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       # taz.de -- Biografie von Romani Rose: Die erste Demo in ihrer Geschichte
       
       > Der Ballast der NS-Diktatur wog noch schwer, als Romani Rose den Kampf um
       > Anerkennung der deutschen Sinti und Roma begann.
       
   IMG Bild: Romani Rose
       
       Romani Rose ist in Deutschland ein geachteter Mann. Der Zentralrat
       Deutscher Sinti und Roma, dessen Vorsitzender der 71-Jährige ist, ist die
       politische Vertretung der größten Minderheit des Landes, die hier seit 600
       Jahren ansässig ist.
       
       Roses eben erschienene Biografie belegt, dass es alles andere als normal
       ist, als Sinto in Deutschland ein geachteter Mann zu sein. Die Autorin
       Behar Heinemann, eine Romni aus dem Kosovo, die in den frühen 1990ern
       eingewandert ist, nimmt die Leserschaft mit auf eine 224-seitige Zeitreise
       in eine Bundesrepublik, in der es völlig unvorstellbar war, sich mit Stolz
       „Sinto“ oder „Rom“ zu nennen.
       
       Die Reise beginnt in Heidelberg, wo Romani Rose im August 1946 geboren
       wird. Vater Oscar hatte es in den 20er Jahren als Kinobetreiber zu
       Wohlstand gebracht – bis die Nazis an die Macht kamen und begannen, auch
       „Zigeuner“ zu drangsalieren.
       
       1943 wird die gesamte Familie in Konzentrationslager gesteckt – außer
       Oscar. Dem gelingt es nicht nur, sich der Verhaftung zu entziehen; er
       befreit auch in einer aberwitzigen Aktion seinen Bruder Vinzenz aus
       Auschwitz. Die Eltern und 13 weitere Angehörige überleben den „Porajmos“ –
       das „Verschlingen“, wie die Schoah auf Romanes genannt wird – dagegen
       nicht.
       
       Umso schlimmer trifft die Überlebenden nach 1945 das Verhalten des
       bundesdeutschen Justiz: Statt die NS-Schergen, die die Roses und all die
       anderen „Zigeuner“ ausgegrenzt, verfolgt, verhaftet und getötet hatten zu
       verurteilen, endeten alle Strafverfahren, die der von Vinzenz und Oscar ins
       Leben gerufene „Verband rassisch Verfolgter nichtjüdischen Glaubens“
       anstrengt, mit Freisprüchen. 1956 urteilte der Bundesgerichtshof gar, die
       Nazi-„Zigeunerpolitik“ sei aufgrund der hohen Kriminalität dieser
       Bevölkerungsgruppe begründet gewesen. Ein Anspruch auf Entschädigung
       bestünde folglich nicht.
       
       Von heute aus betrachtet scheint es nur logisch, dass Romani Rose dem
       entgegentreten musste. Damals jedoch, in einem vom ideologischen und
       kriminellen Ballast der NS-Diktatur bestimmten gesellschaftlichen Klima,
       rieten ihm viele, den Ball flach zu halten.
       
       Heinemanns Biografie beschreibt eindrücklich, wie der junge Heidelberger
       trotzdem zum wichtigsten Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und
       Roma in Deutschland wurde: Sie erzählt vom Einfluss des Vaters, in dessen
       politische Aktivität der Sohn hineinwächst. Von den Impulsen der
       US-Bürgerrechtsbewegung und der politischen Bewegungen 1968, die 1973 zur
       ersten Demo von Sinti und Roma in der deutschen Geschichte führen.
       
       Der Weg führt über den Hungerstreik im KZ Dachau 1980, die Gründung des
       Zentralrats zwei Jahre später bis hin zu Einweihung des Denkmals für die
       ermordeten Sinti und Roma in Berlin 2014 im Beisein der Spitzen des
       deutschen Staats.
       
       Angesichts des langen, schweren Weges, den die Sinti und Roma seit dem
       Porajmos bis dahin gehen mussten, wird verständlich, warum die Sprache von
       Autorin Heinemann allzu oft ins Pathetische rutscht. Ihr Buch ist ein
       bewegendes Bild der bewegten Geschichte der Minderheit und ihres Kampfes um
       Anerkennung, Gleichberechtigung und Achtung.
       
       25 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rüdiger Rossig
       
       ## TAGS
       
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