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       # taz.de -- Doping bei der Tour de France: Betrug mit Tradition
       
       > Schon vor 100 Jahren gehörten Aufputschmittel zu Frankreichs großem
       > Radrennen. Kein Skandal konnte die Tour ernsthaft schädigen. Warum?
       
   IMG Bild: Ein Schatten liegt über der Tour de France: Kürzlich wurde Andre Cardoso positiv auf Epo getestet
       
       Die Tour de France ist größer als ihre Kritiker. Die Tour ist ein Gigant.
       Die Kritiker nehmen sich dagegen wie Däumlinge aus, wenngleich ihr
       Schimpfen auf die große Schleife seine Berechtigung hat. Ja, die Radler,
       die im Juli durch das schöne sommerliche Frankreich hetzen, sind nicht so
       richtig sauber. Das Aufputschen gehörte schon vor 100 Jahren dazu.
       
       Und es gehört auch heute noch, im Jahre 2017, zu dieser Rundfahrt wie die
       Demut zum Wasserträger. Der subtile Betrug ist dem Peloton in Fleisch und
       Blut übergegangen. Es ist zur zweiten Natur vieler Rennfahrer geworden, was
       auch der aktuelle Dopingfall von Andre Cardoso beweist, des Tour-Aspiranten
       aus Portugal, der jetzt mit dem guten alten Epo im Blut erwischt wurde.
       
       Aber der imposante Mythos der Frankreich-Rundfahrt überstrahlt selbst jene
       mobile Apotheke, in die unsere Tour-Helden immer schon mehr oder weniger
       heimlich gegangen sind, um ihre Schmerzen zu lindern, die Blessuren zu
       pflegen und ihre Leistung zu verbessern. Die Däumlinge haben immer wieder
       voller Angriffslust auf die Tour geschossen, aber die Tour, die sich in den
       Jahrzehnten der Kritik eine Lederhaut zugelegt hat, hat die Pfeile kaum
       gespürt.
       
       Sie hat sich gekratzt, die kurzzeitigen Umsatzeinbußen und die TV-Abstinenz
       in manchen Ländern zur Kenntnis genommen, und sie hat dann vertraut auf die
       Strahlkraft, das wahrlich blendende Image dieser Zirkusveranstaltung. Die
       Macher der Tour konnten dabei immer darauf vertrauen, dass die Franzosen
       und vor allem die Millionen von Radsportfans auf der ganzen Welt eine
       selektive Wahrnehmung haben.
       
       ## Epische Duelle bei einer rasanten Geschwindigkeit
       
       Die Skandale werden schlichtweg ausgeblendet. Die vermuteten und die
       tatsächlichen Dopingvergehen befinden sich unter einer dicken Schicht
       Firnis. Die Oberfläche der Tour de France sieht, derart lackiert, recht
       formidabel aus. Auch die diesjährige Runde verspricht wieder epische
       Duelle. Es geht Berge hinauf, und zwar so schnell, dass ein Mofa
       Schwierigkeiten hätte zu folgen.
       
       Die Rampen heißen diesmal Grand Colombier oder Col de Peyresourde, und
       Tour-Kennern geht schon allein bei der Nennung dieser Namen das Herz auf.
       Der Peyresourde ist ein Pass, der sich in das Gedächtnis der Tour-Freunde
       ebenso eingebrannt hat wie die Strecke hinauf nach L’ Alpe d’Huez, wie der
       Tourmalet, der Aubisque, der Galibier oder der Puy de Dome.
       
       Die Tour de France ist umso wirkmächtiger, weil sie eine Tour der Bilder
       ist. Einmal sind da die Polaroids aus der Vergangenheit, die jeder aus dem
       Gedächtnis abrufen kann: die slapstickartige Ausfahrt von Jan Ullrich in
       die Botanik zum Beispiel, das Einhaken von Lance Armstrong in den Beutel
       eines Zuschauers, sein Sturz und seine wundersame Wiederauferstehung. Die
       heuchlerischen Tränen des Richard Virenque. Der tragische Tod von Fabio
       Casartelli auf der Abfahrt vom Col de Portet-d’Aspet.
       
       Und dann Rudolf Scharping im Magenta-Trikot, wie er sich ranschmeißt an die
       Sportler. Ein pharmazeutisch beschleunigter Elefantino. Die krawalligen
       Marketender in der Werbekolonne, die wie eine Heimsuchung über das Land
       kommen. Die kontemplativen, stundenlangen Übertragungen, die für Zuschauer
       zu einer Art der Meditation werden. Die sakrale Leidensfähigkeit von
       Radlern wie Tyler Hamilton, der etliche Etappen mit gebrochenem
       Schlüsselbein gefahren ist. Die Acht-Sekunden-Niederlage von Laurent Fignon
       im abschließenden 89er Zeitfahren gegen Greg LeMond. Die Liebe der
       Franzosen zum zweiten Platz, zu Raymond Poulidor.
       
       Und dann sind da noch die Luftbilder von Frankreich, das in diesen
       Aufnahmen als das schönste Land der Welt erscheint. Da gibt es immer nur
       touristische Orte, alte Abteien, Käsereien und malerische Weingüter. Es ist
       eine heile Welt, ein Postkartenidyll ohne Banlieue und Le Pen. Die
       Moderatoren (v)erklären das Drumherum genauso beflissen wie den belgischen
       Kreisel. Dieses große bunte Paket dürfen wir nun wieder auspacken. Das wird
       sehr schön. Der Gigant wird erstrahlen. Aber Vorsicht: Die Däumlinge
       befinden sich in Lauerstellung. Die Munition bekommen sie frei Haus.
       
       2 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Völker
       
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