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       # taz.de -- Zweifel an Giftgasangriff in Syrien: Wie man's dreht und wendet
       
       > US-Reporterlegende Seymour Hersh glaubt nicht an einen Sarin-Angriff auf
       > Chan Schaichun. Als Beleg dafür liefert er jedoch nur anonyme Quellen.
       
   IMG Bild: Viel spricht dafür, dass es ein Giftgasangriff war
       
       Gretchenfrage: Muss man einem preisgekrönten Investigativjournalisten alles
       abnehmen – auch wenn er keine einzige überprüfbare Quelle vorweisen kann?
       
       Am Wochenende erschien in der Welt am Sonntag auf drei Seiten ein
       [1][Artikel des US-Journalisten Seymour Hersh]. Darin behauptet er,
       nachweisen zu können, dass bei dem Angriff eines syrischen Flugzeuges auf
       den Ort Chan Schaichun am 4. April dieses Jahres kein Sarin abgeworfen
       worden sei. Damit [2][widerspricht er der breiten Auffassung], nach der die
       syrische Regierung diesen tödlichen, international geächteten Kampfstoff
       gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat.
       
       Das Problem: Im Text wird keine einzige Quelle beim Namen genannt. Reicht
       das Wort eines verdienten Reporters aus, dass er sorgfältig gearbeitet hat?
       
       Hersh widerspricht nicht zum ersten Mal. Bereits im [3][Dezember 2013] und
       im [4][April 2014] erschienen in der London Review of Bookszwei Artikel von
       Hersh, die sich mit dem Krieg in Syrien und dem Einsatz chemischer
       Kampfstoffe befassten. Darin widersprach Hersh der These der US-Regierung,
       das syrische Assad-Regime habe im August 2013 mehrere Vororte von Damaskus
       mit Giftgas angegriffen und sei für möglicherweise mehr als tausend Tote
       verantwortlich.
       
       ## Gegen den Rat der Geheimdienste
       
       2013 hatte US-Präsident Obama noch auf einen Vergeltungsschlag verzichtet,
       obwohl er Syrien einen Militäreinsatz angedroht hatte, falls Assad
       Chemiewaffen gegen die Rebellen in Syrien einsetze. Obamas Nachfolger
       Donald Trump hingegen ließ im April dieses Jahres 59 Marschflugkörper auf
       einen [5][syrischen Militärflughafen] abfeuern, als Reaktion auf die
       „abscheuliche Tat“ in Chan Schaichun.
       
       Trump habe gegen den Rat seiner Geheimdienste gehandelt, schreibt Hersh in
       seinem neuen Text. Die seien nicht überzeugt gewesen, dass es in Chan
       Schaichun einen Sarin-Angriff gegeben habe. Hershs Quelle zufolge habe der
       Angriff einem Treffen hochrangiger Dschihadisten gegolten, die sich in dem
       getroffenen Gebäude versammelt hatten. Im Keller des Hauses seien Raketen,
       Munition und Versorgungsgüter wie Dünger und Desinfektionsmittel gelagert
       gewesen. Diese seien explodiert und hätten eine ätzende Wolke über die
       Umgebung wehen lassen.
       
       Damit bringt Hersh eine neue Version der Geschehnisse in Umlauf, es ist
       mindestens die dritte, die kursiert. Für die These vom Sarin-Angriff
       sprechen Videos, Fotos und die Berichte vieler Augenzeugen, behandelnder
       Ärzte sowie von Kareem Shaheen, eines Mitarbeiters des Guardian, der zwei
       Tage nach dem Angriff Chan Schaichun besuchte. Er fand nur einen leeren
       Kornspeicher neben der Einschlagstelle der Bombe.
       
       Für die zweite, von Moskau mit falscher Zeitangabe verbreitete These, es
       sei ein Giftgas-Depot der Rebellen getroffen worden, spricht: nichts.
       
       Gegen Hershs neue Version wiederum spricht einiges. Zunächst, dass er
       inzwischen überhaupt kein Medium im angloamerikanischen Raum mehr gefunden
       hat, das seinen Text drucken wollte, selbst die London Review of Books habe
       ihn „aus politischen Motiven“, so Hersh, abgelehnt. Auch seine vorherigen
       Texte über Giftgaseinsätze in Syrien und einer über den Tod von Osama bin
       Laden fanden bei Hershs Arbeitgebern vergangener Jahrzehnte, dem New Yorker
       und der New York Times, keine Abnehmer. Der Grund: Die Quellenlage sei zu
       dürftig, denn seine Interviewpartner bleiben stets anonym, einschlägige
       Dokumente konnte er nicht vorweisen. Dennoch wurden alle Texte auch auf
       Deutsch verbreitet und tauchten in Leserbrief-Foren immer wieder als Belege
       für die Verlogenheit der westlichen Syrien-Berichterstattung auf.
       
       Seymour Hersh ist eine mit vielen Preisen ausgezeichnete Reporterlegende.
       Er deckte 1969 das Massaker im vietnamesischen My Lai auf und berichtete
       als Erster über die Folterungen irakischer Gefangener im US-Gefängnis Abu
       Ghraib. Aber die Regeln journalistischer Sorgfalt müssen auch für ihn
       gelten. Zum Beispiel, dass man Quellen gegencheckt. Und besonders, wenn man
       den ganz Mächtigen ans Bein pinkelt.
       
       26 Jun 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.welt.de/politik/ausland/article165905618/We-got-a-fuckin-problem.html
   DIR [2] /Angriff-auf-Chan-Scheichun-am-4-April/!5404966
   DIR [3] https://www.lrb.co.uk/v35/n24/seymour-m-hersh/whose-sarin
   DIR [4] https://www.lrb.co.uk/v36/n08/seymour-m-hersh/the-red-line-and-the-rat-line
   DIR [5] /Luftangriff-der-USA-auf-Syrien/!5400312
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Schaaf
       
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