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       # taz.de -- Schulsenator Rabe zu Zentral-Prüfungen: „Wir dürfen beim Abitur nicht schummeln“
       
       > Als einziges Land lies Hamburg in diesem Jahr ein rein externes
       > Mathe-Abitur schreiben. Das Ergebnis sei „keine Katastrophe“, sagt
       > Schulsenator Ties Rabe (SPD). Bei Neuntklässler-Studien stehe die Stadt
       > sogar vorn
       
   IMG Bild: Lokale und globale Forderungen: Bildungsstreik am vergangenen Freitag in Hamburg
       
       Herr Rabe, habe Sie als Schüler mal gestreikt? 
       
       Ties Rabe: Nein, erst als Student.
       
       Beim G20-Gipfel streikten Schüler für selbstbestimmtes Lernen, gegen Druck.
       Verstehen Sie das? 
       
       Ich kenne Klagen über großen Druck eher aus südlichen Bundesländern.
       
       Bei uns gibt es keinen Druck? 
       
       Schule muss den Spagat hinbekommen zwischen dem Ziel der Entfaltung der
       Persönlichkeit und der Vorbereitung auf das Leben in einer
       Leistungsgesellschaft. Aus Schülern werden ja keine Eremiten, sie müssen in
       dieser Welt bestehen können. Diesen Spagat bekommen wir gut hin.
       
       In der ersten Mathe-Zentralprüfung hat jeder dritte Hamburger Abiturient
       gerade eine 5 oder 6 kassiert, obwohl sie in Zusatz-Stunden büffelten. Das
       ist kein Leistungsdruck? 
       
       Wir können uns in Hamburg kein Abitur light leisten und müssen die
       bundesweiten Anforderungen ernst nehmen. Und es stimmt: In Mathematik
       müssen wir besser werden. Aber 30 Prozent der Schüler haben in Mathe auch
       eine 1 oder 2 geschrieben. In Englisch haben wir einen Schnitt von 2,7 in
       Deutsch von 3,0, in Mathematik 3,47. Mathe muss besser werden. Aber
       Schleswig-Holstein hat in Mathe auch 3,4. Hamburgs Ergebnis ist keine
       Katastrophe. Wenn ich die drei Kernfächer summiere, hat Hamburg genauso
       abgeschnitten wie Schleswig-Holstein.
       
       Kein anderes Land nahm gleich alle Aufgaben aus dem Zentral-Pool. Waren Sie
       zu ehrgeizig? 
       
       Seit meiner Schulzeit spricht man schlecht über das Hamburger Abitur. Schon
       damals hieß es, hier bekommt man es nachgeworfen. Das ist gefährlich für
       Hamburgs Schüler, etwa wenn sie sich bei Firmen bewerben. Deshalb dürfen
       wir beim Abitur nicht schummeln.
       
       Seit Sie Senator sind, wuchs die Zahl der Abiturienten von 7.000 auf
       10.000. Hat es Sie überrascht? 
       
       Nein. Das ist eine bundesweite Entwicklung, die besonders in Großstädten ab
       dem Jahr 2000 begann. Eltern und Schüler wünschen das. Und die heutige
       Berufswelt bietet Haupt- und Realschülern weniger Chancen als in den
       Achtzigern. Deshalb ermöglichen wir, dass jetzt alle Schulen das Abitur
       anbieten und Bildungswege nicht mehr in eine Sackgasse führen wie die
       früheren Haupt- oder Realschulen.
       
       Die SPD versprach 2011, dass jeder Jugendliche, der kein Abitur macht, eine
       Ausbildung erhält. Das klappt nicht. 
       
       Wir haben eine Reihe von Reformen auf den Weg gebracht. Der Erfolg: Vor
       sechs Jahren gingen 25 Prozent von der Schule direkt in Ausbildung, ein
       Jahr später hatten 40 Prozent einen Ausbildungsplatz. Heute sind es 35
       Prozent direkt nach der Schule und 66 Prozent ein Jahr danach. Trotzdem
       bleibt etwas zu tun. Unser Problem ist, dass junge Menschen nach der Schule
       nicht innerlich vorbereitet sind für diesen Sprung. Im Handwerk und anderen
       Berufsfeldern bleiben Plätze unbesetzt.
       
       Die Nachbarländer gehen jetzt zurück zum neunjährigen Abitur. Und Hamburg? 
       
       Wir hatten diese Diskussion und sie ist entschieden. Eine Volksinitiative
       ist gescheitert. Drei Viertel der Gymnasien waren dagegen.
       
       Ein Zankapfel ist die Gymnasialempfehlung schon in Klasse 4. Was halten Sie
       von der Online-Petition, sie abzuschaffen. 
       
