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       # taz.de -- Theater aus Afrika in Köln: Die Utopie zurückerobern
       
       > Sich mit der Macht anzulegen, gehört zur Geschichte afrikanischer
       > Künstler. Das ist beim Theaterfestival „Africologne“ nicht anders.
       
   IMG Bild: Das Tanzstück „Kalacuta Republic“ setzt Fela Kuti, Erfinder des Afro-Beats, ein kritisches Denkmal
       
       Man muss sich die Künstler-Kommune von Fela Kuti arbeitsam und gleichförmig
       vorstellen. Sieben Tänzer, nur durch Farbflecken im Gesicht unterscheiden
       sie sich, simulieren im funky treibenden Rhythmus Baubewegungen, beziehen
       sich aufeinander, arbeiten am gleichen Projekt. 30 Minuten lang dauert das
       Stück „Army Arrangement“ des legendären Erfinders des Afro-Beats Fela Kuti
       – geradezu kurz im Vergleich zur sonstigen Länge seiner Songs. Das
       Tanztheater „Kalakuta Republic“ des burkinischen Choreografen Serge Aimé
       Coulibaly setzt ihm beim 4. Africologne-Festival in Köln ein Denkmal.
       
       Was wäre wohl passiert, wenn Soldaten seine freie Gegenrepublik „Kalakuta
       Republic“, die mitten in der nigerianischen Militärdiktatur sieben Jahre
       bestand, nicht niedergebrannt hätten? Fela Kuti feierte da zwar auch manche
       Drogen-Party oder seine eigene Hochzeit mit 27 Frauen, aber als Aktivist
       und „antikolonialistischer Panafrikaner“ störte er empfindlich die Abläufe
       des Regimes.
       
       Mit seinen Texten hat er das politische Denken in ganz Westafrika geprägt.
       Auf der Bühne sieht man, wie die Freiräume zunehmend in Privatwahn und
       Missbrauch kippen und ihre utopische Kraft verlieren. „Dekadenz kann
       Selbstzweck sein“, wird als Motto eingeblendet, während Männer
       Machtfantasien ins Mikro brüllen, Stühle fliegen und sich die Einheit in
       selbstverliebtes, aber auch mitreißendes Chaos auflöst.
       
       Auch rund 30 Jahre später haben in Westafrika Künstler in die Politik
       eingegriffen. Im kleinen westafrikanischen Land Burkina Faso waren zwei
       Musiker, Smokey und Sams’K 2014 maßgeblich am Sturz des korrupten und
       mörderischen Langzeit-Präsidenten Blaise Compaoré durch eine gewaltlos
       demonstrierende Zivilgesellschaft beteiligt. Seitdem haben dort
       demokratische Wahlen stattgefunden, wurde ein Militärputsch
       zurückgeschlagen, herrschen Meinungs- und Pressefreiheit.
       
       ## Ermutigung im Theater finden
       
       „Dass wir Blaise vertrieben haben, hat mir die Kraft gegeben, meine
       Geschichte auf der Bühne zu erzählen – vielleicht kann sie jetzt andere
       Frauen ermutigen“, erzählt die Schauspielerin Edoxi L. Gnoula nach der
       Uraufführung von „Legs“. In einem Setting aus Holzmöbeln spielt sie ihre
       Jugend als uneheliches Kind einer alleinerziehenden Mutter nach und
       verknüpft sie mit der burkinischen Geschichte, dem Mord an Thomas Sankara
       und dem Volksaufstand, erzählt von der Suche nach dem abwesenden Vater und
       dem Sinn, den sie schließlich im Theater fand.
       
       Männer erscheinen nur im Hintergrund, als Musiker, die ihre Emotionen
       grundieren oder als verschleierte Vater-Schatten vorbeihuschen. „Legs“ ist
       eine wütende und manchmal zu distanzlose Anklage der Verhältnisse – und
       doch ein selbstbewusster Einblick in das Leben einer modernen afrikanischen
       Frau zwischen Sinnsuche und ökonomischem Überlebenskampf.
       
       Dass der nach dem Volksaufstand noch schwieriger geworden sei, bestätigt
       auch Odile Sankara, Schauspielerin und jüngere Schwester des Nationalhelden
       und Exstaatschefs Thomas Sankara: „Die Ereignisse von 2014 haben sich in
       die kollektive Erinnerung eingeschrieben. Die Menschen in Burkina Faso
       wissen auf einmal, dass sie Politik selbst gestalten können“. Bitter nur,
       dass die junge burkinische Demokratie auch während der gerade zu Ende
       gegangenen G-20-Afrika-Konferenz kein Thema war.
       
       ## Politische Theorie wird Musik
       
       Explizit politisch sind fast alle der Produktionen des Festivals, das auf
       jede Afrika-Folklore verzichtet. Ein großer Fokus liegt auf postkolonialen
       afrikanischen Denkern wie Emile Césaire oder Achille Mbembe. Oder Sony
       Labou Tansi: Der burkinische Schauspieler Étienne Minoungou etwa kombiniert
       in „Wenn wir leben wollen“ dessen aufwühlenden Texte über den Zusammenhang
       von Kapitalismus, Demokratie und Konsum, die sich anhören, als seien sie
       aktuell geschrieben, der grandiose Musiker Simon Winsé spielt dazu.
       
       Beim Dialogforum „Fake Democracy“, das in das Festival eingebettet ist, hat
       man den senegalesische Ökonomen Felwine Sarre zu Gast, einer der
       meistdiskutierten Denker Afrikas. Während in Berlin gerade neue
       Investitionspartnerschaften beschlossen wurden, die Afrika zum neuen
       Billigproduktionsland machen könnten, fordert er ein Umdenken: „Wir
       brauchen in Afrika nicht das oligarchische Elitesystem, das Demokratie im
       Westen bedeutet – sondern wir müssen uns endlich auf vorkoloniale
       afrikanische demokratische Teilhabeprinzipien rückbesinnen“.
       
       20 Jun 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Marcus
       
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