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       # taz.de -- Die Wahrheit: Das Stockholm-Küchen-Syndrom
       
       > Wohnen ist neuerdings eine Art Lebensaufgabe, für die diese Sache namens
       > Geschmack verlangt wird – zumindest beim Möbelkauf …
       
   IMG Bild: Bescheidener, sparsam-kauziger Bauernsohn? Ikea-Gründer Ingvar Kamprad
       
       Wer unvorsichtig einen Möbelladen betritt, muss damit rechnen, mit einem
       fremden Geschmack wieder herauszukommen. Außer bei Ikea, denn da ist das
       friendly fire namens Beratung Mangelware. Ein echter Vorteil. Andererseits
       bin ich zu alt, um mich von Stehlampen mit komischen Namen duzen zu lassen,
       deswegen kommt Ikea inzwischen nicht mehr in Frage.
       
       Ich habe vergessen, seit wann Wohnen zur Aufgabe wurde, aber seit ein paar
       Jahren ist das so. Ist das ein gesellschaftlicher Trend oder eine Frage des
       Lebensalters, dass man meint, nicht nur der Lebenspartner müsse zu einem
       passen, sondern auch die Möbel? Und wann entwickelt sich eigentlich der
       Geschmack?
       
       Meine beste Freundin in der Schule lebte in einem Jugendzimmer ganz in
       weißem Schleiflack. Als Clou (so sagte man damals) stand darin ein
       schneeweißer Sitzsack. Das wollte ich auch, das bekam ich aber nicht. Eine
       Schrankwand aus Karstadts Holzimitat musste reichen. Um meine Eltern zu
       bestrafen, schlief ich später in meinen Studentenbuden eine Weile auf
       Matratzen auf dem Fußboden, was sie allerdings nicht merklich beeindruckte.
       Meine sechs WG-Zimmer-Wechsel in dieser Zeit funktionierten da schon
       besser, da die liebenden Eltern jeden Umzug mit Kistenpacken und
       Kartoffelsalat begleiten mussten. Ich hatte viele Bücher und war eine
       teuflische Tochter.
       
       Emotional hänge ich offenbar immer noch an dieser Zeit der
       zusammengelaufenen Möbel und offenen Küchenregale. Ich mag das.
       Wahrscheinlich will ich mich bloß wieder jung fühlen. Aber mein Umfeld gibt
       mir zu verstehen, dass man so einen bescheuerten Tick nicht mit Geschmack
       verwechseln darf und es sei auch wirklich gar nicht praktisch, das ganze
       Geschirr vom Bratendunst einsauen zu lassen. Was die Wahrheit ist.
       
       So landete ich irgendwann doch dort, wo ich nie hinwollte: Im Küchenstudio.
       Mit „Nur mal gucken!“ startete ich und endete in
       Wennschondennschon-Stimmung: Ein Küchenblock sollte her (hat meine beste
       Freundin nämlich) und viel Granit (hat sie nicht, ha!). Nun, ich hätte
       beides haben können, allerdings erst nach umfangreichen Umbauarbeiten im
       Haus und auf meinem Bankkonto.
       
       Erwachsen werden heißt Verzicht lernen. Offenbar heißt es auch noch,
       selbstschließende Schubladen und Drei-Stufen-Dimmer in der
       Arbeitsplattenbeleuchtung als tollste Erfindung der Menschheit abzufeiern.
       Ich lerne es nie. Aber aus dem Küchenstudio darf man erst wieder heraus,
       wenn man unterschrieben hat. Erwachsen sein heißt, unterschreiben zu
       lernen, ohne zu schreien.
       
       Man tut befreundet mit dem Feind. Man glaubt sogar selbst daran, dass das
       Leben in einer neuen Küche noch einmal ganz anders … nee, doch nicht. Man
       will nur ganz schnell aus der Hölle der selbstauffaltenden Abzugshauben und
       der Topfkarusselle mit Musik wieder heraus. Die Umgestaltung der Wohnung
       wird zum weiteren unausweichlichen Naturereignis im Erwachsenenleben.
       
       Aber morgen kaufe ich mir bestimmt einen Sitzsack.
       
       12 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Fischer
       
       ## TAGS
       
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