URI: 
       # taz.de -- Fotografische Feldforschung: Privates Glück im Baumarkt-Pop
       
       > „OBI oder das Streben nach Glück“: Auf seinen Fotos erforscht Wilfried
       > Petzi die Ästhetik seiner Heimat Niederbayen. Zu sehen sind sie im
       > Kunstverein Wolfsburg.
       
   IMG Bild: Widerstand gegen die Ästhetik elitärer Städter: Vorgarten in Anzenkirchen.
       
       Wolfsburg taz | „Urlaub ohne Stau … jeden Tag.“ So wirbt ein Baumarkt,
       irgendwo in Niederbayern für seine Produkte, die den heimischen Garten zum
       erholsamen Idyll mutieren lassen sollen. Allerhand Grobkies und gebrochenes
       Kleingestein lagern dort, aber auch ausgewachsene Findlinge. Werbeflächen
       demonstrieren, wie all diese Materialien wunderbar mit Natursteinplatten,
       Holzdielen, Stufenelementen und Wasserspielen zu komplexen Gartenanlagen
       kombiniert werden können.
       
       Die Ergebnisse hat sich der Münchner Fotograf Wilfried Petzi, der ansonsten
       große Kunst in großen Ausstellungshäusern dokumentiert, sozusagen als
       Feldforschung in seiner niederbayrischen Heimat vorgenommen. Mit dem Autor
       Karl Bruckmaier hat er sie 2016 zu einem Buch zusammengestellt.
       
       Bruckmaiers Spezialität ist die Popkultur, vorrangig ihre Musik, der er im
       Feuilleton der Süddeutschen Zeitung nachgeht oder in seinem 2014
       erschienenen, rund 350 Seiten starken Wälzer „The Story of Pop“. Schon dort
       unternahm er einen verwegenen Ansatz: Er verortete eine Keimzelle des Pop
       im Kulturtransfer zwischen Orient und Okzident zu Zeiten des karolingischen
       Mittelalters. Eine gotische Fertigteil-Ruine im schmalbrüstigen Vorgarten
       eines toskanisch angehauchten Einfamilienhauses ist vielleicht das
       eindringlichste Zeugnis eines ebenso ungebrochenen wie enthemmten aktuellen
       Kulturtransfers, der den meisten dieser Baumarktgärten vor Petzis Linse
       eigen ist.
       
       ## Keine Gebildeten-Arroganz
       
       Nun wäre nichts leichter, als mit der hämischen Arroganz eines in gutem
       Geschmack und den Künsten Trainierten sowie kunsthistorisch Gebildeten über
       diese naiv ungelenken Gartenträume herzuziehen. Das machen Bruckmaier und
       Petzi aber nicht. Mit geradezu kulturwissenschaftlicher Sorgfalt und einer
       fein ironischen Zuneigung würdigen sie in deren vielfältigen Gestaltungen
       vielmehr eine praktizierte Ästhetik des Widerstands, eines
       Beharrungsvermögens der Provinz gegen eine normative Kultur städtischer
       Eliten.
       
       Und Niederbayern steht lediglich stellvertretend für jede abgeschiedene
       Region Deutschlands. All deren hinterwäldlerische Kulturen von unten, jede
       spezifische Art brut, ist beste Artikulation einer aktualisierten Pop-Art,
       treibe die Kommerzialität ihrer historischen Vorläufer in die wilde
       Schönheit einer Baumarkt-alimentierten Volkskunst, so Bruckmaier: der
       OBI-Pop. Er ist das Streben nach dem Glück in der vermeintlich
       individuellen Gestaltung des materialisierten Lebensumfeldes.
       
       ## Ausstellung bei Freunden
       
       Eine kleine Auswahl von Wilfried Petzis Fotografien ist derzeit im
       [1][Kunstverein Wolfsburg] zu sehen, sinnigerweise im dortigen „Raum für
       Freunde“, denn Petzi ist Musikerkollege in der [2][Band F.S.K.] von
       Kunstvereinsleiter Justin Hoffmann. Ende Juni erscheint ihr neues Album.
       
       Die Einladung Petzis ist aber kein Werbeblock, sondern die ganz sinnfällige
       thematische Ergänzung der von Jennifer Bork kuratierten Hauptausstellung zu
       Internet-Memes: Diese kleinen Animationen oder Filmchen, etwa von
       umfallenden Waffeln, Äpfeln oder Karotten, die in ständiger Imitation,
       Variation oder Parodie im Internet kursieren, finden mit Millionen Aufrufen
       eine Riesenfangemeinde im trivialkulturellen Sektor. In ihrem
       partizipativen, User-generierten Habitus unterminieren sie beständig die
       Hochkultur. Sie unterliegen jedoch, ähnlich dem Baumarkt-Pop,
       schlussendlich dem Schicksal aller demokratiefördernden ästhetischen
       Systeme: Wenn’s läuft, werden sie Bestandteil der erbarmungslosen
       kommerziellen Ausbeutung selbst noch so einfältigster Freuden.
       
       Wilfried Petzi, „OBI oder das Streben nach Glück“: bis 6. August,
       Kunstverein Wolfsburg
       
       5 Jul 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.kunstverein-wolfsburg.de/aktuell/
   DIR [2] http://www.buback.de/fsk.php
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Maria Brosowsky
       
       ## TAGS
       
   DIR Fotografie
   DIR Alltag
   DIR Kunstverein Wolfsburg
   DIR Essen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Alltagsforscher übers Abendbrot: „Der ganze Tag kommt auf den Tisch“
       
       Das Abendbrot kennt keine Hierarchien. Es ist die demokratische Mahlzeit
       schlechthin, finden zwei Alltagsforscher.
       
   DIR Ausstellung mit Mord und Totschlag: Der Tatort hinter der Fassade
       
       Geheimnisvolle Tode, auf verrätselten Fotos in Szene gesetzt und
       tatsächlich mit Fäden dargestellte Verstrickungen: Der Kunstverein
       Wolfsburg widmet sich dem Krimi.
       
   DIR F.S.K.-Bassistin Melián: Wenn die Ohren Augen machen
       
       Michaela Melián macht Musik und Kunst-Installationen. Auf ihrem zweiten
       Album geht es um LA - die düster-glamouröse Stadt deutsch-jüdischer
       Exilanten.