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       # taz.de -- Hochschule für bildende Künstler in Hamburg feiert 250-Jähriges: Das freundliche Refugium
       
       > An der HfBK hat Otto Waalkes ebenso studiert wie Jonathan Meese, das
       > Beatles-Mitglied Stuart Sutcliffe und der RAF-Terrorist Holger Meins.
       
   IMG Bild: Macht sich so alt wie's geht: die HfBK in Hamburg
       
       HAMBURG taz | Ab und an tut es gut, sich der eigenen Existenz zu
       versichern. Menschen feiern Geburtstag, Institutionen verleihen Preise oder
       zelebrieren runde Jubiläen. Menschen machen sich gern jünger, Institutionen
       meist älter. Diese Woche feiert die Hochschule für bildende Künste (Hfbk)
       am Lerchenfeld in Hamburg mit prominenten Gästen und einer offiziellen
       Feierstunde im Rathaus ihr 250-jähriges Bestehen.
       
       Doch wie kann das sein? Die Hamburger Kunsthochschule ist älter als die
       1768 gegründete Royal Academy in London? Älter als die fürstlichen
       Akademien in Düsseldorf, Kassel und München? In einer Stadt, deren jährlich
       gefeierter Hafengeburtstag auf einem gefälschten Dokument beruht, keimen da
       leichte Zweifel auf.
       
       Hochschule im heutigen Sinne ist die Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld seit
       1955. Doch schon 1989 wurde mit Ausstellungen und Publikationen das 222.
       Jubiläum gefeiert. Worauf wurde da Bezug genommen? Im 18. Jahrhundert
       verbreiteten sich langsam die Ideen der Aufklärung. Überall in Europa
       wurden technische und künstlerische Schulen gegründet, meist auf Befehl der
       Landesherren: Kunstakademien entstanden 1725 in Wien, 1735 in Stockholm,
       1754 in Kopenhagen oder 1764 in Dresden, in Berlin schon 1696.
       
       Das Vorbild war stets die allererste Accademia, die von Cosimo de Medici
       1563 in Florenz gestiftet wurde, und auch die 1648 von Ludwig XIV.
       gegründete Académie royale in Paris. Auch die Bürgerstädte wollten am Geist
       der nicht zuletzt auch ökonomischen Vorteil versprechenden Verbesserung der
       Fertigkeiten und des Geschmacks teilhaben.
       
       So gründete 1767 die Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste
       und nützlichen Gewerbe, auch Patriotische Gesellschaft von 1765 genannt,
       die erste Gewerbeschule Deutschlands, zu der auch eine kleine Zeichenschule
       für angehende Handwerker gehörte – nicht mehr und nicht weniger.
       
       Dass das für den heutigen guten Ruf der HfbK nicht sonderlich von Bedeutung
       ist, dürfte klar sein. Das Renommee des Hauses bis nach Korea und China
       stützt sich aktuell vor allem auf die Bekanntheit der Dozenten und die
       großen Namen unter den ehemaligen Studenten und Lehrern. Dazu kommt eine
       gute internationale Vernetzung mit elf Instituten in Boston, Buenos Aires,
       Hangzhou, Jerusalem, London, Los Angeles, Osaka, Paris, San Francisco,
       Shanghai und Wien.
       
       ## Freiheit der 70er
       
       Die exzellente Berufungspolitik des ehemaligen Präsidenten Herbert von
       Buttlar hatte in der schon übertriebenen Formlosigkeit und Freiheit der
       70er-Jahre zugleich für bis heute wichtige Lehrer gesorgt: Sigmar Polke,
       Gotthard Graubner und der brasilianische Konstruktive Almir Mavignier in
       der Malerei, Max Bense, Christian Beutler und Bazon Brock in der Theorie.
       Der revolutionäre Stoff- und Interaktionskünstler Franz Erhard Walther
       kehrte mit neuesten Erfahrungen 1971 aus New York zurück und prägte
       zahlreiche Studenten bis 2005. Dieses Jahr hat er gerade den Goldenen Löwen
       als bester Künstler der Biennale in Venedig erhalten.
       
       Im angewandten Bereich kam 1981 von der Firma Braun der stilprägende
       Industrie-Designer Dieter Rams. Dazu gab es immer wieder wichtige
       Gastdozenten, darunter auch Joseph Beuys. Heute sind es Filmemacher wie Wim
       Wenders und Fatih Akin oder Künstler wie Werner Büttner, Thomas Demand,
       Michaela Melián, Matt Mullican, Andreas Slominski oder Anselm Reyle, die
       Strahlkraft verleihen.
       
