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       # taz.de -- Debatte CDU-Familienpolitik: Adenauer lässt grüßen
       
       > Die Union kann Familienpolitik? Weit gefehlt. Ihre Rezepte stammen aus
       > den Fünfzigern und begünstigen Kinderarmut, wie Studien zeigen.
       
   IMG Bild: In der Union dürfen Frauen sogar zwei Jobs nachgehen: Hausfrau und Mutter
       
       Die CDU, das war mal die „Familienpartei“. Das ist lange her. Damals meinte
       man, das Ehegattensplitting fördere die Keimzelle des Staates. Vati, Mutti,
       Kinderschar. Adenauers Familienminister Franz-Josef Würmeling fand, die
       Mutter daheim müsse für ein geregeltes Familienleben sorgen: „So ist die
       Mutter daheim, zumal der Vater weithin nicht daheim ist, heute noch
       vielfach wichtiger als früher. Eine Mutter daheim ersetzt vielfach Autos,
       Musiktruhen und Auslandsreisen, die doch allzu oft mit ihrer Kinder
       gestohlenen Zeit bezahlt wurden.“
       
       Um sich dieses Modell leisten zu können, brauchten die Familien natürlich
       Ersatz für das fehlende Einkommen der Mutter. Also gab es eine Menge
       Familienvergünstigungen: Ehegattensplitting, Kindergeld, Steuerfreibeträge
       – und den von Würmeling erfundenen „Karnickelpass“, mit dem kinderreiche
       Familien günstig Bahn fahren konnten.
       
       Die Nachteile dieses Modells liegen auf der Hand. Die Väter müssen einen
       Familienlohn nach Hause bringen und fallen als Bezugsperson für die Kinder
       weitgehend aus. Die Mütter werden auf einen einzigen „Beruf“ festgenagelt –
       und der ist unbezahlt. Sie haben keine eigene Existenzsicherung und sind
       bis ins Alter von ihrem Ehemann abhängig.
       
       Dass dieses Modell auch finanziell oft nicht funktioniert, zeigen
       [1][Untersuchungen zur Kinderarmut]. Deren Hauptgrund wird übereinstimmend
       darin gesehen, dass Mütter zu wenig Zeit für eine bezahlte Arbeit haben.
       
       ## Freiheit für Frauen muss lebbar werden
       
       Die CDU nun, die immer betont, dass Kinder Mutter und Vater bräuchten (ein
       Grund für ihre Ablehnung der Ehe für alle), sollte eigentlich ein Interesse
       daran haben, dass Väter ihre Rolle auch ausfüllen können. Und da die Partei
       auch von Freiheit als Grundprinzip der Demokratie viel hält, müsste sie
       ebenfalls daran interessiert sein, diese Freiheit auch für Frauen lebbar
       zu machen.
       
       Familienpolitik müsste dann also vor allem Zeitpolitik heißen. Zeit für
       Väter, an der Familie teilzuhaben, Zeit für Mütter, sich beruflich zu
       entwickeln. Dass die Grundlage dafür der weitere Ausbau der Kinderbetreuung
       ist, darf mittlerweile als Selbstverständlichkeit gelten, die in keinem
       Wahlprogramm fehlt. Kurz soll daran erinnert werden, dass auch diese nur
       beschlossen werden konnte, nachdem man der CSU dafür die Einführung eines
       „Betreuungsgelds“ versprochen hatte.
       
       Aber Kinder sind auch nach der Kita noch da und brauchen Zeit. Die
       „Familienarbeitszeit“, die befristete Teilzeit für Männer und Frauen
       parallel finanziert, wenn Kinder oder alte Eltern es brauchen, wäre ein
       Vorhaben, das hier Erleichterung schafft. Flankiert werden müsste das von
       Maßnahmen, die die Nachteile von Frauen auf dem Arbeitsmarkt angehen, eben
       damit sie ein gutes Einkommen nach Hause bringen können: Minijobs
       abschaffen, Lohngleichheit herstellen, Quoten für Führungsjobs, Aufwertung
       typischer Frauenberufe.
       
