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       # taz.de -- Kommentar Ehe für alle: Was für ein herrlicher Tag!
       
       > Eine Bundestagsmehrheit beendet das wichtigste heterosexuelle Privileg –
       > und das nach einer großartig smarten Debatte.
       
   IMG Bild: Habemus Gleichstellung!
       
       Am Ende war nicht einmal Zeit für plenaren Jubel: So nüchtern wie beiläufig
       stand das Ergebnis der Abstimmung zur Ehe für alle an der elektronischen
       Anzeigetafel des Bundestages. [1][393 Abgeordnete stimmten der „Ehe für
       alle“ zu], 226 dagegen – und das heißt, dass, abgesehen von den
       rot-rot-grünen Abgeordneten eine erhebliche Zahl von Unionsleuten
       zugestimmt haben muss: geschätzt ein knappes Viertel. Das ist, alles in
       allem, ein historischer Tag in der deutschen Geschichte, und zwar nicht
       allein für homosexuelle Frauen und Männer – gern als „Betroffene“
       bezeichnet.
       
       Sondern, so sagte es kürzlich auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz,
       historisch im Sinne von Freiheit. Im Bundestag wurde am Freitag, 30. Juni,
       kurz nach 9 Uhr, beschlossen, dass das christlich fundierte Eherecht
       abgelöst wird durch ein Institut, das zwei Menschen schützt. In den Worten
       des CDU-Abgeordneten Jan-Marco Luczak, vergebens an die Mehrheit seiner
       Fraktion gerichtet: Die Ehe ist ein wertkonservatives Zeichen, denn sie
       schützt und nimmt zugleich zwei Menschen füreinander in Verantwortung.
       
       Dass die dreiviertelstündige Debatte im Bundestag nicht in jeder Hinsicht
       als respektvoll allen Auffassungen zur „Ehe für alle“ gegenüber begriffen
       werden wird, versteht sich von allein: Johannes Kahrs von der SPD griff die
       Kanzlerin rüde mit der Formulierung „Danke für nichts“ an: Schließlich
       waren sie und ihre Fraktion es, die jahrelang die parlamentarische
       Diskussion zur „Ehe für alle“ hintertrieben haben.
       
       Ja, seine Wut speiste sich auch aus dem Wissen, dass CDU/CSU alles
       sabotiert und blockiert haben, was der Öffnung des heteronormativen
       Eherechts im Wege stand. Es waren Unionspolitiker*innen, die nichts dagegen
       hatten, dass in einigen Bundesländern Eingetragene Lebenspartnerschaften in
       Zimmern eines KfZ-Amtes besiegelt werden mussten.
       
       Insofern konnte CDU/CSU-Fraktionschef Kauder mit seiner Formel vom
       gegenseitigen Respekt nicht auch noch ernsthaft verlangen, dass alle jetzt
       miteinander verständig umgehen mögen. Schließlich haben CDU/CSU die „Ehe
       für alle“ und deren Befürworter lächerlich zu machen versucht und jede
       parlamentarische Befassung nur auf Basis von „Gewissensentscheidung“
       hintertrieben. Jetzt auch noch zu jammern, wie es in vielen Statements aus
       Kauders Umfeld heißt, dass die Diskussion plötzlich viel zu schnell gehe,
       ist einfältig. In dieser Woche wurde in der Bundesrepublik in einer Art
       Diskursschnelldurchlauf die „Ehe für alle“ erörtert – und für passend
       befunden. Der Wunsch nach mehr Zeit war also einer nach weiterer
       Verschleppung.
       
       ## Die drohende Ächtung
       
       Ein historischer Tag war und ist es auch deshalb, weil – der Autor dieser
       Zeilen weiß es noch – noch vor gar nicht langer Zeit schwule Männer gar
       nicht öffentlich werden durften, weil ihnen sonst Ächtung drohte. Und bis
       Ende der sechziger Jahre galt ein [2][Paragraph 175], der in seiner von den
       Nazis übernommenen Fassung tausende von Männern ins Gefängnis brachte – und
       eine ganze Republik auf Lebensentwürfe einschwor, die nicht schwul oder
       lesbisch sein durften: Heterosexualität war das zu prämierende Modell.
       
       Damit in der entscheidenden Domäne, dem Eherecht, aufgeräumt zu haben, ist
       das Verdienst der Grünen, auch der Linken, und seit einigen Jahren auch der
       SPD – und eben der bürgerrechtlich gewissenhaften CDU- und CSU-Männer und
       -Frauen.
       
       Und wenn, wie in der Debatte, eine CSU-Frau wie Gerda Hasselfeld, ein
       Loblieb auf die Eingetragene Lebenspartnerschaft singt, dann lügt sie in
       politischer Hinsicht: Ihre Partei wie auch die CDU haben schon die
       Eingetragene Lebenspartnerschaft nicht gewollt, Bayern, Thüringen und
       Baden-Württemberg haben, wenn auch vergebens, sogar in Karlsruhe dagegen
       geklagt.
       
       ## Merkels Votum muss man ihr übel nehmen
       
       Angela Merkel hat übrigens mit Nein gestimmt – und das wird man ihr übel
       nehmen müssen: Hält man ihr Votum nicht für taktisch, sondern für
       gewissensmotiviert – ihr Vorschlag war es schließlich, nach Gewissen
       abzustimmen -, dann muss man sagen, dass sie mehr Sinn für Normativität hat
       als für Freiheit – gerade im Hinblick auf Länder, in denen Schwule und
       Lesben bitter verfolgt werden.
       
       Der Bundestag hat eine smarte Debatte geführt, die für Volker Beck
       ergreifenderweise am Rande der Tränen endete. Um es mit einer alten
       Spontiparole zu sagen: Die Kämpfer*innen für Ehegleichstellung hatten vor
       30 Jahren keine Chance, aber sie nutzten sie. Ein herrlicher Tag!
       
       30 Jun 2017
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
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