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       # taz.de -- Brisante Erklärung von liberalem Moslem: Was ist passiert, Herr Dr. Azizi?
       
       > Der Autor Mimoun Azizi behauptet, sich für eine Studie über Islamhass
       > bloß als „Reformmuslim“ ausgegeben zu haben. Das könnte daran liegen,
       > dass er bedroht wurde.
       
   IMG Bild: Liberaler Islam: Die Frauenrechtlerin Seyran Ates legt zur Eröffnung der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee ihren Gebetsteppich aus
       
       HAMBURG taz | Die Erklärung von Mimoun Azizi sorgt seit Tagen für Aufsehen:
       Der Oldenburger Arzt und liberale muslimische Autor schrieb am Mittwoch auf
       seiner Facebook-Seite einen Beitrag, der sich wie ein Bekenntnis zu einer
       Undercover-Aktion liest: So, als hat Azizi seit zwei Jahren nur so getan,
       sich um eine Reform des Islams zu bemühen und als hat er stattdessen seine
       Mitstreiter ausspioniert – darunter die Berliner Juristin und
       Frauenrechtlerin Seyran Ates und den Freiburger Islamwissenschaftler
       Abdel-Hakim Ourghi.
       
       Eine ernste Beichte Azizis? Oder ein Hilferuf, ein Versuch, nach
       wochenlangen Bedrohungen, einer Gefahr zu entgehen? Für seine Erklärung
       wird er von den einen nun als „islamistischer Undercover-Agent“ beschimpft
       und von den andern, vornehmlich Islamisten, als Held gefeiert.
       
       Er habe beschlossen, heißt es auf Azizis Facebook-Seite, sich zwecks einer
       „wissenschaftlichen Erhebung“ zu Islamhass und Islamophobie, die er als
       „neuen Faschismus“ bezeichnet, „unter die selbsterklärten 'Reformmuslime’
       zu mischen.“ „Hierzu bedurfte es insbesondere des Beziehungs- und
       Vertrauensaufbaus zu den Führern dieser neuen faschistischen Ideologie“.
       
       Nach zwei Jahren Bestandsaufnahme könne er seine Ergebnisse nun
       publizieren. „Die Solidarisierung mit der Ideologie und ihren Bannerträgern
       war für die Erlangung von wissenschaftlich analysetauglichen Aussagen
       zwingend erforderlich und entsprach zu keiner Zeit meinem
       Religionsverständnis.“
       
       Worte, die so gar nicht zu dem aus Marokko stammenden Oberarzt und
       Publizisten passen. Azizi lebt seit Jahrzehnten in Deutschland und ist
       Leiter der transkulturellen Psychiatrie der Universitätsklinik für
       Psychiatrie und Psychotherapie in Oldenburg. Als Autor ist er bekannt für
       seine dezidierte Kritik des islamischen Fundamentalismus und vor allem der
       etablierten Islamverbände. Mit Ates arbeitete er seit Monaten an der
       Gründung der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin und ist auch
       einer von sieben Gesellschaftern der gemeinnützigen GmbH.
       
       ## Anfeindungen aus der Türkei und aus Ägypten
       
       Die Moschee, in der Frauen und Männer gemeinsam beten und in der auch
       Frauen ohne Kopftuch das Gebet leiten dürfen, war schon vor ihrer Eröffnung
       am 16. Juni heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Die türkische
       Religionsbehörde Diyanet hat die Moschee in Verbindung mit der Bewegung des
       Predigers Fethullah Gülen gebracht. Die oberste Fatwa-Behörde in Ägypten,
       Dar al-Iftaa, kritisierte die Moschee: „Frauen können nicht in einer Reihe
       neben Männern beten.“
       
       Für Ates hat die Polizei die Sicherheit noch einmal erhöht. Sie steht
       mittlerweile rund um die Uhr unter Schutz. Auch Azizi berichtete schon vor
       Monaten von Drohungen durch Islamisten.
       
       Im März 2017 schreibt er etwa bei Facebook: „Die Drohungen gegen mich und
       meine Familie werden immer konkreter“ und postete dazu ein Bild von einer
       anonymen E-Mail, in der er als Feind Allahs beschimpft und bedroht wird.
       Das war, nachdem Azizi in der „Huffington Post“ einen Artikel
       veröffentlicht hatte, in dem er von seinen Erfahrungen als Psychologe
       berichtete und einen Missbrauch von Kindern durch Imame anprangerte.
       Seitdem wurde der Druck auf ihn wohl größer.
       
