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       # taz.de -- Bundeswehr an Schulen: Der Leutnant als Lehrer
       
       > Jugendoffiziere gestalten Unterricht an Leipziger Schulen mit. Ein
       > schmaler Grat zwischen Pädagogik und Werbung für den Dienst an der Waffe.
       
   IMG Bild: Planspiel: Jugendoffizier Tino Möhring arbeitet mit Schüer*innen
       
       LEIPZIG taz | Es ist ein normaler Schultag für die 10a der
       Lene-Voigt-Schule in Leipzig. Die Oberschüler*innen trudeln schwatzend ins
       Klassenzimmer ein und bemerken den fremden Mann in Uniform noch nicht. Nach
       der Begrüßung durch Lehrerin Annett Klimmek ergreift der Kapitänleutnant
       das Wort: „Wer weiß denn, was ein Jugendoffizier ist?“ Die Klasse bleibt
       still, keiner meldet sich.
       
       Tino Möhring ist einer von deutschlandweit 94 Jugendoffizieren der
       Bundeswehr. Er ist Anfang 30 und trägt auch vor der Schulklasse eine
       Marine-Uniform. Mit weißem Hemd, goldenen Knöpfen und dunkelblauem Jackett
       erinnert er mehr an einen Piloten als an einen Soldaten.
       
       Als Jugendoffizier spricht Tino Möhring in Schulen über verteidigungs- und
       sicherheitspolitische Themen. In Leipzig ist er einer von zweien, die
       dieser Aufgabe nachgehen. Gemeinsam mit seinem Kollegen teilt er sich ein
       Büro auf dem weitläufigen Gelände der General-Olbricht-Kaserne im Leipziger
       Norden. Von hier aus fahren sie zu ihren Einsätzen in der Messestadt, bis
       in die Landkreise Nord- und Mittelsachsen.
       
       So waren sie im vergangenen Jahr 185 Mal an Schulen in Leipzig und
       Umgebung, am häufigsten in den zehnten Klassen der Oberschulen und den
       elften der Gymnasien. „Viele Schüler haben dabei zum ersten Mal Kontakt mit
       uns“, sagt Möhring.
       
       ## Auslandseinsätze und Rennrad fahren
       
       Nach dem Abitur absolvierte der Jugendoffizier eine Marineausbildung,
       außerdem ein Pädagogikstudium an der Bundeswehr-Universität in München und
       später einen Auslandseinsatz im Libanon. Möhring ist eloquent, rhetorisch
       sicher und duzt die Schüler*innen. Heute spricht er über Sicherheitspolitik
       im 21. Jahrhundert. In einer Präsentation, die er an die Wand projiziert,
       sind auch persönliche Bilder von ihm zu sehen, etwa wie er in seiner
       Freizeit Rennrad fährt.
       
       Während seines Vortrags schlägt er einen Bogen vom aktuellen Weltgeschehen
       zum Auftrag der Bundeswehr. Besonders interessieren die Schüler*innen aber
       persönliche Erfahrungen, etwa wie er mit Heimweh umgeht. Tino Möhring kann
       diese Fragen aus erster Hand beantworten.
       
       In acht von sechzehn Bundesländern ist diese Art der Unterrichtsergänzung
       politisch gewollt und geregelt. Auch in Sachsen gibt es seit Ende 2010 eine
       Kooperationsvereinbarung zwischen dem Kultusministerium und der Bundeswehr.
       Eines der offiziellen Ziele lautet, den Schüler*innen Informationen über
       internationale Konflikte oder Friedenssicherung zu vermitteln. Weiter heißt
       es ausdrücklich, dass die Offiziere nicht für eine Laufbahn bei der
       Bundeswehr werben dürfen.
       
       ## „Platt gesagt: Öffentlichkeitsarbeit“
       
       Torsten Schleip sieht hier trotzdem eine Gefahr der Werbung. Der 50-Jährige
       ist Mathematik- und Physiklehrer sowie Friedensaktivist. Mit der Deutschen
       Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsgegnerInnen (DFG-VK) trifft er sich
       wöchentlich in einer Wohnung im linksalternativen Stadtteil Connewitz. In
       dem kleinen Raum hängen politische Poster an den Wänden, „Militarisierung
       stoppen“ steht darauf. Es ist warm und in der Luft steht Zigarettenqualm.
       Bei Bier und Rotwein diskutieren er und die anderen sechs Mitglieder und
       planen Aktionen.
       
       Für Schleip ist allein die Präsenz der Jugendoffiziere im Unterricht eine
       Art der Werbung. Er kennt die Unterschiede zwischen Jugendoffizieren und
       Karriereberatern: Letztere geben auf schulinternen Berufsmessen oder im
       eigenen Karrierebüro Auskunft über mögliche Laufbahnen bei der Bundeswehr –
       ob im zivilen oder militärischen Bereich. In Schleips Augen dienen
       Jugendoffiziere und Karriereberater aber demselben Zweck: „Die Bundeswehr
       kann ungehindert in die Schulen, und das natürlich mit dem Ziel, Leute
       anzuwerben.“
       
       Tino Möhring weist das von sich, eine Sache gibt er aber zu: „Das, was wir
       als Jugendoffiziere machen, ist – platt gesagt – Öffentlichkeitsarbeit.“
       Und die scheint zu wirken. Bei einigen Schüler*innen der Lene-Voigt-Schule
       hat sich ein positives Bild manifestiert: Die Bundeswehr steht für mehr als
       den Kampfeinsatz. Die sozialen Aufgaben beeindrucken die
       Zehntklässler*innen und für manch eine*n könnte die Bundeswehr ein
       attraktiver Arbeitgeber sein.
       