       Schaut man vor diesem Hintergrund ins Wahlprogramm der Union, findet man
       dort einen weitgehenden Ausfall, der mühsam kaschiert werden soll. Ein
       einziges zeitpolitisches Vorhaben – das übrigens die SPD eingebracht hat –
       hat überlebt: ein Recht darauf, seinen Teilzeitjob zu befristen, anstatt in
       der Teilzeitfalle stecken zu bleiben. Allerdings möchte die Union dies nur
       für Großbetriebe – die meisten Frauen arbeiten aber in Kleinbetrieben.
       
       ## Alimentierungspolitik für Mittelschichtsfamilien
       
       Der Rest ist Alimentierungspolitik für Mittelschichtsfamilien, wie in den
       Fünfzigern: mehr Kindergeld (reicht für einmal Babysitten im Monat),
       Baukindergeld und ein Freibetrag in der Grundsteuer (für Menschen, die so
       viel Geld haben, dass sie ein Eigenheim in Betracht ziehen) und – ganz der
       Würmeling – Vorfahrt für Familien an Flughäfen und anderen öffentlichen
       Einrichtungen. Falsch ist das alles nicht, aber wichtiger ist, was fehlt.
       
       Zum Beispiel Politik für die Ärmeren. Viele Alleinerziehende sind
       gezwungen, von Hartz IV zu leben. Sie haben von einer Kindergelderhöhung
       nichts, von Baukindergeld oder Freibeträgen können sie nur träumen.
       
       Außerdem werden die zwei größten Faktoren, die dazu führen, dass Frauen
       nicht oder wenig berufstätig sind, im CDU-Wahlprogramm noch nicht einmal
       erwähnt: das Ehegattensplitting und die Familienversicherung in der
       Krankenkasse. Beide sorgen dafür, dass es sich für Frauen lohnt, in einem
       Minijob stecken zu bleiben, weil ja sonst die vollen Versicherungsbeiträge
       und die Steuerklasse V drohen, die für ein geringes Netto sorgen.
       „Fehlanreize“ nennen die ExpertInnen so etwas. An denen will die Union
       offenbar nichts ändern.
       
       Bei der CDU bleibt der Arbeitsmarkt für Frauen weitgehend so ungerecht, wie
       er nun mal ist. Was Generalsekretär Peter Tauber in seinem idiotischen
       Tweet auch noch zugegeben hat: Minijobs sind „nichts Ordentliches“. Die
       vielen in Minijobs beschäftigten Frauen würden das sicher bestätigen – aber
       warum schafft die CDU sie dann nicht ab, wie es ExpertInnen schon seit
       Jahrzehnten fordern?
       
       ## Stillstand, garniert mit etwas Geld
       
       Wären sie sozialversicherungspflichtig wie alle anderen Jobs, dann wären
       sie keine Falle mehr, aus der viele Frauen nach der Kinderpause nicht mehr
       herauskommen. Muss man noch erwähnen, dass sich keinerlei
       Fortentwicklungen bei Eltern- oder Familienzeit, Quote, Aufwertung,
       Lohngleichheit in dem Programm finden?
       
       Damit das nicht so auffällt, greift die Union zu einem Trick. Sie schmückt
       sich einfach mit den Leistungen der Vergangenheit – und vor allem denen der
       SPD. Die Sozialdemokraten haben der Union in den letzten Jahren gegen
       erbitterten Widerstand einiges abgetrotzt: die Quote, das
       Transparenzgesetz, die kommende Befristung der Teilzeit, das Elterngeld
       Plus – alles SPD-Initiativen.
       
       Im Unions-Wahlprogramm liest sich das nun so: „Seit 2013 haben wir das
       Elterngeld Plus eingeführt“ oder „Unter unserer Regierungsverantwortung
       wurden seit 2013 die sogenannte Frauenquote für Frauen in
       Führungspositionen in der Wirtschaft, das Entgelttransparenz-Gesetz und die
       Novellierung des Mutterschutzgesetzes verabschiedet“.
       
       Stillstand, garniert mit etwas Geld und vertuscht durch etwas, das man als
       dreiste WählerInnentäuschung bezeichnen muss: Eine „Familienpartei“ sieht
       heute anders aus.
       
       10 Jul 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://www.bmfsfj.de/blob/100792/20d27c7bf88a9fd745cfe05b7c58065c/kinderarmut-dossier-data.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heide Oestreich
       
       ## TAGS
       
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