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       # taz.de -- Kommentar EU-Flüchtlingspolitik: Solidarität ist machbar
       
       > Die Quote ist gescheitert. Europa braucht einen Rettungsfonds für
       > Flüchtlinge – und legale Einwanderungsmöglichkeiten.
       
   IMG Bild: Gen Italien – und dann?
       
       Sie haben nichts dazugelernt. Zwei Jahre nach der großen Flüchtlingskrise
       2015, die eigentlich eine Krise der europäischen Solidarität war, haben
       die EU-Politiker schon wieder versagt.
       
       Italien hatte um Hilfe gerufen, weil es mit den Bootsflüchtlingen aus
       Libyen nicht mehr allein fertigwird. Doch statt ihre Häfen für die
       Boatpeople zu öffnen, setzen die EU-Länder auf weitere Abschottung. Künftig
       soll die Seegrenze zu Libyen noch stärker überwacht werden;
       Hilfsorganisationen werden an die Leine gelegt. Zudem entsteht eine zweite
       unsichtbare Mauer in der Wüste – die EU will auch Südlibyen abriegeln.
       
       Damit wird die „Sicherung der Außengrenzen“ endgültig nach Afrika
       ausgelagert. Nachdem die EU zunächst die Türkei eingespannt hatte, um
       Flüchtlinge aus Syrien zu stoppen, sollen nun auch die Maghrebstaaten
       Türsteher spielen. Das Auslagern der Verantwortung kann jedoch bestenfalls
       Entlastung bringen, eine Lösung ist es nicht. Für Griechenland nicht, wo
       immer noch Zehntausende festsitzen. Und für Italien nicht, wo die Wut auf
       die EU wächst.
       
       Doch wie könnte eine solidarische Lösung aussehen? Was könnte die EU tun,
       um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen? Ein erster Schritt wäre,
       sich diese Fehler endlich offen einzugestehen.
       
       ## Man kann ein Willkommenskultur nicht erzwingen
       
       Es war ein Fehler, die Binnengrenzen abzuschaffen, ohne den EU-Ländern an
       den neuen Außengrenzen zu helfen. Ungarn, Griechenland und Italien standen
       allein im Regen – und reagierten entsprechend eigensinnig. Es war auch ein
       Fehler, die Asylverfahren allein den Südstaaten aufzubürden. Die dafür
       verantwortliche Dublin-Verordnung ist Teil des Problems, nicht Teil der
       Lösung. Dennoch will die EU zurück zu Dublin.
       
       Verkehrt war auch, auf eine Umverteilung der Flüchtlinge per Quote zu
       setzen. Die Quote funktioniert nicht und wird nie funktionieren. Menschen
       lassen sich nicht umverteilen wie Vieh. Ihre Flucht hat ein Ziel, das sich
       nicht bürokratisch vorschreiben lässt.
       
       Bis heute ist es in Brüssel tabu, über diese Fehler zu reden. Man setzt auf
       eine zentrale Verwaltung der Krise, die neuerdings sogar mit
       Vertragsverletzungsverfahren erzwungen werden soll. Doch auch das ist ein
       Irrweg. Denn man kann auf dem Rechtsweg keine Willkommenskultur
       herbeizaubern. Selbst empfindliche Strafen werden Polen, Ungarn und
       Tschechien nicht von ihrem Sonderweg abbringen und zu weltoffenen Ländern
       machen.
       
       ## Angela Merkel ist verantwortlich
       
       Was man allerdings sehr wohl tun kann und tun sollte, ist, Solidarität
       einzufordern. Wer keine Flüchtlinge aus Italien oder Griechenland oder
       anderswoher aufnehmen will, soll in anderer Form helfen oder zahlen.
       
       Wir haben einen Eurorettungsfonds, warum schaffen wir keinen
       Flüchtlingsrettungsfonds? Die EU-Länder haben für die autoritär regierte
       Türkei bezahlt. Warum sollten sie nicht für demokratische EU-Staaten in Not
       zahlen? Die EU sollte sich als Einwanderungsland betrachten. Deutschland
       und viele andere Länder brauchen ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem
       Vorbild, mit dem sie die Zuwanderung auch steuern können.
       
       In Kanada geschieht dies über jährlich festgelegte Kontingente. Warum
       sollte das nicht auch hier möglich sein? Wer die Festung Europa ausbaut,
       muss auch über legale Zugangswege nachdenken, wenn das Asylrecht nicht auf
       der Strecke bleiben soll. Kontingente sind eine mögliche Lösung.
       
       Für solche Alternativen braucht man allerdings politischen Willen. Doch der
       fehlt – in Brüssel wie in Berlin. Ausgerechnet die „Flüchtlingskanzlerin“
       steht auf der Bremse. Angela Merkel ist sogar maßgeblich verantwortlich für
       all die schmutzigen Deals, die die EU jetzt reihenweise schließt. Auch sie
       hat aus 2015 nichts gelernt – außer, dass sich „das“ nie wiederholen darf.
       Doch genau deshalb wiederholt es sich immer wieder. Gestern in
       Griechenland, heute in Italien. Und morgen?
       
       7 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
       ## TAGS
       
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