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       # taz.de -- Chancengerechtigkeit an Schulen: Lehrer glauben an Klischees
       
       > Lehrer trauen Kindern mit Migrationshintergrund weniger zu. Das hat
       > Auswirkungen auf deren Lernerfolge, so eine Studie der Humboldt-Uni.
       
   IMG Bild: Sagt definitiv nichts über die Intelligenz eines Kindes aus: das Kopftuch
       
       Lehrer haben liberalere Ansichten in Bezug auf Migration und Vielfalt als
       der Durchschnitt der Bevölkerung – gleichzeitig glauben knapp 40 Prozent,
       dass Muslime weniger Interesse an Bildung haben als Nichtmuslime. Das sagt
       zumindest eine dreiteilige Studie „Vielfalt im Klassenzimmer“, die Daten
       aus dem Bund, aus Berlin und Nordrhein-Westfalen ausgewertet hat. Das
       Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung an
       der Humboldt-Universität stellte die Ergebnisse am Donnerstag vor.
       
       Das Klischee der vermeintlich bildungsunwilligen Muslime hat zudem sehr
       konkrete Folgen: Den Wissenschaftlern zufolge trauen Lehrkräfte
       türkeistämmigen Kindern weniger zu als Kindern ohne Migrationshintergrund,
       und zwar selbst dann, wenn sich die Leistungen der beiden Gruppen gar nicht
       unterscheiden.
       
       Das hat, kaum überraschend, auch Auswirkungen auf den Lernerfolg der
       Kinder. Denn wenn Lehrer ihre Schüler überschätzen, sind die am Ende des
       ersten Grundschuljahres tatsächlich besser in Mathe und können besser
       lesen. Zwar seien diese Effekte relativ klein, schränkten die
       Wissenschaftler ein.
       
       Trotzdem sei es wichtig, sich bewusst zu machen „dass Stereotype unser
       Denken und Handeln beeinflussen können, selbst wenn wir diese Vorannahmen
       nicht glauben“, sagte Petra Stanat, Erziehungswissenschaftlerin an der HU
       und eine der StudienleiterInnen. Im Klartext: Lehrer handeln im
       Klassenzimmer oft weniger gerecht, als sie von sich selbst glauben mögen.
       
       Tatsächlich wurden die türkeistämmigen Kinder seltener aufgerufen, und der
       Lehrer widmete ihnen in der Stunde insgesamt weniger Aufmerksamkeit als den
       Kindern ohne Migrationshintergrund, hatten die Wissenschaftler per
       Videoaufnahmen in Klassenzimmern analysiert.
       
       ## Lehrer denken liberaler
       
       Die Wissenschaftler hatten außerdem in einer bundesweiten Umfrage nach
       Kriterien des „Deutschseins“ gefragt. Für Lehrer spielten dabei zum
       Beispiel die Herkunft und die Muttersprache weniger stark eine Rolle als
       für den Durchschnittsbürger. Das heiß diskutierte Kopftuch an Schulen
       bewerteten aber sowohl Lehrer als auch Nichtlehrer gleichermaßen kritisch:
       für 35 Prozent der Lehrer ist es ein Ausdruck von Fremdsein, im
       Bevölkerungsschnitt sind es 38 Prozent.
       
       Immerhin, man kann etwas für Chancengerechtigkeit tun, sagen Experten. Bei
       einem Experiment an elf Berliner Sekundarschulen bekamen Schüler mit und
       ohne Migrationshintergrund eine Schreibaufgabe. Sie sollten sich überlegen,
       was sie können, und darüber einen Aufsatz schreiben. Tatsächlich verhalf
       die Übung den Kindern mit Migrationshintergrund zu besseren Leistungen in
       Mathetests: Die Kinder türkischer oder arabischer Herkunft, die sich zuvor
       keine Gedanken über ihre eigenen Stärken gemacht hatten, bekamen weniger
       Punkte in Mathe.
       
       Natürlich löse diese kleine Übung in Selbstbestätigung kein grundsätzliches
       Problem, sagen die Forscher. Entscheidend sei, die Lehrer besser für den
       Umgang mit den eigenen Stereotypen im Kopf zu sensibilisieren.
       
       Wie schwer es ist, das System Schule ein bisschen gerechter zu gestalten,
       hatte kürzlich auch die Berlin-Studie im Auftrag der
       Senatsbildungsverwaltung gezeigt. Demnach hat die Zusammenlegung der
       Haupt-, Real- und Gesamtschulen zur Integrierten Sekundarschule vor sieben
       Jahren nichts daran ändern können, dass Kinder mit Migrationshintergrund
       weniger oft den Sprung aufs Gymnasium schaffen und auch in Tests schlechter
       abschneiden.
       
       6 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Klöpper
       
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