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       # taz.de -- Linke und G20-Proteste: Auf Distanz
       
       > Die Distanzierungsfrage ist ein Evergreen der linken Szene. Nach den
       > Krawallen von Hamburg nehmen dort viele Abstand von der Gewalt.
       
   IMG Bild: Ist das (noch) links?
       
       Vor zehn Jahren lagen die Fragen und Antworten noch weitaus dichter
       beieinander: Damals, am 2. Juni 2007, tobte am Hafen von Rostock der offene
       Straßenkampf zwischen Vermummten und der Polizei: Vorne, auf der großen
       Bühne, standen die Sprecher, die ihre Botschaften an Zehntausende
       friedliche Demonstranten richten wollten – gegen den G8-Gipfel in
       Heiligendamm, für eine bessere Welt.
       
       Hinten flogen Pflastersteine und brannten Feuer. Pfefferspray waberte.
       Wasserwerfer sprühten. In diesem Moment kam es darauf an: Würde man nun die
       Militanten zur Ruhe rufen? Oder die Polizei auffordern, sich
       zurückzuziehen?
       
       Meist geschah Letzteres. Hinter der Bühne, wo die Organisationsleitung der
       Demonstration in einem breiten Bündnis zusammensaß, diskutierten sie
       derweil heiß: Wie sollte man umgehen mit der Tatsache, dass in den ersten
       Reihen Familien mit Luftballons standen und hinten die militante Szene
       randalierte, vermeintlich für die gleiche Sache? Ein Satz, gesprochen von
       einer sich selbst als linksradikal verstehenden Frau, wurde damals
       legendär: „Ich distanziere mich von der Distanzierungsfrage.“
       
       Die Distanzierungsfrage ist – nach Gewaltexzessen wie jenem am Wochenende
       in Hamburg – immer wieder aktuell. Wenn man politische Netzwerke, Gruppen
       und Organisationen ernst nimmt – muss man ihnen nicht auch abverlangen
       können, klar Stellung zu beziehen?
       
       In Hamburg distanzierten sich zahlreiche Gruppen früh von den heftigen
       Krawallen und Plünderungen im Schanzenviertel am Freitag. Dazu gehörte etwa
       das globalisierungskritische Netzwerk Attac.
       
       ## Einerseits, andererseits
       
       Auch die Linkspartei, die zur offiziellen Abschluss-Pressekonferenz
       angeblich aus „organisatorischen Gründen“ keinen eigenen Vertreter entsandt
       hatte, äußerte sich am Montag: „Diese sinnentleerte Gewalt am Freitag hat
       mit Politik nichts zu tun“, sagte Jan van Aken, Bundestagsabgeordneter der
       Linkspartei. Er hatte am Samstag die zentrale Abschlussdemonstration
       angemeldet. Vom militanten Bündnis „Welcome to Hell“ wollte sich van Aken
       dagegen nicht distanzieren. Die Polizei habe dessen Demonstranten am
       Donnerstag provoziert und zerschlagen.
       
       Das „Welcome to Hell“-Bündnis selbst, ein Zusammenschluss radikaler und
       militanter Gruppen, sah die Proteste als Erfolg. Sein Fazit:
       „Zielgerichtete Militanz ist für uns eine Option und ein Mittel, um über
       eine rein symbolische Protestform hinauszukommen und direkt und wirksam in
       Ereignisse, Prozesse und Entwicklungen verändernd einzugreifen.“
       
       Allerdings sind die Krawalle, bei denen am Freitag Barrikaden errichtet und
       Geschäfte geplündert worden waren, auch innerhalb der autonomen Szene
       umstritten. In der Erklärung der Militanten heißt es, sie seien in dieser
       Hinsicht „nicht zu einer gemeinsamen Einschätzung gekommen“.
       
       Die Interventionistische Linke ist ein Bündnis von Gruppen, die sich als
       „postautonom“ verstehen und für zivilen Ungehorsam bekannt sind. Als ihre
       Sprecherin Emily Laquer zur Bewertung der Protesttage im Millerntorstadion
       des FC St. Pauli vor die Presse tritt, sagt sie: „Das, was wir am Freitag
       in Hamburg gesehen haben, sind nicht unsere Aktionen.“ Im Zweifel aber
       stehe ihr linksradikales Bündnis den Militanten näher als der Polizei.
       
       Laquer hielt es nicht für nötig, die entgrenzte Gewalt, die sich auch gegen
       Menschen richtete, klar zu verurteilen: „Ich lasse mich da auch nicht in
       eine Ecke drängen.“
       
       11 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Kaul
       
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