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       # taz.de -- Homophober Kommentar in der „FAZ“: Schlüpfrigkeit und Aberglauben
       
       > Das bürgerliche Zentralorgan nimmt die Ehe für alle zum Anlass für
       > abwegige Hetze. Dabei war das Blatt nicht immer so reaktionär.
       
   IMG Bild: Horror für alle, die „Natur“ über „Zivilisation“ stellen: gleichgeschlechtliche Eltern
       
       Protest ist gar kein Ausdruck für das, was das Flaggschiff bürgerlicher
       Publizistik, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, zu verdauen hat. Es ist
       ein Shitstorm der Empörung über einen als Meinungsbeitrag gekennzeichneten
       Text auf der letzten Seite des politischen Teils dieses Blatts: Johannes
       Gabriel heißt der Autor, und er schrieb am Freitag, dem Abstimmungstag zur
       Ehe für alle: „Seid ihr euch eigentlich klar darüber, wie sehr wir dadurch
       alles verraten, was wir sind?“ Offenbar wollte der Autor damit („wir
       dadurch …“), selbst schwul, appellieren, es bei der einst klassischen Form
       gelebter männlicher Homosexualität zu belassen (im Geheimen, am besten
       unter Verbotsdruck).
       
       [1][Aber dann schreibt er das], was nicht weniger als einer Lüge
       gleichkommt: „Und ist es wirklich so abwegig, was manche Gegner der
       Homo-Ehe behaupten, dass adoptierte Kinder ungleich stärker der Gefahr
       sexuellen Missbrauchs ausgeliefert sind, weil die Inzest-Hemmung wegfällt
       und diese Gefahr bei homosexuellen Paaren besonders hoch sei, weil die
       sexuelle Outsider-Rolle eine habituelle Freizügigkeit erotischer
       Binnenverhältnisse ohne alle sexual-ethischen Normen ausgebildet habe?“
       
       Das alte Bild: Schwule sind enthemmt, ficken alles, was nicht bei drei auf
       den Bäumen ist, und kennen keine Scham. Homos – na klar: Pädos.
       
       Nun, das denken noch viele Menschen, auch homosexuelle, und dies nicht nur
       insgeheim: Dass sie, weil sie sich defizitär fühlen, annehmen, keine
       gleichen Rechte haben zu sollen. Aber dass dieser Beitrag einer der
       wichtigsten Meinungsbeiträge für ein bürgerliches Publikum sein soll, sagt
       weniger aus über einen beklagenswerten Mann und seine Pädofantasien als
       über diese Zeitung selbst.
       
       Inzwischen kristallisiert sich heraus, dass mit guter Wahrscheinlichkeit
       der offen schwule Publizist David Berger, einst rechter Intellektueller im
       katholischen Denkerwesen, später als homosexueller Dissident in seiner
       Institution, hinter den selbsthomophoben Zeilen stecken könnte – der
       betreuende Redakteur, Reinhard Müller, will den Namen aber nicht nennen.
       
       ## Das Problem der FAZ: ihre Allüre
       
       Aber das spielt gar keine Rolle, auch nicht, dass die FAZ in ihrer
       Sonntagsausgabe Texte, auch vom Feuilletonherausgeber Jürgen Kaube,
       nachgeschoben hat, die das Gesetz zur Ehe für alle wenigstens nicht als
       Anschlag auf die Sittenordnung denunzieren. Denn nicht der feige
       pseudonymisierte und enthemmt wahrheitswidrig argumentierende Johannes
       Gabriel ist das Problem dieser Zeitung, sondern die Allüre selbst, einen
       solchen Autor kurz vor der Abstimmung über das Gesetz so prominent zu Wort
       zu kommen zu lassen.
       
       Zwar hat im Feuilleton, eine Seite weiter, ein Redakteur auf die
       gedanklichen Unschärfen der Kritiker der Ehe für alle hingewiesen, hat den
       Glauben ans eherne Naturrecht als verfehlt analysiert, aber warum im
       Politikteil niemand den Charakter von Bürgerlichkeit zur Debatte stellt,
       macht staunen. Denn ist die Ehe für alle nicht – auch aus bürgerlicher
       Perspektive – die Vollendung, weil Entbiologisierung der bürgerlichen
       Vorstellung von Ehelichkeit, von Verantwortung in kleinster
       Solidargemeinschaft zweier freier Erwachsener? Und müsste nicht auch im
       Politikressort die Möglichkeit zu denken erwogen werden, die
       christlich-einengenden Schlacken des heteronormativen Eherechts als
       sinnlosen Ballast abzustreifen?
       
       Stattdessen beauftragt man einen schwulen, rasend selbstvergifteten Autor,
       der nicht mal die Eier in der Hose hat, mit offenem Visier einzustehen für
       das, was ihm wichtig ist? Irre!
       
       Das wäre, möchte man traurig anfügen, unter dem Feuilletonherausgeber Frank
       Schirrmacher so nicht passiert. Er hätte die Politik bizarr wie üblich
       publizieren lassen, aber doch dafür gesorgt, dass im wahren Debattenteil
       der Zeitung über die modernen Formen von menschlicher Verantwortung
       füreinander gestritten wird. Schirrmacher hätte bei der Tageskoordination
       der Ausgabe mit der heuchlerischen Johannes-Gabriel-Schreibwut gemerkt, was
       für ein Schwachsinn in einem Teil der Zeitung erscheint, und dafür in
       seinen Teil Stimmen der bürgerlichen Vernunft geholt. Und zwar
       breitflächig, den Diskurs aufwühlend.
       
       Es ist ein Elend mit der FAZ, hinter der leider nur noch viel zu wenige
       kluge Köpfe stecken.
       
       30 Jun 2017
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/niggi/status/880520782366900226
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
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