       Nichts. Die Empfehlung ist sinnvoll. Sie zwingt die Eltern zu gar nichts.
       Aber sie gibt ihnen einen guten Rat. Schafft man sie ab, werden sich noch
       mehr Kinder am Gymnasium anmelden und noch mehr werden scheitern.
       
       Stadtteilschulen stemmen allein die Inklusion. Nun sammelte die
       Volksinitiative „Gute Inklusion“ für bessere Ausstattung 26.000
       Unterschriften. Verhandeln Sie? 
       
       Ob es Verhandlungen gibt, kann ich nicht sagen. Gespräche gibt es mit
       Sicherheit, die gibt es mit jeder Initiative. Was oft vergessen wird: Gute
       Inklusion ist nicht nur eine Frage der Ressourcen, sondern eine Frage guter
       Schulorganisation und guter Pädagogik. Hier ist noch viel zu tun.
       
       Die Initiative fordert pro Inklusionskind drei Lehrerwochenstunden, so wie
       es mal in der Planung stand. Sehen Sie Einigungspotential? 
       
       Man kann sich immer einigen, wenn beide Seiten sich bewegen. Wenn es um
       Stellen geht, will ich aber auch deutlich sagen: Es gibt keine Regierung in
       den letzten 30 Jahren, die so viel zusätzliches Personal einstellte wie wir
       seit Beginn meiner Amtszeit. Wir haben heute 2.400 mehr Lehrer und Erzieher
       an den Schulen. 950 wären aber nur nötig gewesen, um steigende
       Schülerzahlen abzufangen. Über 1.400 sind dazu gekommen, nur um die
       Qualität zu verbessern. Ich finde es vor diesem Hintergrund schwierig, so
       zu tun, als ob in noch mehr Personal die Lösung liegt. Zumal Hamburg mit
       Anstand die beste Lehrer-Schüler-Relation hat. Wenn wir schon an der Spitze
       sind, haben wir eigentlich keinen Nachholbedarf.
       
       Aber es gibt Schüler, die herausfallen und ohne Abschluss die Schule
       verlassen. 
       
       In der Tat. Da müssen wir noch besser werden. Deren Zahl ist zwar von
       ehemals zehn Prozent auf sechs Prozent gesunken und stagniert. Wir müssen
       berücksichtigen, dass über 6 Prozent aller Schüler sonderpädagogischen
       Förderbedarf haben. Und wir dürfen nicht vergessen, dass die Hälfte der
       Schulabbrecher in den drei Jahren nach der Schule noch ihren Schulabschluss
       schafft, sodass letztlich nur noch drei Prozent keinen Schulabschluss
       haben. Doch die weitere Verringerung wird eher schwierig.
       
       Warum? 
       
       Weil wir künftig mit vielen Flüchtlingen zu tun haben, die meist in ihrer
       Heimat kaum zur Schule gingen und kaum alles nachholen können. Deswegen
       haben wir festgelegt: Wer als Flüchtling keinen Schulabschluss geschafft
       hat, der geht auf jeden Fall weiter zur Berufsschule. Bisher war dieses
       Recht nur jenen vorbehalten, die beim Verlassen der Schule noch nicht 18
       Jahre alt waren.
       
       Sie sind sechs Jahre im Amt. Was haben Sie noch vor? 
       
       Zunächst mal haben wir viel erreicht. Hamburgs Neuntklässler lagen bei der
       jüngsten Ländervergleichsstudie in Deutsch und Englisch auf Platz drei der
       westdeutschen Bundesländer, das ist beachtlich. Vor uns liegen nur noch
       Schleswig-Holstein und Bayern. Wenn wir die ostdeutschen Länder mit
       einbeziehen sind wir auf Platz 5, die anderen beiden Stadtstaaten Berlin
       und Bremen sind auf Platz 15 und 16.Wir haben flächendeckend
       Ganztagsschulen geschaffen und Milliarden in den Schulbau investiert. Und
       wir haben in kurzer Zeit 10.000 Kinder mit Fluchthintergrund in den Schulen
       aufgenommen – das ist keine kleine Leistung.
       
       Und was haben Sie noch vor? 
       
       Wir wollen uns nicht ausruhen: Die Leistung muss noch besser werden, gerade
       in Mathematik, aber auch in der Rechtschreibung. Wir wollen die Zahl der
       Schulabbrecher weiter senken und erreichen, dass mehr Schüler nach der
       Schule direkt einen Ausbildungsplatz finden. Wir wollen die Stadtteilschule
       weiter stärken und die Inklusion stetig verbessern.
       
       10 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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