       Lene Hoche ist eine der potenziellen Bewerber*innen. Die 16-Jährige möchte
       mal zur Bundeswehr oder zur Polizei, hat für ihre Pläne bisher aber nicht
       viel Zuspruch erhalten: „Mama fand’s nicht so klasse. Sie hatte wohl auch
       das Bild der Gewalt vor Augen, aber die helfen ja auch Menschen in Not.“
       Auch Max Müller ist begeistert von Tino Möhrings Vortrag: „Es war
       erfrischend, jemanden dazuhaben, der weiß, wie’s abgeht.“ Für ihn ist die
       Laufbahn bei der Bundeswehr ein Plan B.
       
       ## Mehr Nachwuchs dank PR-Kampagne
       
       Die Bundeswehr braucht dringend Nachwuchs. Seit Aussetzung der Wehrpflicht
       2011 kann sie keine Soldat*innen mehr aus dem Wehrdienst rekrutieren – es
       herrscht Personalmangel. Im vergangenen Jahr rief
       Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die „Trendwende
       Personal“ aus. Nach einem historischen Tiefstand von 176.015 Soldat*innen
       soll die Armee bis 2024 auf 198.000 wachsen.
       
       Eine offensive PR-Kampagne im Netz soll neue Bewerber*innen anlocken. Auf
       Facebook betreibt die Bundeswehr eine eigene Karriereseite und ist auch auf
       Twitter, Snapchat und Instagram präsent. Besonders die YouTube-Serie „Die
       Rekruten“ kommt gut an, das merkt auch Tino Möhring bei seinen Vorträgen.
       Friedensorganisationen kritisieren, dass sich die Bundeswehr analog und
       digital bei jungen Leuten anbiedert.
       
       Ein weiterer Kritikpunkt dabei ist die Rekrutierung Minderjähriger, die
       auch Tino Möhring in seinen Vorträgen an Schulen anspricht. Noch nie gab es
       so viele Rekruten unter 18 Jahren wie heute – zum Stichtag am 1. November
       2016 waren es 1.576. Die Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes sieht
       darin eine Verletzung des Grundprinzips der UN-Kinderrechtskonvention.
       
       Gregor Gebauer vom Stadtelternrat findet das nicht problematisch. „Die
       Bundeswehr ist nicht prinzipiell schlecht oder böse, sondern für ein
       demokratisches Land wie Deutschland notwendig und darf deshalb auch
       werben.“ Trotzdem wünscht sich der zweifache Vater mehr Realismus in der
       Werbung. Die Bundeswehr sei kein normaler Arbeitgeber, wenn es im
       Kampfeinsatz ums eigene Leben geht. Der Stadtelternrat schreibt in einer
       Stellungnahme, dass die Werbekampagnen problematisch seien, weil sie mit
       idealisierten, unrealistischen Klischees vom Abenteuerspielplatz oder der
       gut bezahlten Lehrstelle Bundeswehr junge Menschen ansprächen.
       
       Diese Werbekampagnen sind die eine Seite der Öffentlichkeitsarbeit. Die
       andere Seite decken die Jugendoffiziere mit ihrer Arbeit ab. „Politische
       Bildung“ nennt sie Roman Schulz, Pressesprecher der Sächsischen
       Bildungsagentur Leipzig. Die Jugendoffiziere hätten damit einen Teil der
       Demokratieerziehung in Schulen übernommen. Der Gemeinschaftskundelehrerin
       der Klasse, Annett Klimmek, ist das nur recht. Sie empfindet Tino Möhrings
       Vortrag als „positiven Beitrag“ zu ihrem Unterricht.
       
       ## Es braucht die Gegenseite
       
       Cornelia Falken, Landtagsabgeordnete der Linken und Vertreterin der
       Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), hingegen sieht hier einen
       Grundsatz verletzt – nämlich, dass schulisches Lernen ausgewogen sein muss.
       „Die Kooperationsvereinbarung in Sachsen hat die Möglichkeiten der
       Jugendoffiziere erweitert“, kritisiert sie. Die Bundeswehr habe hier
       einseitige Möglichkeiten. „Wenn geschulte Personen, die sehr attraktiv
       sind, die Bundeswehr darstellen, ist das eine Form von Werbung“, sagt auch
       Falken. Die Gegenseite kommt im Unterricht nicht zu Wort.
       Friedensaktivisten wie Torsten Schleip könnten mit ihrer Sichtweise diesen
       Ausgleich schaffen. Doch das ist in der Kooperationsvereinbarung nicht
       festgeschrieben.
       
       Tino Möhring hält dem entgegen: „Die Bundeswehr zieht nicht durch die
       Schulen und sagt: ‚Hier, Leute, kommt, wir haben noch eine Flinte frei und
       wir brauchen euch als Soldaten.‘“ Auf kritische Nachfragen von
       Schüler*innen würde Möhring stets ehrlich antworten, sagt er.
       
       In der 10a der Lene-Voigt-Schule bleibt es eher ruhig. Die Schüler*innen
       arbeiten nur zögernd mit. Zum Abschluss der Unterrichtseinheit wirft der
       Jugendoffizier ein großes Bild von sich selbst an die Wand: Im Tarnanzug
       steht er lächelnd am Bug eines Schiffs. „Ich danke für eure
       Aufmerksamkeit“, sagt er und die Klasse applaudiert.
       
       Mitarbeit: Nils Jewko, Dayala Lang, Franziska Wülle
       
       9 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadja Bascheck
       
       ## TAGS
       
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