       Auch die HfbK konnte und wollte sich den politischen Bewegungen und
       kulturellen Moden nicht entziehen. Im 1913 bezogenen Schulpalast von Fritz
       Schumacher ist das Treppenhaus mit Fenstern von Carl Otto Czeschka ein
       Beispiel für die Wirkung des Wiener Jugendstils, später kam der
       Expressionismus, dessen interessantestes Dokument heute der weitab in
       Jesteburg befindliche Kunsttempel des Dozentenpaares Jutta und Johann
       Bossard ist.
       
       Wie nicht nur im Keller gefundene Vorzeichnungen für Wandbilder zur
       Wehrmachtsverherrlichung zeigen, wurde die Schule ab 1933 im Sinne des
       Nationalsozialismus umgeformt. Max Sauerlandt, der Direktor des Hauses,
       wurde entlassen, die Lehrer Friedrich Adler und Hugo Meier-Thur später im
       KZ ermordet.
       
       Nach dem Wiederaufbau und der „Hochschulreife“ wurde bereits früh in den
       60er-Jahren die Londoner Pop-Art rezipiert, die großen Li-La-Le-Feste waren
       stadtweit bekannt. In den 70ern wurden harte marxistische Positionen
       bezogen, die sich in der Bürokratie der Hochschulgesetze und in mangelndem
       Bezug zur Praxis langsam totliefen. Um den Sinn der Malerei wurde immer
       wieder heftig gestritten – Tot-Erklärungen und Renaissancen in steter
       Abfolge.
       
       Wichtig waren auch die kreative Begleitung des neuen ökologischen
       Bewusstseins und selbstverständlich die neuen Medien. 2007 bis 2011 war der
       Kampf gegen Studiengebühren zentrales Thema. Er endete mit deren
       Abschaffung. Dafür wurde die HfbK vom derzeitigen Präsidenten Marin
       Köttering in den Pisa-Prozess gesteuert: Seit 2008 ist sie für ihre rund
       850 Studenten nach dem Muster von Bachelor- und Master-Studiengängen
       aufgebaut.
       
       ## Ökonomisches Überleben
       
       Bei aller Attraktivität der Kunst – es gibt im Jahr stets etwa 150
       Absolventen und gern das Zehnfache an Bewerbern – ist die Antwort auf eine
       Frage immer schwierig gewesen: Wie geht die Gesellschaft mit den Künstlern
       um und gibt es einen Bedarf, der das ökonomische Überleben sichern kann?
       Schon 1818 missbilligte die Schulaufsicht „den täglich zunehmenden Hang
       vieler Schüler der Zeichenklassen, sich den bildenden Künsten
       ausschließlich zu widmen und sich ihrer Handwerksbestimmung zu entziehen,
       welchen Zweck diese Schule doch eigentlich vor Augen hat“. Heute ist die
       Schätzung im Umlauf, dass etwa vier Prozent der Ausgebildeten als Künstler
       leben können.
       
       So wird in den vielen Vorträgen der Festwoche auch gefragt, ob die
       Kunsthochschulen nur ein freundliches Refugium seien und wie der Wert der
       Fertigkeiten zustande kommt, zu denen Akademien ausbilden. Immerhin
       studierten hier so bekannte Künstler wie Stephan Balkenhol, Hanne Darboven,
       Jonathan Meese, Daniel Richter oder Santiago Sierra. Und an der früheren
       Kunstgewerbeschule auch Lyonel Feininger. Interessant ist auch die Reihe
       von Persönlichkeiten, die einige Zeit an der HfbK studierten, aber für
       anderes bekannt sind: Otto Waalkes, Heino Jaeger und Vicco von Bülow
       (Loriot) als Meister komischer Unterhaltung; der früh gestorbene Stuart
       Sutcliffe als zeitweiliges Mitglied der Beatles und der Filmstudent Holger
       Meins als RAF-Terrorist.
       
       Es gibt eben sehr verschiedene Konsequenzen aus ästhetischer Arbeit. Möge
       der Kunst zwischen Freiraum und Verantwortung am Lerchenfeld eine weiter
       glorreiche Zukunft beschieden sein.
       
       12 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hajo Schiff
       
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