       Am 17. Juni heißt es dann in einem Eintrag auf seiner Facebook-Seite: „Aus
       persönlichen Gründen möchte ich mich aus dem politischen Diskurs
       zurückziehen.“ Ab diesem Moment wolle er nur für seine Familie da sein.
       Ates hatte er telefonisch kurz vor der Moschee-Eröffnung benachrichtigt,
       dass er sich aus dem Projekt zurückziehen wolle – für die Eröffnung war ihm
       eigentlich eine prominente Rolle zugedacht.
       
       ## Azizis Erklärung überrascht Mitstreiter
       
       Marlene Löhr, Sprecherin der Moschee, erklärte der taz: „Seitdem haben wir
       keinen Kontakt mehr.“ Die Erklärung Azizis sei vollkommen überraschend
       gekommen. Er habe in den letzten Monaten mit sehr viel Engagement und
       Leidenschaft für den liberalen Islam gestritten. Die Aussagen zu seinen
       „Erhebungen“ und die Wortwahl verwunderten sie.
       
       Noch im Mai schreibt Azizi, dass er seit einiger Zeit den Diskurs um die
       Reformierung des Islam beobachte, und sogar selbst ein wichtiger Teil davon
       sei – verbunden gleichwohl mit einer harschen Kritik an
       „Pseudointellektuellen“ und „Liberalen“, deren Äußerungen verletzend seien.
       Er sei ein „überzeugter Humanist und Demokrat. Gleichwohl ein gläubiger
       Mensch.“ Unreflektierte Islamkritik lehne er ab. Auch von „Islamhassern“,
       die wie Faschisten und Islamisten einen Religionskrieg heraufbeschwörten,
       schrieb er im Mai.
       
       Ebenso kritisierte er den Islamwissenschaftler Ourghi, Mitgesellschafter
       der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, dafür, dass dieser gesagt hatte, es sei ein
       „kollektives Verdrängen“ zu behaupten, der Islam habe nichts mit Gewalt zu
       tun. Ob es nicht dessen Aufgabe als Islamwissenschaftler sei, zu
       differenzieren, fragte Azizi.
       
       Ourghi erklärte der taz, er habe diese Kritik immer als Teil der Diskurse
       um den Islam verstanden. Auch er zeigte sich überrascht über die letzte
       Erklärung Azizis. Auch ihm gegenüber habe Azizi eine große Angst geäußert,
       wegen zunehmender Bedrohungen gegen ihn und seine Familie.
       
       ## Scharfer Kritiker der Islamverbände
       
       Azizi selbst verfasste als Autor seit Juni 2016 mehrere Beiträge für das
       Online-Magazin „Tichys Einblick“, das von Kritikern an der Grenze zum
       Rechtspopulismus gesehen wird. Zuletzt appellierte Azizi im Januar 2017 im
       Namen liberaler Muslime in einem offenen Brief an Bundesinnenminister
       Thomas de Maiziere (CDU), die Zusammenarbeit mit den Islamverbänden zu
       beenden, „da diese Ideologien vertreten, die unseren Staat gefährden“.
       
       Im Zentralrat der Muslime hätten die Grauen Wölfe eine Mehrheit, es gebe
       Verbindungen zu den Muslimbrüdern. Und: „Die Ditib ist der verlängerte Arm
       der AKP und sie zeigt sich zunehmend antisemitisch und islamistisch“,
       schrieb Azizi.
       
       Am Donnerstag zeigt man sich bei dem „liberal-konservativen“ Online-Magazin
       entsprechend ratlos. Thomas Spahn spekuliert in einem Beitrag
       „False-Flag-Operation, Widerruf oder Zwang?“ über die Hintergründe von
       Azizis Erklärung. „Wie aus dem scheinbaren Nichts übernimmt er, der
       westlich gebildete Wissenschaftler, die absurden Positionen jener, die mit
       dem Islam die europäische Zivilisation überwinden wollen, verwendet als
       Psychologe das abstruse Wort der Islamophobie“, schreibt Spahn.
       
       Auch er berichtet an anderer Stelle: „In privaten Gesprächen klagte Azizi
       schon vorher immer häufiger darüber, dass die Bedrohungen durch
       fundamentalistische Muslime für ihn und seine Familie unerträglich würden.“
       
       Ist Azizis Aussage also womöglich eine Reaktion auf Drohungen? Ist sie
       ernst gemeint? Mimoun Azizi selbst reagierte seit Donnerstag auf keine der
       Anfragen der taz.
       
       25 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
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