontrolle“ würde ich auch eher in einer Druckerei
       vermuten und „Positionserkennungstechnologie“ in Überwachungskameras,
       offenbar habe ich einige Entwicklungen verschlafen. Moderne Zahnbürsten
       kreisen in der Volksmundhöhle wie selbstfahrende Autos: voll autonom.
       
       Diese Gemeinsamkeit schreit nach einer Fusion von Zahnpflege und
       Autoindustrie. Oral-B-Ingenieure, hier liegt die Zukunft! Die tägliche
       Zahnpflege sollte zeitsparend in den Weg zur Arbeit integriert, besser noch
       „eingepflegt“ werden – ein Wort so befremdlich wie die Volks-Zahnbürste,
       das mir jetzt häufiger begegnet und Assoziationen an Seniorenheime oder
       Streichelzoos weckt. Was Zahnhygiene angeht, scheint es mir aber
       angemessen.
       
       Sind seine individuellen Zahndaten also ins Elektronikprogramm eines
       Pendlerautos eingepflegt, kann sich der im morgendlichen Stau dösende
       Fahrer automatisch die Zähne putzen lassen. Praktischerweise besitzt die
       Volks-Zahnbürste bereits ein „intelligentes Reise-Etui mit USB-Anschluss“.
       
       Selbstverständlich muss für Spucke-Auffangbehälter gesorgt sein, man will
       sich ja die Sauerei im Auto am Ende so einer Pendlerarbeitswoche gar nicht
       vorstellen, quasi oben hui, unten pfui. Hier jetzt mal was für die
       Entwicklungsabteilung: Das Zahnputzejakulat wird direkt in die
       Scheibenwaschanlage eingepflegt und in einen Recyclingkreislauf überführt.
       
       Falls ihr das nicht hinkriegt, Oral-B-Ingenieure, greift Plan B,
       schließlich hat die Menschheit schon den Übergang vom Nass- zum
       Trockenrasierer bewältigt: Die „Volks-Zahnbürste Genius 2“ zum
       Trockenputzen mit Verdunstungsanlage für den Putzerspeichel. Vorbildliche
       Ausschöpfung körpereigener Ressourcen! Wir retten das Weltklima! Den
       Werbebeilagentext liefere ich gern dazu.
       
       22 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pia Frankenberg
       
       ## TAGS
       
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